Aufzeichnungen des Lehrers Fritz Arps

Inhalt

Einleitung

I. Abschnitt
II. Abschnitt

Beim Bauern (1864 - 1869)

III. Abschnitt

Als Präparand

IV. Abschnitt

Wie ich in's Amt kam

Schlusswort von Hermann Arps

Allerlei Kleinkram

Einleitung

Fritz Arps ca. 1935
Fritz Jakob Arps ist am 2. Mai 1852 in Lehe bei Lunden geboren und am 30. Januar 1939 in Kiel gestorben und beerdigt worden. Sein Vater war Johann Peters Arps (1812 - 1851) und seine Mutter Dorothea Magdalena Arps (1817 - 1863), geborene Nissen. Er ist der Vater meines Großvaters mütterlicherseits. Am 9. März 1880 sind er und Ernestine Dorothea Köster (1858 - 1947) in Wesselburen getraut worden. Weitere Einzelheiten folgen noch...
Zur Übertragung ins Hochdeutsche: Im Gegensatz zu meinen Vorfahren steht mir ein Textverarbeitungsprogramm zur Verfügung. Sie konnten einmal geschriebenen Text nur mit großem Aufwand ändern. Ich habe den Stil etwas angepasst, und hoffe das in ihrem Sinn gemacht zu haben.

I. Abschnitt

In der Sandstraße (1852 - 1864)

Mein Heimatdorf hieß Lehe, schloss sich an Lunden an, und liegt auf einem Geestrücken, dicht an der Marsch. Durch das Dorf ging eine Chaussee – die wurde in meiner Kinderzeit gebaut – von Lunden über St. Annen nach Friedrichstadt. Kam man von Lunden, so bog von links der "Gang" ab, die Theestraße, und etwas weiter ging das "Hintenrum" bei der Bockmühle vorbei. Die Bockmühle brannte ab, als ich wohl so 8 oder 9 Jahre alt war. Rechts ab ging die "Sandstraße". Hier habe ich meine Kinderzeit bis zu meinem 12. Jahr verlebt. Damals – was war das für eine lange Straße. Als ich aber von Ekenis, in Angeln, die Sandstraße einmal besuchte – in wenigen Schritten war ich am Ende. An meinem Vaterhaus hing ein Schild: "Friedrich Schulz, Zimmermann." Hinein ging ich nicht. Wozu das?
Hier in der Sandstraße war meine Welt! Oft genug hieß das freilich für mich: Hunger, wehr dich! Aber nirgends war es doch schöner als in der Sandstraße.
Auf jeder Seite des Wegs standen 6 Häuser. Ich weiß noch genau, wer in jedem Haus wohnte. Auf unserer Seite rechts, kam zuerst Jan Blenner Schmidt, ein Weber, Quittswewer nannten wir ihn. Dann kamen Lorenz Wolter und seine Alte. Wolter saß den ganzen Tag am Lackreep drehen. Das Material schnitt er sich in den Gräben. Wolter hatte nach unsrer Meinung einen ausverschämt großen Apfelgarten, 6 oder 7 Bäume standen darin. Wenn Witjern Wolter, die Tochter, die nicht ihren Schick hatte, im Garten war, riefen wir: "Witjern, gib mir einen Apfel!" Dann grunzte sie und machte grässliche Gesichter. Zuletzt schmiss sie uns ein paar alte schrumpelige Äpfel an den Kopf, oft waren das auch nur Kartoffeln oder Steine. Ihr Bruder, der viel klüger war als seine Schwester Witjern, ging zur Post und ist leider als Postsekretär in Lübeck verbummelt.
Dann kam Peter Schwind, ein alter Junggeselle, der lebte hier mit seiner alten Mutter zusammen. Schwind war Mauermann, sehr christlich, er sang schon früh morgens, wenn er sich seinen Kaffee kochte, Kirchenlieder aus dem alten Gesangbuch. Das Buch hatte Nr. 914. Sein Gesang klang, als wenn ein Schaf meckert. Wenn wir Jungs ihm das nachmachten, schalt uns Mutter: Lasst ihn, er singt wenigstens mit Andacht. Die alte Mutter Schwind hieß in der Sandstraße die alte Hexe, wahrscheinlich wegen ihres Aussehens. Ich musste oft an ihrer Warft vorbeilaufen. Ich bekam dann ein dickes Butterbrot. Die anderen Jungs sagten: Mensch, iss das doch nicht! Weißt ja gar nicht, was die alte Hexe dir damit antut. Schmeiß das doch weg, dann kann sie dir nichts anhaben. - Aber bei uns war das nicht so reichlich, und Hunger hatte ich immer. Ich lief von den Jungs weg, verdrückte das Butterbrot, und mir fehlte nichts danach.
Das vierte Haus in der Reihe war unser Haus. Zwischen uns und Schwind war vor unseren Stubenfenstern ein kleiner Vorgarten. Da standen 3 oder 4 Kirschbäume und eine Reihe Stachel- und Johannisbeerbüsche. Auch waren hier allerlei Blumen: Morgenrötjern, Zettlötschen, Bauernrosen und Rosen, rote und weiße. In Lunden hatte ich die Heider Turner gesehen, das war was Neues damals. Ich legte mir eine Eschenstange aus dem Knick von einem Kirschbaum zum anderen, das war mein Turnreck. - An der Südwand, die dicht unter dem Knick stand, pflanzte meine Mutter Stockrosen, die mochte sie so gern leiden, alle möglichen Farben. Hinter dem Haus war ein größerer Garten, dort wurde allerlei Gemüse angebaut. Damit ging Mutter jeden Freitag zum Markt nach Friedrichstadt, eine ganze Meile. Als ich noch nicht zur Schule ging, durfte ich oft mit, platt barfuss natürlich, dann verschliss ich keine Stiefel. Das war ein Fest! Über die Eider, das große Wasser! In Friedrichstadt verkaufte Mutter ihre Erbsen, Wurzeln, usw. Hier trafen wir oft eine Schwester meines Vaters, eine vornehme Frau in meinen Augen, denn sie stand mit Butter auf dem Markt. Näheren Umgang von Haus zu Haus hatten wir mit ihr nicht. Warum? Das weiß ich nicht.
Nun kam unser Haus. Das war nur klein, aber meiner Eltern eigen, treu zusammen gespart. Wir hatten zwei Stuben, eine kleine Kammer, Küche und Speisekammer und Platz für ein Schwein, Schaf und Hühner. Unter dem Herd war ein kleiner Backofen, der wurde nur zu Weihnachten gebraucht. Dann kam Vaters Schwester Margarethe, die in Lunden mit Jörn Eggers verheiratet war. Die brachte Leben ins Haus. Mutter nannte sie Gret Rapp, weil sie so ein gottloses Mundwerk hatte. Na, die beiden Frauensleute backten dann ihren Weihnachtsstuten zusammen.
Abwärts neben uns stand ein Doppelhaus, das gehörte dem Dachdecker Seidensticker, darin wohnte Jörn Jensen. Jörn Jensen war ein Jütländer. Wie nannten ihn Jörn Dän oder auch Di Gottverdammi, weil er immer so fluchte. Als seine Frau gestorben war, meldete er das beim Priester an: Herr Pastor, ich will Ihnen man sagen, di Gottverdammi, meine Frau ist tot. - Jensen, Jensen, wie können Sie so fluchen und dann in so einer ernsten Angelegenheit?! - Jörn ganz wehleidig: Ja, das sagen Sie man mal, Herr Pastor, aber ich kann das Di Gottverdammi nicht lassen. - Nach kurzer Zeit heiratete er seine Haushälterin, Lena Oth, beide in den besten Jahren, so um 60 herum. Das gab ein Hallo für die ganze Sandstraße. Na, Bruder Krischan und ich mussten auch notwendig dabei sein. Als abends der Kaffeekessel für den Kaffeepunsch aufs Feuer gestellt wurde, krochen wir vom Anbau auf das Dach und stopften den Schornstein mit Stroh zu. Die ganze Küche war voll Qualm. Die Haustür wurde aufgestellt, aber der olle Torf wollte und wollte nicht brennen. Jörn Dän fluchte nicht schlecht, er wollte seinen Kaffeepunsch haben. Zuletzt guckte er mal in die Höhe. Di Gottverdammi, das Loch ist ja dicht!
Am Ende in unser Reihe wohnte Jörn Unzeit, dessen Frau leicht aufzubringen war. Kein Wunder, wenn wir sie aus lauter Vergnügen manchmal giftig machten.
Gegenüber auf der anderen Seite der Sandstraße wohnte Jan Ecksteen. Dann folgte Klas Maasen. Bei ihm wohnten seine beiden Geschwister Jehann und Wiebke Maasen. Jehann Ohm war nur halb klug. Zu seinem Schafstall hatte er eine Glockenleine gezogen. Wenn ein Schafsdieb die Tür aufbrach, dann klingelte es drinnen. Na das klingelte da dann öfter. Jehann Öhm sagte, er will uns die Beine abhauen. Ja, warum denn wohl?
In der Reihe folgte der Pantoffelmacher Peter Stamp. Dessen Tochter Anna hieß bei uns das "heilige Ding". Sie war abwesend von der Schule gewesen, und als Struwe sie fragte, was ihr gefehlt habe, da sagte sie schön auf Hochdeutsch: "Ich habe das heilige Ding gehabt." - Großes Gelächter! Das war gar nicht so lächerlich. Wenn in der Marsch sich jemand erkältet hatte und das zog mit Fieber im Leib herum, so sagte man, ach, das ist ein bisschen Hilldingen. Na, Anna Stamp wurde dann oft gefragt: "Was macht denn dein heiliges Ding?" oder "Zeig uns mal dein heiliges Ding!" Das gab dann viel Verdruss, allerdings nicht für uns, denn wir gingen eine Zeitlang einen anderen Weg zur Schule.
Dann kam Jehann Rathje. Sein Haus schauten wir mit großem Respekt an, nicht dass es besonders groß war, aber weiße Gardinen vor den Fenstern und immer fein angestrichen. Die Leute hatten keine Kinder und verdienten beide, sie mit waschen und plätten, und er war Vorarbeiter bei den Buschleuten am Außendeich. Nun folgte Hermann Ketels, Fährmann auf Wollersum, und zuletzt uns gegenüber wohnten Jan Rathjes alte Mutter und seine Schwester Anna.
Meinen Vater, Jehann Peter Arps, geboren 1812 und gestorben 1859, habe ich kaum gekannt. Er war Kutscher beim Kirchspielvogt in Lunden gewesen, arbeitete aber nach seiner Heirat 1842 beim Bauern. Nachher, als er flau wurde, musste er das aufgeben, aber er war geschickt in allerlei. Sollte ein Garten in Ordnung gebracht werden, wurde Jan Arps geholt. Ich kann mir noch gut vorstellen, wie er in seinen letzten Jahren zu Hause saß zu schustern, oltflicken nannten sie das. Neues Fußzeug machte er nicht. Nach Mutters Erzählen war er ein ruhiger, nüchterner Mann. Er starb an Uttern.
Meine Mutter war Schneiderin, ein bisschen verwachsen, aber nicht so schlimm wie mein Bruder Jehann. Sie hieß Dorathea Magdalena, geborene Nissen. Ihr Vater war Müller, er hatte aber keine eigene Mühle gehabt. Zuletzt hatte er eine kleine Landstelle in Lehe. Hier wohnten die beiden Alten zu meiner Zeit bei der ältesten Tochter Anna, die mit Jörn Norden verheiratet war. Meine Mutter ist 1817 geboren worden und am Weihnachtstag 1863 gestorben, an Kolik wurde uns gesagt. Sie war eine energische Frau und hatte uns Jungs gut im Griff. Sie war auch eine bewusst christliche Frau und hielt uns Jungs an morgens und abends zu beten. Einmal musste ich das Mittagsgebet sprechen, da konnte Krischan es nicht lassen mich zu kitzeln – wir standen beim Essen, das war so üblich, Kinder mussteen stehen, - ich wurde wild, nahm eine Gabel und warf sie ihm ins Gesicht, dass sie in der Backe hängen blieb. Die Andacht war aus. Mutter holte den Reetstock, und ich hatte nachher schöne Striemen querüber.
Ich war klein und fein für mein Alter und hatte wohl kein gutes Aussehen. Anna Rathje sagte einmal zu meiner Mutter: Dorten, deinen Fritz mag ich gar nicht anschauen, der hat eine schlechte Farbe, sieht ja aus wie durchgeschissenes Apfelmus, ich bin ängstlich, der wird nicht alt. Meine Mutter meinte: Wenn er nur erst ein paar Jahr älter wird und auf eine andere Weide kommt, wird das mit Gottes Hilfe ja wohl werden. Ich stand hinter der Haustür und hörte mir das an. Ich war schon ängstlich, dass Anna Rathje mich wegen ihrer Katze verklagen wollte, das andere rührte mich nicht.
Mutter musste sich, so gut das ging, mit ihren Kindern durchschlagen. Einmal zog ich die Schublade auf: "Mutter kann ich noch ein Stück Brot haben?" "Och Jung," sagte Mutter, "du sollst ja nun zu Bett und nur liegen, morgen gibt es mehr." Das hat meiner guten Mutter gewiss weh getan, mich so abzuschieben - sie gab so gern. Bald wurde es einfacher für sie. Krischan kam zum Bauern Gorch Loy Detlefs nach Preil und ging von dort nach Dahrenwurth zur Schule. Anna diente in Flehde beim Bauern, und Jehann war in Heide bei einem Schuster in der Lehre. Hermann, 5-6 Jahre jünger als ich, und ich blieben allein zu Haus. Da ging uns das ganz leidlich. Ich verdiente auch so manche "dänische Vier," - Knöp nannten wir die, 6 Knöp = 5 Schilling Kurant. Mutter schickte mich so viel wie möglich zur Schule, aber ich wurde doch oft angefragt, denn die Bauern brauchten gern Jungs, beim Dachdecken zum Innennähen oder Kük wühnen. Kam da ein Torfschiff nach Wollersum für die Ziegelei, musste ich an Bord und die Körbe voll packen. Jungedi, das gab 6 Knöp am Tag und zu essen, dass man rein steif stand. Eines abends wusch ich mir den Torfmull ab, da fragte Mutter mich: "Na mein Jung, willst du noch ein Butterbrot haben?" "Ne, Mutter, ganz gewiss, ich kann nicht mehr." Sie lachte "Hab ich mir just so gedacht." - Für den alten Gorch Loy musste ich nach der Schule immer die Eisenbahnzeitung von seinem Bruder in Lunden holen, das Kirchspielschreiben. Dafür gab das auch so allerlei. Gorch Loy bewohnte in Lehe das alte berühmte Haus vom Alten Achtunvierziger Markus Schweine, aus der alten Dithmarscher Zeit. In dem merkwürdigen Haus war der berühmte bunte Pesel, eine Stube mit schön geschnitzten Möbeln, Türen und bunten Fenstern. Im alten Gästebuch stehen viele berühmte Leute, auch Fürsten und Herzöge. Als Seminarist besuchte ich den alten Gorch Loy und die alte blinde Loyn Trine einmal und trug mich ganz großschnäuzig auch in das Fremdenbuch ein. Ich schrieb: "Fritz Arps, stud. Päd." - Beim Abschied drückte der Alte mir einen harten Taler in die Hand und seine Trine ebenso. Das Haus ist leider durch Blitzschlag abgebrannt, aber den bunten Pesel haben sie gerettet und nach Meldorf ins Museum gebracht. Das Haus hätte noch Jahrhunderte stehen können, so durabel war das gebaut.
Meine Mutter schickte mich fleissig zur Schule, auch im Sommer so viel wie möglich. Schulzwang gab es ja nicht. Auch musste ich an den Nachhilfestunden teilnehmen, die nichts kosteten. Struwe war ein tüchtiger Lehrer, hatte eine große einklassige Schule. Er war eine Berühmtheit in der Gegend und hatte viele fremde Kinder, auch aus Lunden. Aber beliebt war er nicht, da er einen Unterschied machte zwischen armer und reicher Leute Kinder.
Im letzten Sommer meiner Mutter hatten wir beide recht viel Weizen und Gerste gesammelt. Hätte viel mehr sein können, meinte sie, wenn ich nicht immer die Vögel gezählt hätte. Dann hatte sie zwei große Lämmer zu verkaufen. Ich hatte eine ganze Menge Rapsstoppeln ausgezogen. Damit sollten die Beileggaben angezündet werden. Einige Fuhren Rapsstroh, auch zum Anzünden, wurden angefahren. Nun konnte der Winter ruhig kommen.
Das Schaf musste ich im Sommer versorgen, umsetzen und melken. Einmal, - das Melken dauerte dem Schaf wohl zu lang – vielleicht hatte ich auch wieder Vögel gezählt, - riss es mich mit meinem Milchtopf um. Ich war beinahe fertig, wenig Milch blieb in meinem Topf. Was nun? Ich heulte ein Stück, denn Mutter verkaufte abends eine Planke Milch an unsere Nachbarn. Da kamen die Mädchen vom Melken und sagten: "Na Jung, was heulst Du? Tut dir was weh?" "Ne, das Schaf hat mir die Milch umgeschmissen." "O, sonst nichts, hol Deinen Topf mal her." Sie gossen mit den Topf beinahe ganz voll Kuhmilch. - "Jung," sagte meine Mutter zu mir, "was hast du heut abend viel Milch. Wie kommt das?" "Ja, sagte ich frech, "ich hab sie an einer schönen Stelle angebunden. Was war da ein Gras und Klee." - Am andern Tag rief Mutter mich: "Sag mal, was hast du mit der Milch vorgehabt? Da ist wenig Rahm drauf und nachdem ich sie abgerahmt habe, ist sie so blau. Das ist gar keine reine Schafsmilch. Hast du Wasser dazugegossen? Nun man heraus mit der Sprache!" Na, nun musste ich beichten. "So, so, ja ich konnte mir das ja denken. Da ist gar kein Schwung in dir, immer musst du dich vergessen, und das arme Tier steht da und muss warten. Kein Wunder, wenn sie bei so einem Quatsch die Geduld verliert."
Als meine Mutter Weihnachten starb, war ich 11, beinah 12 Jahr. Meine Schwester Anna gab ihren Dienst auf und kam nach Hause zu mir und Hermann. Nun hatte meine Mutter da drei Schwestern wohnen, Anna, die mit Norn verheiratet war, Marie war mit Peter Rüter und Wietjern mit Fritz Rüter verheiratet. Die beiden Rüter, die als Arbeiter nicht weiter kommen konnten, sind nach Amerika ausgewandert. Mutters Eltern waren gestorben. Nun wurde beratschlagt, wohin mit den Jungs? Anna war verlobt mit Jan Söder und konnte heiraten. Jehann und Krischan hatten ein Unterkommen. Eine befreundete Familie, Friedrich von Stamm, die kinderlos waren, wollten Hermann zu sich nehmen. Da ist er nach einigen Jahren an Halsbräune gestorben. Onkel Nohrn ging mit mir zum alten Reimer Dreesen nach Mahde. Da wurde abgemacht, ich solle da bis 18 Jahr bleiben für Kost und Kleidung. Im März 64 siedelte ich nach Mahde über, und meine Zeit in der Sandstraße war damit zuende.
Der nächste Abschnitt muss dann wohl von meinen landwirtschaftlichen Erlebnissen handeln. Aus meiner Stromzeit würde Fritz Reuter sagen.

Nachtrag zum I. Abschnitt

Nun hatten wir Jungs in der Sandstraße auch allerlei zu belauern und zu begucken.
Als die Dänen im Winter 63-64 Holstein räumten, welches sie als deutsches Bundesland besetzt hatten, zogen sie durch Lunden und Lehe nach Friedrichstadt. Die Sachsen waren hinten ihnen her. Als die Dänen bei uns durchzogen, hing an den kleinen Chausseebäumen allerlei, was sie ärgern musste: Kleine Flaggen und Papier, blau-weiß-rot – die Schleswig-Holsteinischen Farben -, Taschentücher mit Kriegsbildern von 48-50, wo die Dänen verprügelt worden waren. Wir Jungs hatten alle Kokarden vorn an der Mütze, blau-weiß-rot. Das gab dann allerlei Verdruss auf der einen Seite und viel Spaß auf der anderen. Als wir Jungs aber anfingen mit Steinen zu werfen, da war der Spaß vorbei. Die Dänen stoppten auf Kommando, holten ihren Püster vom Nacken und wurden ungemütlich. Die Chaussee war im Nu leer. Na, die Dänen hielten sich nicht lange mit unserem Jungskram auf, sie hatten keine Zeit, denn die Bundestruppen, Sachsen und Hannoveranner, waren ihnen auf den Fersen.
Nachher hieß es, die Dänen hätten Hals über Kopf Friedrichstadt verlassen, hätten alles liegen gelassen und wären nach Norden abmaschiert. Nun wanderte alles nach Friedrichstadt, alles was Beine hatte, ich auch. Auf dieser Seite der Eider in Dithmarschen in einem Winkel vom Eiderdeich hatten die Dänen eine große Schanze gebaut, einen Brückenkopf sagten die Leute. Mir kam das merkwürdig vor, dass sie rund um die Schanze Tüchlein ausgespannt hatten und dann mit Draht. Na, ich tröstete mich damit, für so viele Menschen, wie ich laufen gesehen hatte, gab es auch viel Wäsche. Dass das Telegraphen waren, ahnte ich ja nicht. Wer wusste da was von solchem Kram? - Hö! Da schossen sie in Friedrichstadt die Kanonen ab. Die Friedrichstädter hatten aus Freude, dass die Dänen abgezogen waren, die Kanonen mit Pulver geladen, und schossen lustig drauflos. Da mussten wir notwendig näher heran. Die Eider war zugefroren, wir konnten über das Eis nach Friedrichstadt gehen. Teufel noch mal! Wie sah das da aus! Die Schanzen waren völlig ausgeplündert. Allerlei Sachen, Pulver in Kadusen, Dosen mit Kartätschen, Bomben, Vollkugeln, Gewehre, Säbel, Tragkiepen mit feinen Lederriemen und noch viel mehr. Alles wurde geräubert. Ich begnügte mich mit einem Kanonenwischer, den ich später gegen ein paar Kartätschen eintauschte. Auf dem Eis war nachher ein dicker schwarze Streifen, nichts als Pulver. Hinterher wurde überall nachgeforscht. Wer Staatseigentum gestohlen hatte, der musste es abliefern. Meine Kartätschen behielt ich, die waren beim Murmelnspielen gut zu gebrauchen.
An die Sandstraße lag unserem Haus gegenüber eine Koppel, die gehörte Jörn Krischan. Sein Haus stand an der Chaussee, aber gehörte doch eigentlich mit zur Sandstraße. Auf seiner Koppel habe ich so allerlei erlebt. Jörn Krischan, ein aasiger Kerl, baute hier auf seiner Koppel Zichorienwurzeln und Flachs an. Die Zichorienwurzeln lieferte er nach Lunden an die Zichorienfabrik. Ich habe die Wurzeln manchmal mit aufgezogen und abgewaschen. - Wenn Flachs gebrochen wurde auf der Koppel, das war ein Fest. Erst wurde da eine lange Rinne mit einem Gang davor gegraben. Über die Rinne wurden zwei gerade Stangen gelegt, und in der Kuhle war ein Torffeuer. Eine Frau stand im Gang und breitete den Flachs auf den Stangen aus. War der Flachs schön kross, dann holten sich die anderen Frauen eine Handvoll und brachen das auf einer Handbreche. Wir Jungs lauerten immer, dass einmal jemand vorbeikam, dann gab es ein großes Spektakel. Kam einer zu Fuss oder Pferd, dann fingen die Frauensleute an zu schimpfen, und die konnten das. Allerlei Schändlichkeiten wurden ihm nachgerufen. Na, die meisten nahmen das ganz vergnügt auf. Ich nehme an, dass der Ausdruck "Durchhecheln" vom Flachshecheln kommt. Aber das machte machte uns Jungs eine Menge Spaß.
An jedem Fastnachtabend ging es da bunt um die Ecke. Jörn Krischan machte an dem Tag Schankwirtschaft. Er richtete auf seiner Koppel zwei Punterbäume auf. Zwischen die Bäume band er ein dickes Tau, und daran hängte er eine starke Tonne. In der Tonne saß ein Hahn. Nun warfen die Mannsleute dicke Knüppel gegen die Tonne. Wer die Tonne entzwei warf, so dass der Hahn herausflog, der hatte gewonnen, und der Hahn stand ihm auch zu. Das schöne Spiel nannte man "Hahn aus'e Tonn" oder auch "Jud aus de Luk"(!). - Dann kam das Rolandfahren. Eine Wagenachse wurde in die Erde gegraben. Auf das Ende, was herausguckte, wurde ein Wagenrad gelegt, das sich um die Achse drehen konnte. Auf dem Rad machte man eine Leiter fest, und auf das Ende der Leiter wurde als Stütze für den Rolandfahrer ein einfacher Wagenstuhl gebunden. Eine hölzerne Figur wies mit dem einen Arm, an dem ein Ring festgemacht war, in den Kreis. Am anderen Arm hing ein Bündel mit Asche. Traf der Rolandfahrer nur den Arm, flog die Figur rasch herum, und der Aschbeutel flog ihm in den Nacken. Dann gab es ein großes Hallo! - Fastnachtabend wurde nun Hedwig (Heißewecken) gespielt, Nacht und Tag. - 5 Scheiben aus einem Stuten. Wir Jungs kauften uns Blickmarken bei Jörn Krischan und spielten auf einem Drehbrett. Hatte man Glück, so löste man für seine Blickmarken Hedwig in.
Das noch zur Sandstraße, - und Neujahrsabend mussten wir zuhause in der Kate bleiben.

II. Abschnitt

Beim Bauern (1864 - 1869)

In Lehe wurde ich im März aus der Schule entlassen, das heißt für den Sommer befreit. Bis November war ich freier Mann. Nun war es damals so, die Jungs konnten mit 12 Jahren für den Sommer vom 1. April bis 1. Nov., also 7 Monate, befreit werden, waren dann aber verpflichtet, bis voll 16 zur Schule zu gehen. Als ich Ostern 68 konfirmiert wurde, war ich am 1. Februar schon 16 Jahre alt gewesen.
Meine Schwester Anna machte mein neues Zeug zurecht, ein kleines Bündel in einem Tuch, und dann zog ich ab nach Mahde. Ein bisschen gräulich war mir doch, ich hatte noch nie in einem fremden Haus geschlafen. Aber, was half das alles, unsere Mutter war nicht mehr, und wir Kinder musten uns nun auf eigene Hand durchschlagen. Das letzte Weihnachten lag mir so schwer auf der Seele. Meine Mutter und ich hatten schon allerlei Pläne gemacht. Ich sollte beim Schuster Heinrich Hinrichsen, der ein besserer Musikant als Schuster war, Musik lernen und noch ein Handwerk dazu. Das kam anders.
So kam ich dann ziemlich benommen beim alten Dreesen auf Mahde an. Jehann, der älteste Sohn, der zu Hause war, nahm mich in Empfang. Er zeigte mir in der Knechtekammer mein Bett unter der Bodentreppe, zog auf der großen Diele ein Schublade in einem allmächtigen Kleiderschrank auf, da konnte ich erstmal mein Zeug reinlegen. Die Familie bestand aus dem Alten, er war schon viele Jahre Witwer, 6 Jungs und einem Mädchen. 3 Jungs waren verheiratet und hatte Bauernstellen in der Nähe, Niklas, Reimer und Maas. Zu Haus waren Jehann, ein abgebrochener Kaufmann, 30 Jahr alt, Reinholt, gut 20, und August 18 Jahre. Wiebke, die Tochter, so Ende 20, führte dem Alten den Hausstand. Wietjern war eine höllisch fixe Person und kümmerte sich um meinen Kram ganz ordentlich, besonders als sie merkte, dass ich ihr fleissig zur Hand ging. Die großen Jungs trieb es mit der Sonne ums Haus. Die Arbeit überließen sie den Leuten, bloß August griff frisch mit zu. Er fiel bei Orleans. Wietjern verheiratete sich nach einigen Jahren mit dem Kürschner Heinrich Söth in Heide. Das war schade für mich.
Mein Anfang war in der Küche. Ich war Suppenschmied! Abends ging ich mit einem Strohhaken zum Rapstrohhaufen und zog trockenes Stroh heraus, das ich zur Küche trug. Morgens recht früh raus und dann zur Küche. Da musste ich immer einen großen, eingemauerten Kessel mit Braunbier mit Stroh anfeuern, das heißt immer eine Handvoll Stroh nachlegen, bis das Bier kochte. Dann rief ich nach Wietjern oder einer der Dienstmädchen, und die nahmen dann einen Krug mit Milch und Mehl und machten das Bier sämig. Dann hieß es Warmbier. Graupenbrei wurde für mehrere Tag gekocht und zum Warmbier getan. Ich musste nun so lange anfeuern, dass die Geschichte aufkochte. Indessen wurde eine große Pfanne voll Kartoffeln und Klößen gebraten. Dann kamen die Knechte, Tagelöhner, Dienstjungen und ich natürlich, und wir setzten uns auf der allmächtig großen Hausdiele zu Tisch. Der Großknecht saß am Ende und schnitt Brot, nicht so ein "Rundum," nein "Sneden," die Scheiben flogen nur immer so weg, dass in der Mitte ein Kanten stehen blieb. Junge, dachte ich, wenn du da nur erst einmal sitzt und das kannst! Ein Brett wurde herumgeschoben, da holte sich jeder ein Stück Butter aus dem Loch, seinen Stoss, wie sie das nannten. Wer wenig Brot aß, konnte dick aufstreichen, wer mehr Brot brauchte, strich dünner. Jungedi! Bratkartoffeln und Klöße, dicke Graupen und Warmbier, so morgens um 6, das war eine deftige Kost. Da wehte der Wind nicht durch! Die Kartoffeln und Klöße schwammen in Speck und Fett. Vor Mittag um 11 gab das auch nichts wieder, so lange musste das vorhalten.
So, nun ging es los aufs Feld, wir sollten pflügen. Ich wurde auf das linke Hinterpferd gebunden. Was freute ich mich, hoch zu Pferd. Aber die Freude dauerte nicht lange. Die hinteren beiden Pferde waren alt und sachverständig, aber die beiden vorderen waren junge Dinger, dritthalbjährige, sollten erst angelernt werden. O, was haben die Viecher mir Kummer gemacht. Sie verstanden ebenso wenig wie ich vom ganzen Betrieb. Zog ich ein bisschen hart an den Zügeln, saßen sie auf ihrem Hinterteil, sie waren so weichmäulig. Ließ ich die Zügel locker, jiddelten sie hin und her, und der Knecht oder August schimpften nicht schlecht. In den ersten Tagen waren mir die beiden kleinen Finger von der Leine durchgescheuert, und meine Sitzgelegenheit war so mürbe! Ne, Vergnügen war das nicht mehr. Na, ich war ja nicht ganz unbelehrbar, das gefiel mir immer besser. So hörte ich einmal, dass der Alte, den Knecht, Karl Rohde, fragte: "Na, Korl, wie geht das mit dem Jungen?" "O, der ist ganz läufig, der lässt sich gut an. Er soll ja auch alles noch lernen. Wenn er man erst mehr Kraft bekommt, dann soll er seinen Posten wohl ausfüllen." Nun schau einmal an. Zu mir hatte der heute nachmittags gesagt: "Du bist doch ein großer Schietbüdel, die Pferde sind ja viel klüger als Du dummes Aas. Lass sie doch ruhig laufen, die wissen von selbst Bescheid, halten kannst du sie doch nicht." Als ich die Geschichte aber eine Zeit lang gemacht hatte, - wenn das an die Wende kam - das war die schlimmste Stelle – dann mussten erst die vorderen Pferde dicht vor den Graben hin, dann kurz umbiegen, und dann die hintern Pferde bis dicht vor den Graben allein den Pflug ziehen. Da gab das zuerst ein böses Kuddelmuddel! Die vorderen Pferde zogen an einer Kette, die zwischen den hinteren Pferden hindurch führte. Bei der Wende hing die Kette locker, dann gerieten die hinteren Pferde über die Kette, und die vorderen gingen mit lockeren Strängen und traten über, schnell waren sie alle vier durcheinander verworren. Na, schön war das nicht. Die Angst kam noch dazu, dass sie bloß nicht mit mir in den Graben reinwühlen! - Später hatte ich einen spitzen Nagel in meiner linken Stiefelhacke. Kam das dann nach der Wende, klatschte ich den vorderen Pferden eins mit der Peitsche hinten drauf, setzte meinem Reitpferd die Sporen in der Seite, und das ging flott. In Angeln, wo die Bauern bloß mit 2 Pferden pflügen, brauchen sie keine Pflugtreiber, aber in der Marsch hatten wir zeitweise 5 Pferde vor dem Pflug, 3 voraus. In der Marsch kann man tief pflügen, trifft keine rohe Erde. In der Sommerbrache pflügte einer mit 2 Pferden voraus, nicht zu tief, dann kam in derselben Fuhre ein Pflug mit 4 oder 5 Pferden, das nannten sie rijolen. Die Dithmarscher sagen, und ich sag das auch: "Das Pflügen ist ein Vergnügen, aber das Eggen ist ein Leiden." Von morgens früh bis abends spät hinter der Egge laufen, zwischen Klumpen, wie Pferdeköpfe so groß, da weiß man wo man gewesen ist. Man hat knapp das zweite Bein im Bett, dann schläft man.
Im ersten Jahr hatte ich viel Not mit Schweinsbeulen, im Nacken, im Kreuz, auf dem Hinterteil, überall. Das war nicht schön. Da sagte der alte Tagelöhner, Klas Siemens, zu mir: "Fritz, Du musst nicht so viel Speck und Fett essen, du wirst sehen, dann wird es besser." Ob er das nun so meinte, oder ob er auf meinen Teil spekulierte, - das weiß ich nicht. Egal! Er hat meinen Speckteil mittags treu und brav mit verdrückt. Ich schob ihm das immer zu, bloß ein bisschen Mageres behielt ich für mich zurück. Aber besonders gut schmeckte mir frische Milch. Als Suppenschmied musste ich morgens die Kühe heranholen und hüten, bis sie gemolken waren. Ich hatte immer einen Reetstummel parat. Wurde ein voller Eimer zurückgestellt, legte ich mich davor und saugte mich voll. Auch hatten wir eine schöne Fuchsstute für den Pflug, die die Milch nicht halten konnte, wenn sie 4 – 5 Stunden vom Fohlen weg sein musste. "Fritz, der Fuchs lässt die Milch laufen," sagte der Knecht. "Prr!" sagte ich, sprang herunter vom Pferd, wischte die Saugwarzen ein bisschen ab, nahm erst die eine und dann die andere in den Mund - und der Fuchs war erlöst, und ich war voll. Das schmeckte wunderschön, ein bisschen zu süß. - Reichlich Milch trinken und mageres Fleisch essen mag ich heute noch gern, und Schweinsbeulen hab ich nicht mehr!
In der Ernte musste ich zwischenfahren, die leeren Wagen zum Feld bringen und die vollen nach Hause. Da hieß es aufpassen. Richtig aus dem Heck heraus und richtig in die große Tür hinein, erst recht, wenn das Futter schief geladen war. Nur nicht umwerfen. Das kam aber doch vor. Als ich größer war, musste ich laden. Viele hundert Fuder habe ich geladen. Garben laden, das ging gut, aber Heu laden, das war ein Kunststück.
Als die Saatzeit im Herbst vorüber war, kam der November heran, und ich musste wieder zur Schule. Das passte mir gar nicht. Ich ging nach Lehe zu Lehrer Struwe und bat ihn, ob ich den Winter über bei ihm zur Schule gehen könnte. Er sagte, er habe keinen Platz. Er hatte mich doch immer als guten Schüler gelobt – aber – ich konnte ja nicht bezahlen. Na, ich kam nach Lunden in die 1. Knabenklasse zu Rektor von Minden. Er prüfte mich, und ich kam auf die große Seite ziemlich nach oben zu sitzen. Als kleiner Knirps saß ich da zwischen den großen Bengeln, 15 – 16 Jahr alt. In der Klasse saßen rund 80 große Bengel. Im Frühjahr kam der Pastor und fragte: "Wer soll für den Sommer dispensiert werden?" Dann standen 40 – 50 Jungens auf. Meistens wurden sie alle für den ganzen Sommer, 7 Monate, freigestellt, einige auch nur auf Wochen in der Ernte oder zum Torfbacken usw. Der Rektor atmete auf, wenn die großen Kerle zum Bauern zogen, aber im Herbst, wenn die Banditen wieder kamen, - dann ging das Ledergerben wieder los. - Ja, Kinder, wenn ich euch hier nun ausführlich erzählen wollte, wie das im Winter in der Schule zuging, könnte ich ein dickes Buch darüber schreiben. Ich gebe euch nur einen Einblick, damit ihr sehen können, dass ich in dieser "Mördergrube" nichts lernen konnte. Ich muss ehrlich gestehen, mir war auch gar nicht so viel um das Lernen zu tun, denn dass ich es noch einmal notwendig gebrauchen müsste, daran dachte ich nicht.
Die Halunkenstreiche, die da in der Rektorschule ausgeführt worden sind, und die ich hier erzähle, klingen unglaublich, sind aber buchstäblich wahr.
Als die erste Stunde vorüber war, tippte ich meinen Vordermann mit einem Finger auf den Rücken und fragte ihn: "Du, was kriegen wir nun?" Der fing mordsmäßig an zu schreien: "O, ich kann's nicht aushalten, ich kann's nicht aushalten!" Der Rektor kam auf sein Angstgeschrei hin und fragte, was da los war. "Fritz Arps hat mir die doppelte Faust ins Kreuz gestoßen. O, was tut das weh!" Mein Protest nützte nichts, denn die anderen Jungs hatten es gesehen. Der Rektor zog sein Tauende heraus, das er immer in der Tasche hatte, und mich über den Schultisch. - Noch einmal ich ging nicht wieder auf diesen Leim.
Wir saßen auf der Seite zur Kirche hin und konnten die Kirchenuhr sehen. Abends rief einer von der anderen Seite ganz laut und ungeniert herüber: "Jungs, was ist die Uhr?" Antwort: "Die Uhr ist ¼ vor 4!" "Na, Jungs, dann steckt man weg, dann wollen wir nicht mehr. Ja, jetzt ist es lang genug gewesen, nun wollen wir nach Hause." Der Rektor musste die Bande laufen lassen, sonst wären sie ihm durch Türen und Fenster gegangen. Morgens und in der Mittagstunde wurde beim Uhrenberg beraten: "Was sollen wir heute machen? Müssen mal ein bisschen Spaß haben."
Eines Tages stand der große Niklas Hölk auf: "Darf ich mal hinaus?" Nun waren da schon so viele draußen gewesen, dass dem Rektor die Lauferei wohl über war. Er sagte "Nein!" Es dauerte nicht lange, da stieß der Große Niklas die kleinen Jungs – er saß wegen seiner Dummheit auf denen – nach rechts und links beiseite, so dass sie in den Gang flogen, streckte sich lang auf der Bank aus, hielt die Hände vor den Unterleib und schrie: "Ich kann's nicht aushalten, ich kann's nicht aushalten!" Von unserer Seite schrien sie hinüber: "Mensch, Niklas, lass es doch laufen, hier ist ja Platz genug, wenn er dich nicht rauslassen will!" Folge: Niklas konnte gehen. Nachher erzählte er, er hätte gar nicht hinaus gesollt.
Johannes Johannsen, der nachher bei Reimer Dreesen diente, steckten sie 14 Tage in das Loch. Er hatte in der Kirche, als der Priester vor dem Altar den Segen sang, diesen hübsch mit Pfeifen begleitet. Er wurde durch den Polizeidiener aus der Schule geholt. Das sollte Eindruck machen. Das tat es auch, aber in die falsche Richtung. Die Jungs gingen über Tische und Bänke und schrien: "Arrestant, Arrestant!" und "Hurra, Hurra!"
Ich blieb mittags in der Schule, andere Kinder auch. Zum verstreutem Brot liefen die Mäuse und nach den Mäusen die Katze. Einmal morgens war des Bäckers Kater in der Schule. Rasch die Tür dicht und dann Jagd gemacht auf den Kater. Der wurde eingefangen. Was nun? Der Rektor hatte seinen Schlüssel im Pult stecken lassen. Den Pultdeckel hochgehoben, den Kater hinein, den Schlüssel umgedreht. Die erste Stunde verlief merkwürdig still. In der zweiten Stunde sollten wir Schönschreiben haben, die Schreibbücher lagen im Pult. Der Rektor drehte den Schlüssel um, hob den Deckel – kschsch! sprang ihm der Kater vor die Brust, dass er beinah auf den Rücken fiel. Na, das gab ein Hallo in der Schule, die Jungs auf Tischen und Bänken - und das Geschrei! Nicht zu beschreiben! Der Rektor fragte gar nicht: Wer hat das getan? Darüber sprechen, verraten – das war vollständig ausgeschlossen.
Einmal kam in der Mittagstunde ein Knecht zu Pferde mit einem Sack Korn vor sich über den Schulplatz. Er ritt wohl nach Lehe zur Mühle. "Jungs – das Aas," hieß es, "der hat uns beim Bauern so gequält, der sollte eigentlich ein Fellvoll haben." Nun wurde Rat gehalten. Der Knecht kam bald wieder zurück mit seinem Sack Schrot. Das Pferd wurde angehalten, der Sack herunter gezogen, der Kerl auch - und dann vertrimmten die großen Bengels ihn - aber gründlich. Dann stob die Bande auseinander, verstreute sich in den Straßen und kam so einzeln ganz unschuldig über den Markt wieder zur Schule.
Ich saß in der Schule bei Friedrich Ahrensdorf. Sein Vater war Stellmacher. Er brachte allerlei Werkzeug mit. Mit einem Beitel wurden vierkantige Löcher durch die Tischplatte gestemmt. Die Tafeln wurden mit einem Gestell aufgerichtet und dann spielten wir Puppen, Kasper und Rieke. Wo wir saßen, wurden unsere Namen tief in die Platte geschnitzt, damit wir unseren Platz auch wiederfinden konnten. Ein Schlachterjunge brachte Blut mit zur Schule. Die Jungs hatten sich Spritzbüchsen gemacht und nun wurde alles bespritzt, die Wände, die Wandtafel, die Landkarten, das Pult usw. Das sah einfach gräulich aus!
So könnten ich noch eine Weile beibleiben zu erzählen, aber mir scheint, das sagt genug.
Man gab dem Rektor, einem herzensguten Mann, nachher die Obermädchenklasse. Da ging es ihm besser. Einem jungen forschen Lehrer gab man die erste Knabenklasse. Als der mit seinen Jungs nach der Einführung allein war, stieg er auf das Pult und sagte: "Hört mal, Jungs, ich will euch einmal meine Schulgesetze vorlesen." Da stand so ein großer Lümmel auf, beide Hände in der Tasche: "So, dann lass man mal hören." Aber der junge Rektor brachte Ordnung hinein. Er schmiss sie raus und nahm sie nicht wieder auf, bis sie versprachen, sich anständig zu benehmen. Schade, dass der Mann nicht zu meiner Zeit, einige Jahre früher da war.
Wenn ich abends aus der Schule kam, musste ich füttern helfen. Was ich in der Schule lernte, darum kümmerte sich kein Mensch, auch nicht ob ich etwas Hausaufgaben hatte. Nach dem Abendessen saßen Knechte und Mädchen in der Mädchenstube zusammen, dort konnte geheizt werden. In der Knechtekammer war kein Ofen. Die Dreesens holten mich oft in ihre Stube und gaben mit Bücher zu lesen. "Gartenlaube", "Daheim" etc. und Tiergeschichten. Das mir das passte, kann ich nicht sagen, aber sie haben es gut mit mir gemeint. In der Gesindestube war es nicht sauber. Was ich da sah und hörte, war einfach haarsträubend. Was ich da erlebt habe, will und mag ich nicht erzählen, will mich bloß freuen, dass es gut für mich ausgegangen ist.
Vom Pferd kam ich an das Pflugende, musste überhaupt alle Arbeiten machen, die ein junger Knecht zu tun hat. Als meine Zeit zu Ende ging, sagte der Alte eines Tages zu mir: "Fritz, für nächstes Jahr kann ich dich als zweiten Knecht einstellen." "Ne," sagte ich, "ich will nicht bei den Bauern bleiben." "Was willst du denn?" "Ich will Schreiber werden, am liebsten aber Schulmeister." - "Ja, Jung, ich weiß ja nicht, was Du in der Schule gelernt hast, ob das wohl geht? Da musst du Rektor von Minden fragen. Wo willst du das Geld hernehmen zum studieren?" O, ich wollte nicht weiter auf dem Seminar studieren, ne, so auf eigene Faust, das machten ja viele. Und nun zählte ich aus der Gegend die selbstgemachten Lehrer auf, so meinte ich das. Aber ich mochte nicht hingehen zum Rektor. Nun wurde Rat gehalten. Jehann schrieb einen Brief und damit ging ich zu von Minden. Der las den Brief und sagte: "Ja, an Anlagen fehlt es Dir nicht, aber du bist so wenig zur Schule gekommen, nur fünf Monate im Jahr, und die Zeit hast du auch nicht ordentlich nützen können wegen der Arbeit bei Dreesen. Du hast vieles nachzuholen, aber gehen wird es. Wenn Dreesen dir Zeit geben will, will ich auch Dir gern einige Stunden geben, könntest ja in der flauen Zeit vor der Ernte die Schule auch täglich besuchen. Im Sommer habe ich ja nicht viele Schüler." - Na, das ging los! Des Rektors Tochter Adele gab mir Klavierunterricht, der Rektor selbst gab mir - Französisch und Algebra! Damals sah ich das ja noch nicht ein, aber nachher sagte ich mir: Was für ein Unsinn! Und das macht ein erfahrener Lehrer. Deutsch und einfaches Rechnen hätte er mir geben sollen. Die Nachhilfestunden brachten mir nichts ein, aber die Wochen in der Schule nach meiner Konfirmation brachten mich weiter, denn da wollte ich.
Nun besorgte Rektor Angenehm, wie die Leute von Minden nannten, mir einen Posten als Schulpräparand. Im Winter ging ich noch einige Tage in der Woche zu Küster Haak in die Elementarklasse, sah mir den Betrieb ein bisschen an und half auch ein bisschen, denn ganz ungeübte Präparanden fanden so leicht keinen Platz. All die Stellen, die nun mit Seminaristen besetzt sind, wurden damals von Präparanden versorgt.
Na, damit ging ich bei Dreesen ab. Ich ging schweren Herzens weg, in ganz andere Verhältnisse hinein. Aber ich tröstete mich: Der Bauer läuft dir nicht weg, zurück kannst du immer, wenn es dir nicht gefällt oder du es nicht kannst. Gut hatte ich es gehabt beim Alten Dreesen, das ist gewiss! Er hat manchmal gedroht, mir ein Fellvoll zu geben – und ich hätte das auch wegen meines Unfugs sicher reichlich verdient - aber er hat mich nicht angerührt. Unterstützen mit Geld für meine Ausbildung konnten sie nicht, denn sie hatten selbst nicht viel in die Milch zu krümeln. Wie die Zeit erwies, sind sie einer nach dem anderen kaputtgegangen, bloß Reimer hat seinen Besitz behalten. Dort hatte die Frau das Regiment und führte das gut.
Damit war meine Stromzeit, wie Fritz Reuter sagen würde, zu Ende.

III. Abschnitt

Als Präparand (1869 - 1875)

In den Itzehoer Nachrichten standen immer lange Reihen Anzeigen: "Geübter Praktikant gesucht von Lehrer Soundso." Lehrer von 2- und 3-klassigen Schulen nahmen sich einen Präparanden. Dieser wurde dann von dem Probst geprüft und auf die Kinder losgelassen. Damals suchte Lehrer Feick in Bredstedt einen Präparanden, der mit ihm in einer Klasse gegen freie Station unterrichten sollte. Das war etwas für mich. Gegen freie Station zu arbeiten, war ich ja bisher gewohnt und ungeübt war ich ja auch. Rektor von Minden schrieb für mich hin und ich wurde angenommen. Zur Prüfung brauchte ich nicht, da ich mit dem Lehrer in einer Klasse arbeiten musste. - Feick war mehr Bauer als Schulmeister, darum war er auch auf mich verfallen, kam ich doch vom Bauern. Er stammte aus Dithmarschen, hatte 2 Jahre in Segeberg das Seminar besucht, hatte aber wegen Geldmangel das Seminar verlassen, war also halbwegs Autodidakt. Er hatte sich Grasland gepachtet, hielt 3 – 4 Kühe, einige Stück Jungvieh und Schafe.
Ich hatte eine kleine Stube. Darin stand auch ein Bett. Eines der Kindern, ein zwölfjähriger Junge, schlief bei mir. Das passte mir gar nicht. Die Kost war reichlich und deftig, gerade wie beim Bauern. Das passte mir schon besser. Feick sagte "Du" zu mir, was mir nicht weider auffiel, und schnackte bloß plattdeutsch mit mir und seiner Familie. Die Schulstube war ein großer Raum, wo 200 Kinder untergebracht werden konnten. Drei Reihen Tische wurden eng zusammen geschoben. Darauf saßen, als ich eintraf, 193 Kinder von 6 - 11 Jahren, Jungen und Mädchen. Am anderen Ende, durch einen schmalen Gang getrennt, saßen meine Rekruten. Hier hingen zwei Wandtafeln an einem Balken – von einer konnten die Kinder bei der weiten Schulstube nicht alle etwas sehen – daran malte ich Buchstaben für die Kleinen. Ich stand auf dem Tisch und schrieb, aber die Tafeln wackelten hin und her. Das ging nicht. Ich holte die Tafeln herunter auf die Tische, kniete mich darauf und malte Buchstaben für den nächsten Tag. Dann hängte ich die Tafeln auf und besah mein Kunstwerk, die Buchstaben waren ziemlich krumm und schief. Als Feick morgens hereinkam, lief er herbei und besah sich meine Schreiberei. "Mensch, was schreibst du fürn Pot." Na, ich lag nun viel länger auf den Knien, um es ihm recht zu machen. Einmal kam er morgens zu mir und sagte: "Warum singst du nicht mit?" Ich krähte damals wie ein junger Hahn. Ich wusste nicht, was mit mir los war. In Lunden war ich Chorsänger und bei Beerdigungen und Trauungen als guter Sänger ausgesucht worden - und nun konnte ich nicht. Das hätte der Mann doch wissen müssen, dass ich Stimmwechsel hatte. Ich war in meiner Unschuld zu dumm! Na, ich krähte lustig mit, um dem Mann zu gefallen.
Abends, wenn die Schule aus war, und Feick seine Vesper im Leib hatte, nahm er seinen Klüwerstecken von der Wand und ging querfeldein über die Gräben zu seinem Vieh. Dann sah ich ihn zumeist an dem Tag nicht mehr. Unter dem Koogsdeich lag so ein kleiner Krug, da saß er, bis er voll war. Oft schickte seine Frau mich abends los, da und da mal unter dem Fenster zu lauern, ob Herr Feick da wohl wäre. Wenn ich dann die Nahricht brachte, Herr Feick sitzt da oder da, dann war sie beruhigt. Sie war ängstlich, er könnte mit seinem Klüwerstecken in einen Wassergraben gefallen sein. Er soff wie ein Loch, Tag für Tag. Einmal machten wir mit der Schule einen Ausflug in Richtung Langenhorn. Bei einer Wirtschaft wurde Halt gemacht. Die Kinder spielten, und ich war draußen bei ihnen. Feick saß im Krug bei Kaffeepunsch. Er kam einmal heraus und sagte: "Komm rein, was willst Du trinken?" Ich meinte, ein Glas Bier. Das Bier kam, ich nippelte daran herum und dachte: "Was ist das Glas Bier {...Zeile fehlt...} stehen. Ich ärgerte mich nun doch, hättest du den Kram nur ausgetrunken!
Wenn es Mutter Feick einmal eilig hatte, sie und ihre Dienstmädchen, dann kamen sie manchmal zu mir herein mit ihrer kleinen Tochter Albertine. "Och, Arps, wollen sie die Kleine einmal nehmen, nur einen Augenblick, wir haben es so eilig, und sie ist so gern bei ihnen. Sie können ganz unbesorgt sein, sie ist sicher." Der Augenblick wurde gewöhnlich eine Stunde und darüber. Aus meinem Selbststudium wurde nichts, und es dauerte nicht lang, dann war ich klatschnass. Ne, lieber Kühe misten, striegeln und füttern als Kinderaufbewahren!
Morgens wusch ich mich bei der Pumpe. Zuerst kam mein Principal in Hose und Hemd, dann kam ich, Winter und Sommer. Nachher klatschte Feick mit seinen hölzernen Klotzen zur Schule, ich mit meinen hölzernen Pantoffeln hinterher, so wie ich aus dem Stall kam. Eines muss ich Feick lassen: Er hatte fürchterliche Disziplin. Der ganze Kerl sah auch schreckeinflößend aus: Eine lange Gestalt, lange schwarze Haare bis auf den Rockkragen, pechschwarze Augen, und ein Gesicht konnte er aufsetzen, dass einem Angst und Bange wurde. Kam er in die Schule, war alles mäuschenstill, 193 Gören! Ein Junge, der Sohn des Buchhändlers Karl Mussahl, sollte Schläge bekommen. Feick machte fürchterliche Anstalten. Der Junge fiel in die Knie: "Mein bester Herr Feick, schlagen sie mich nicht, ich will ihnen auch tausend Taler mitbringen!" "Na, dann lauf, aber komm mir nicht wieder so!"
Im Herbst, wenn in Bredstedt jeden Mittwoch Viehmarkt war, hatte ich die ganze Bande allein. Das war für mich eine schlimme Zeit. Ich hatte genug zu tun, die Gören in Ruhe zu halten. Die größten Schlingel schrieb ich an die Wandtafel, das half, denn Feick schlug hart zu. Er gab auch Nachhilfestunden für die Jungs aus den oberen Klassen. Ich bat ihn, ob ich nicht daran teilnehmen könnte. Er meinte, das hätte keinen Zweck, das weißt du ja alles. Das war aber nicht so. Ich musste also auf eigene Faust wieder lernen. Es war auch danach. Ich verstand ja nicht zu lernen. Saß ich beim Rechnen fest, wer sollte mir helfen? Ich schmiss den Mist hin, stand draußen am Stakett und überlegte: Sollst du wieder zum alten Dreesen laufen? Aber die Blamage!
Als die Schulprüfung kam, fragte ich Feick, ob ich mit den Kleinen was unternehmen sollte. Ja, sagte er, Anschauungsunterricht, du kannst gut den Stall nehmen. Er dachte gewiss, da wüsste ich am besten Bescheid. Wie das ging, darüber habe ich keine Meinung. Pastor Lau in Bredstedt hat mir ein schönes Zeugnis ausgestellt und mir darin zum Schluss Gottes Segen gewünscht. Na, der ist ja auch nicht ausgeblieben. Feick schickte mich fleissig zur Kirche, er kam nicht dorthin. Er meinte, wenn du dich da auch nicht immer erbauen kannst, kannst doch etwas lernen. Auch eine Ansicht! Aber damals habe ich es ihm geglaubt. Alle Vierteljahr wurde ein Bericht über die Versäumnisse an das Visitatorium eingereicht. Tägliche Listen führte Feick nicht. Dann rief er: "Arps komm mal rein." Er schwitzte über seinem Bericht. Nun fing er oben an: "Hans Jessen, hat der gefehlt?" "Ne, ich glaube nicht, doch einmal ist er einen Tag krank gewesen." "Schön!" Und so gingen wir die ganze große Reihe durch. Was bedauerte ich den Mann, dass sie von ihm für ein ganzes Vierteljahr wissen wollten, ob die Kinder gefehlt hatten oder nicht. Wie einfach es ist, wenn man das täglich aufschreibt, zu der Einsicht kam ich erst später.
Zu meinem Glück wurde die Schule aufgelöst und Seminaristen angestellt. Also musste ich dann reisen!
Feick stellte mir ein schönes Zeugnis aus, das war auch ein saures Stück Arbeit für ihn, dazu das Zeugnis von Pastor Lau, so dass ich mir ordentlich wichtig vorkam.
Hier sind die beiden Zeugnisse:
Fritz Arps aus Lunden in Norderdithmarschen ist seit Ostern v. J. Unterlehrer bei mir gewesen. Derselbe ist körperlich wohlgestellt u. geistig mit sehr guten Anlagen ausgerüstet, und da er während seines Hierseins ausgezeichnet fleissig für Schule und Fortbildung gewesen, so hat er sich nicht nur einen guten Schatz nützlicher Kenntnisse erworben, sondern auch mit gutem Erfolg in meiner Schule gewirkt. Er war bei den Schülern, sowie bei den Eltern hier im Flecken ganz beliebt. Im häuslichen Kreise gefällt er durch sein anspruchsloses und bescheidenes Auftreten, sowie durch seine Gefälligkeit gegen die Familienmitglieder außerordentlich. Mit Recht kann ich also diesen jungen Mann bestens empfehlen.
Bredstedt, den 12. April 1870
(Siegel)
gez. Mark. Feick

Der Schulpräparand Fritz Arps aus Lehe bei Lunden, 18 Jahre alt, ist seit Ostern 1869 Gehilfe in der hiesigen Elementarschule gewesen und hat mit treuem Fleiß und gutem Erfolge auf dem ihm angewiesenen Arbeitsfelde gewirkt. Auch ist er stets bemüht gewesen, - und nicht vergeblich – sich für seinen wichtigen Beruf weiter auszubilden, und hat sich, sowohl im Hause, als auch außerhalb durch tadelloses Betragen ausgezeichnet. Dies Zeugnis stelle ich mit Freuden aus, wünschend, dass dasselbe ihm zu seinem weiteren Fortkommen förderlich sein möge. Gott geleite ihn mit seinem Segen!
Bredstedt, den 2. März 1870
(Siegel)
E. Lau
Pastor und Schulinspektor


Auf meine Bewerbung hin wurde ich als geübter Präparand in Süderdeich bei Wesselburen für die 2. Klasse angenommen. Jehann Dreesen fuhr mich mit meinem braunen Koffer, worin ich meine Bücher und Klamotten verstaut hatte, nach Süderdeich. Als Jehann zurück fuhr, rief Köster mich in seine Stube herein und jagte die Kinder hinaus. Er war damals knapp 40 Jahr alt, Witwer und hatte 6 kleine Kinder. Ju Mutter war die älteste, reichlich 12 Jahre alt. - Er fing an und prüfte mich. Fragte unter anderem: "Können Sie eine Quadratwurzel ausziehen?" Nun hatte ich ja allerlei Wurzeln kennengelernt, aber so eine Quadratwurzel war mir ganz unbekannt. "Ja, kennen Sie nicht mal die Formel a² + 2ab + b²?" Ne, sagte ich, die wäre mir ganz unbekannt. Er fragte noch allerlei, was ich nun nicht mehr so weiß und sagte zuletzt: "Sie wissen aber nicht viel." Das gab ich zu, sagte aber, ich hätte {...Zeile fehlt...} damit gab er sich zufrieden und verprach mir, wenn wir uns {...Zeile fehlt...}-gen könnten, wäre er gern bereit, mir zu helfen. Ich machte Aufsätze für ihn, auch gab er mir Geometrie, und im übrigen wühlte ich auf eigene Faust in den Wissenschaften herum, durchweg dummes Zeug!
Nach einigen Wochen bekam Köster von Probst Thomsen aus Neuenkirchen, ein Schreiben, er sollte seinen Präparanden zur Prüfung schicken. Tag und Stunde waren angegeben. Das war ein schwerer Gang, die erste Prüfung! Ich zog meinen blauen Rock an, der noch aus dem Mantelkragen vom alten Dreesen gemacht war, und ging nach Neuenkirchen. Hatte ich Glück, dann war der Schulmeister fertig. Ich bliebe dann einige Jahre in Süderdeich und könnte mich als Autodidakt zu einer Schulstelle melden. Aber ganz geheuer war mir bei der Geschichte nicht zu Mute. Der Probst war sehr freundlich. Er nahm mich mit zur Schule, und dort musste ich einige Lehrproben zeigen in Biblischer Geschichte, Lesen, Rechnen und Anschauung. Dann gingen wir zurück zu seiner Studierstube. Hier fragte er mich allerlei, u. a. auch nach Hebelgesetzen. Ich sagte nicht viel dazu, weil ich nichts wusste. Ich musste eine schriftliche Arbeit machen, und dann kam das Resultat: Mein Zeugnis über die Anstellung für die 2. Klasse in Süderdeich. Der Probst sagte: "Die Gebühr für die Prüfung beträgt 2 preussische Thaler." Ich sagte ganz verwundert: "Geld habe ich nicht bei mir." Er besann sich einen Augenblick und sagte dann: "Sie reisen in den Pfingstferien gewiss nach Lunden. Dann können Sie gut über Neuenkirchen gehen und mir die 2 Thaler mitbringen. Ich händige Ihnen dann das Zeugnis aus. Grüßen Sie Herrn Köster von mir und sagen Sie ihm, dass Sie die Prüfung bestanden hätten, und die 2. Klasse übernehmen könnten."
Zweierlei begreife bis heute noch nicht. Einmal, wo ich die Courage hernahm, in meiner Unwissenheit Schulmeister zu werden, und zweitens, wie die Behörde (der Kirchenprobst) es verantworten konnte, einem Bauernknecht frisch vom Pflug – das Jahr in Bredstedt ist nicht zu rechnen, da hatte ich nichts gelernt – eine volle Schulklasse zu übergeben! War doch ein Skandal!
Ich trottete seelenvergnügt nach Süderdeich, hatte ich doch nun den Hintern fest, freie Station und jährlich 48 preuss. Taler, 144 Mark Kurant! Was konnte ich dafür alles kaufen. Köster brachte ich den Bescheid vom Probst. Er schaute mich etwas zweifelnd an und meinte: "Hat der Probst Ihnen kein Zeugnis oder eine Bestallung mitgegeben?" "Ne." "Das ist ja merkwürdig, sonst gibt er doch immer einen Bescheid mit." Da mir das Misstrauen sehr unbequem war, nannte ich Köster den Grund. "Der Schuft," sagte er, sonst weiter nichts.
Nun bin ich Vater Köster sehr dankbar was Schulpraxis anbelangt. Er hat mich sehr gefördert. Er nahm mich mit auf einen Spaziergang und fragte dann: "Was haben Sie morgen?" Dies und das... Ja, das müssen Sie so machen. So setzte er mir dann den Ablauf auseinander. "Nun setzen Sie sich zu Hause hin und arbeiten das schriftlich aus, und dann unterrichten Sie danach!" Das ging, und ich bekam Spaß an der Sache. Zum Dank half ich Köster im Garten, auf der großen Wurth, und besorgte im Winter die Kühe.
Anmerkung meiner Mutter: Lehrer Köster wurde Großvaters Schwiegervater.

IV. Abschnitt

Wie ich in's Amt kam

1874 meldete ich mich in Eckernförde zur Aufnahmeprüfung für das Seminar. Da waren so viele, dass nur einer von zweien aufgenommen werden konnte. Jan Nissen, Mathematiklehrer, brachte mich um. Ich fiel durch. Na, nächstes Jahr wieder hin. Da waren wir 48 Präparanden und 30 konnten bloß aufgenommen werden. Ich wurde aufgenommen. Im ersten Jahr habe ich böse gearbeitet, um gerade vor zu kommen. Im zweiten Jahr habe ich viel gebummelt, weil ich leicht mitkommen konnte, und im 3. Jahr griff ich die Sache nochmals wieder scharf an. Und nun muss ich wohl im 4. Abschnitt erzählen, wie ich ins Amt kam.
"Vater," sagte einer meiner großen Jungs einmal zu mir, "wie kamst du dazu, dich um so eine kleine Schulstelle wie Scholderup zu bewerben, eine einklassige Schule mit 900 Mark Gehalt? Du hättest doch bestimmt eine viel bessere Stelle bekommen können." "Dösbartel," sagte ich, "ich habe mich doch gar nicht beworben, die Bauern haben mich geholt." "Was?" "Lass dir das erzählen, aber erst muss ich die Pfeife anzünden – nun hör zu!"
Das Dorf Scholderup liegt wunderschön in Südangeln an der Loiter Au. Die Leute hatten eine kleine einklassige Schule mit etwa 30 Kindern, aber keinen Schulmeister. Sie hatten einen Autodidakten gehabt, einen tüchtigen Mann, Wiese hieß er, aber der war nach Süderfahrenstedt gezogen. Nun wurde die Stelle ausgeschrieben, aber keiner wollte dort arbeiten. Seit 2 Jahren unterrichtete da ein Mann, v. Pein hieß er, die Scholderuper Gören interimistisch, aber es war auch entsprechend! Der Mann war kein Schulmeister, er war Ökonom, Vorsteher vom Armenhaus gewesen, hatte bei den Kindern ein bisschen unterrichtet. Da v. Pein ein guter Kerl war, namentlich recht kirchlich, wollte Pastor Claudius ihn in Tolk fest anstellen. Das wollten die Scholderuper aber nicht, denn in der Schule ging alles drunter und drüber, und lernen taten die Kinder gar nichts als dummes Zeug. Der Schulvorsteher ging zu Probst Hansen in Schleswig und sagte zu diesem: "Herr Probst, wenn wir für unser Schule einen Seminaristen bekommen können, wollen sie den fest anstellen?" "Ja, das muss ich, wenn an dem Mann sonst nichts auszusetzen ist, aber da meldet sich ja keiner." "Einerlei, wenn wir einen haben, kommen wir wieder."
Eines Tages spannte der Krüger Johann Bock seinen besten Wagen an, und die beiden Schulvorsteher Hans Jörn Schmidt - der ist über 95 Jahre alt geworden - und Andrees Tönnsen kletterten zu ihm hinauf. Sie fuhren über Missunde nach Eckernförde, um sich einen neuen Schulmeister zu suchen. Bei Adolf Schädlich auf dem Damm stellten sie ihr Fuhrwerk ein. "Sagen Sie mal," sagten sie zum Wirt, "kennen Sie nicht einen Seminaristen, der zu Ostern abgeht und gern auf das Land will?" "Ne, Seminaristen kenne ich gar keine. Hier bei mir kommen sie nicht. Da müssen Sie zu Julius Dormann nach Borby gehen, der kennt sie alle!"
Na, die Scholderuper schlurften über die Brücke nach Borby und kamen bei Julius an. Julius schaute sich die Bauern in ihren Dreischichten mit seinen lustigen Augen ganz vergnügt an und sagte: "Kinder, setzt euch hier nur ein bisschen hin." Als sie hinter einem Glas Bier saßen, beteten sie den selben Vers herunter: "Sagen Sie mal, kennen Sie vielleicht einen von den Seminaristen, der gern aufs Land geht?" "Die Seminaristen, die kenne ich alle, waren gestern erst hier zu ihrer Monatskneipe, da habe ich sie alle duhn gemacht. Tja, aber aufs Land gehen sie nicht gern, die Bauern geben nichts aus. Wir können die Reihe ja einmal durchgehen, die Ostern Examen machen. Arps will nach Altona, Drews kommt nicht in Betracht, Göttsch will nach Elmshorn, usw." "Ja," sagten die Bauern, "wir wollen uns das ja gern etwas kosten lassen, wenn wir einen ordentlichen Schulmeister kriegen können, denn wir sitzen da bös zu." Julius rieb sich seinen dicken Kopf, der so glatt wie eine Billardkugel war. Das machte er immer, wenn er über etwas nachdachte. "Ich will euch einmal etwas sagen, wenn ihr Arps kriegen könnt, das wäre ein passender Mann für euch. Der ist bis 18 Jahr beim Bauern gewesen, weiß auf dem Land Bescheid, sollte die Jungs in der Seminarschule fix regeln können. Ja, den müsst ihr haben, der soll Euch wohl gefallen. Sonst wüsste ich keinen, wahrhaftig nicht. Ob er sich aber schon in Altona festgemacht hat, das weiß ich nicht. Bewerben wollte er sich, das hat er noch vorige Woche zu mir gesagt." "Ja, Leute," sagte Hans Jörn, "dann lass uns mal zu dem Diretor gehen und uns nach Arps erkundigen." "Ne," sagte Julius, "geht nicht zum Direktor, geht lieber zum Seminarlehrer Claußen, mit dem könnt ihr viel besser reden, der schnackt plattdeutsch so geradewegs. Eben über die Brücke, in der Frau-Klara-Straße, da wohnt er." Die drei Angeliter gingen zu Claußen.
Wie sich das nun abspielte, lag ich im Haus auf dem Sofa und wusste von nichts. Ich wollte mir einen guten Mittagschlaf nehmen, denn die Sitzung bei Julius war lang und schwer gewesen. Sonntags, mittwochs und sonnabends gehörte mir das Sofa, die anderen 4 Tage lag mein Stubenkollege Schmidt darauf.
Ich war so eben beim Absegeln, da wurde an die Tür geklopft. Ich sprang auf und rief: "Herein!" Seminarleiter Claussens ältester Sohn kam herein, der in die 1. Klasse der Seminarschule ging. Ich hatte ihn im Unterricht – Er ist Pastor in Wilster geworden! "Ich soll grüßen von meinem Vater, ob Sie nicht einmal zu ihm kommen wollten." Mein erster Gedanke: "Was hast du ausgefressen?" Ne, mein Folium war rein. "Du weisst wohl nicht, was ich denn soll." "Da sind Bauern, die wollen Sie zum Lehrer haben." - "Schön, ich komme sofort." Ich machte mich nun also salonfähig. Bei Claußen fand ich dann die drei Bauern. Sie musterten mich und ich sie.
Claußen stellte sie vor und sagte dann zu mir: "Die Herren möchten mit Ihnen unterhandeln, ob Sie gewillt sind, zu Ostern ihre Schule zu übernehmen." "Tja, was ist das für eine Schule, und was bringt die Stelle ein?" "Das ist eine einklassige Schule und bringt außer Wohnung, Garten und freier Feuerung 900 Mark." "Da muss ich verzichten. Sie werden so leicht keinen Seminaristen finden, der darauf eingeht. Übrigens wollte ich nach Altona." "Tja," meinte Hans Jörn, "die Stelle bringt auch mehr ein, die kann unter Umständen 1100 bis 1200 Mark einbringen." "Wieso denn das?" "Tja, da besuchen aus Tarstedt fremde Kinder die Schule, die geben Fremdenschulgeld. Die Tarstedter können sich mit ihrem Schulmeister nicht vertragen. So schicken die Leute ihre Kinder nach Scholderup." "Die Sache ist mir doch zu unsicher. Einmal weiß ich nicht, ob die Tarstedter mir ihre Kinder anvertrauen wollen, und zweitens kann der Lehrer wegziehen, und dann sitz ich da mit meinen 900 Mark." "Ne, ne, wegziehen tut er nicht, die Tarstedter haben ihm 1500 Mark geboten, dann sollte er sich nach einer anderen Stelle umsehen, aber da hat er gesagt: Ne, das gefällt mir hier, Kampf ist mein Leben." "So, so, aber dann kann er doch sterben, dagegen kann er sich nicht wehren." Die Scholderuper ließen die Köpfe hängen, und Claußen griente sich eins. "Tja," meinte Andrees Tönnsen, "können Sie nicht mal nächsten Sonntag rüberkommen, dann können Sie sich die Stelle einmal ansehen, und wir können die Sache besprechen und abschließen. Sie sollen nicht zu Schaden kommen!" Na, ich verprach, den nächsten Sonntag Scholderup aufzusuchen und meinen Stubenkollegen Schmidt - später Rektor Schmidt, Altona - mitzubringen, denn er war aus der Gegend.
Ich legte mich wieder aufs Sofa, konnte aber nicht schlafen. Was ein Wunder! Die drei Bauern sahen sich Eckernförde an. Wie sie mir nachher erzählt haben, kamen sie auch zum Ratskeller. Hier wurden sie in den Schummerabendklub aufgenommen, mussten tüchtig etwas spendieren, und fuhren nachher vergnügt und voll bis an'n Proppen nach Hause – nur der Fuhrmann hatte sich nicht ganz so voll gesaugt, weil er fahren sollte.
Sie kamen glücklich bei Missunde über die Treckfähre, nur Jehann Bocks Hut flog über Bord in die Schlei. Der schwomm zur Ostsee hinaus, und Jehann musste in Hoorn, mit dem was er da noch aufzuweisen hatte, nach Scholderup fahren. Von dieser Reise haben sie später noch oft erzählt, besonders von der hübschen Sitzung im Schummerabendklub.
Am nächsten Tag kam ich nach Borby zu Julius. Dort hatte ich Freitagsmittags einen Freitisch und jeden Abend ein belegtes Butterbrot und einen Schnitt Bier. Dafür war ich am Kneipabend sein Oberkellner, verkaufte Biermarken und führte Buch über die Saufschulden der Seminaristen. Also, ich kam bei Julius an, zapfte mir einen Schnitt Bier, und Julius rief durch die Luke: "Ein Butterbrot für meinen Oberkellner." Er setzte sich bei mir hin, sah mich ganz schlau an und sagte: "Na, klein Fritz, du sollst Dorfschulmeister in Scholderup werden?" "Was weißt du davon, das ist noch lang nicht ausgesungen. Ich will nach Altona." "Fritz, du Döskopp, du bist ja ochsendumm. Was willst du in Altona? Da sitzt du mit 1200 Mark auf der steineren Straße. Hast keine Wohnung und keine Feuerung. Die meisten laufen ja wieder weg: Till Loft kommt hier nach Hochdörp, Ernst Brudersen ist nach Schlichting versetzt. Wer kein Geld extra hat, läuft weg. Geh du nur ruhig nach Angeln, die Bauern werden für dich tun, was sie können. Ich hab dich so herausgestrichen, sie sind schon ganz vernarrt in dich. Du bist ja auch ein guter Kerl, aber, - zu dumm, zu dumm!
Am nächsten Sonntag gingen Schmidt und ich über Kosel, Missunde und Brodersby nach Scholderup. Jehann Bock, der Krüger, ließ uns in seine beste Stube hinein, dort servierte er uns eine gebratene Ente und eine Flasche Wein. Na, der Wein war uns etwas zu sauer, den tranken wir nicht aus, aber die Ente wurde gründlich geplündert. Nach dem Mittag kamen wir bei Andreas Tönnsen, der dicht bei dee Schule wohnte, mit den Herren zusammen. Hier wurde nun so eine Art Kuhhandel abgeschlossen. "Sehen Sie mal," sagte Hans Jörn, "Scholderup ist eine kleine Gemeinde, lauter kleine Bauernstellen, und so können wir die 900 Mark für unsere Schule nur schwer aufbringen. Die Regierung gibt uns jährlich 180 Mark als Zuschuss. Wenn wir nun sagen, dass wir unserem Lehrer 1050 Mark bewilligen, so sagen sie in Schleswig, schön, dann braucht Ihr uns auch nicht, und behalten die 180 Mark ein. Was wir nun abmachen, das muss ganz unter uns bleiben, davon darf nicht gesprochen werden. Man weiß nicht, wie das wieder nach Schleswig gebracht wird. Wollen Sie uns das erst einmal versprechen?" "Ja, das kann ich ruhig machen, von mir soll nichts herauskommen." "Schön, nun haben wir uns das so gedacht, wir sichern Ihnen 1050 Mark, solange Sie hier bei uns bleiben. Was die fremden Kinder mehr als 1050 Mark einbringen, gehört Ihnen, was unter 1050 bleibt, schießen wir zu. Was sagen Sie dazu?" Ich gab Schmidt einen Wink, und wir gingen hinaus.
"Na David, was sagst du dazu?" "Mensch, das musst du machen, du kannst nirgends deine Schulden besser los werden als hier." "Tja, mach du das. Die Scholderuper kennen dich nicht und kennen mich nicht, denen ist das egal, wenn sie man nur einen Seminaristen bekommen." "Ja siehst du, mit mir liegt das anders. Einmal habe ich nicht so viel Schulden wie du und zweitens kann ich bei meiner Schwester in Altona billig Kost und Logis haben. Ne, ich gehe nach Altona." Mir fiel der Schnack von Julius wieder ein: Fritz, du bist so dumm! Wir gingen wieder hinein. Ich fragte: "Wie ist es hier mit einer Unterkunft?" "Daran haben wir auch schon gedacht. Wollen Sie sich die Schule nicht einmal ansehen?" Ne, das mochte ich nicht. Warum sollte ich den Mann, den ich verdrängen würde, unnötig belästigen." Na, das schien sie zu freuen.
"Andres, hol Jan Peter mal rüber." Jan Peter Petersen, Jan Peter Fiduri genannt, kam. "Jan Peter, willst du den neuen Schulmeister in Kost nehmen?" "Ja, aber Fuchs wollte ihn ja gern haben." "Och, der ist zu teuer, da soll er nicht hin." "Ja, er kann eine Stube mit Bett bei mir haben und Feuerung hole ich von der Schule." "Ja, was soll ich für Kost und Logis ausgeben?" "300 Mark im Jahr." "Kurze oder lange Mark?" sagte ich. Damals rechnete man die kurze Mark zu 10 Groschen, die lange zu 12 Groschen. "Ne, kurze." Na, ich gab den Bauern die Hand, wie es nach jedem abgeschlossen Handel Brauch war, und sagte "Dann komme ich Ostern, wenn ich das Examen bestanden und die Ernennung aus Schleswig bekommen habe.
David Schmidt und ich machten uns auf den Weg nach Eckernförde. Unterwegs schütteten wir unser Kleingeld zusammen und beschlossen: "So, das langt bis Eckernförde." Wir kamen ganz selig dort an und krochen bald ins Bett. Julius meinte: "Fritz, da hast du ein kluges Stück getan." Und er behielt Recht.
Der Direktor rief mich eines Tages: "Kommen Sie doch nach der Stunde einmal zu mir." "Na, Sie haben sich um Scholderup beworben?" "Nein, eigentlich nicht, Herr Direktor." Ich erzählte ihm ganz kurz, wie das gekommen war. "Probst Hansen aus Schleswig erkundigt sich bei mir nach Ihnen. Ich kann Ihnen ja ein gutes Zeugnis ausstellen und ihm mitteilen, dass Sie die Abschlussprüfung voraussichtlich bestehen werden. Nun verlangt er aber von Ihnen eine schriftliche Zusicherung, dass Sie nach bestandener Prüfung die Stelle annehmen werden."
Aha, der Probst hatte mich in Verdacht, dass ich die Scholderuper für Bauern gehalten hatte. Wie mir erzählt worden ist, gingen die Schulvorsteher zum Probst und sagten: "Herr Probst, nun haben wir einen Seminaristen für unsere Schule." "So, wer ist das denn?" "Der Seminarist Arps aus Eckernförde." "Ja, wissen Sie gewiss, dass der Mann auch kommt?" "Ja, das hat er uns fest versprochen." "Schön, ich werde die Sache weiter verfolgen."
Aus Schleswig kam die Ernennung. Nun hatten die Scholderuper ein große Dummheit gemacht. Sie hatten den Pastor Claudius in Tolk, den Ortsschuleinspektor, übergangen. Sie wollten ihn nicht dazwischen haben, weil er seinen Mann, der an der Schule war, fest anstellen wollte. Nun nahm er das den Scholderupern krumm, dass ein junger Mensch einen älteren Mann verdräng sollte. Seinen Groll übertrug er auf mich, und ich musste mich lange wehren, bis ich das wieder in Ordnung bekam.
Die Scholderuper schrieben mir so eben vor dem Examen, dass sie eine Lehrerwohnung an einen jungen Arbeiter für 46 Mark jährlich vermieten könnten. Die Miete fiele mir zu, ob ich einverstanden wäre. Auch waren sie erbötig, mich mit einem Wagen abzuholen, und wenn nötig, einen Vorschuss zu geben. Auch das war angenehm.
So reiste ich schuldenfrei aus Eckernförde ab, aber eine Schuldenlast von 2250 Mark in Lunden blieb bestehen. Ja, wer sich mit dem Hund ins Bett legt, steht mit Flöhen wieder auf. Als ich mich beim Schulinspektor Claudius in Tolk vorstellte, war der Empfang "sehr kalt". Er drückte mir einen Stundenplan und einen Lehrplan in die Hand. Das sah auf dem Papier sehr einfach aus, war für mich aber leider nicht zu gebrauchen. Bei der Einstellung ins Amt war die Schule proppenvoll mit Leuten. Ich hatte mich ordentlich vorbereitet, kam auch fein zurecht, aber die Gören waren weit zurück. Vorsichtigerweise hatte ich meine Lehrproben für die Mittelstufe zugeschnitten, so ging das.
Nun hatte ich also ohne Hilfe von Vater und Mutter das Ziel erreicht, das ich mir als kleiner Bauernknecht in meiner Unschuld gesetzt hatte, und als alter Mann fragte ich mich noch manchmal: Wie konnte das nur angehen?
Als ich schon ein Jahr in Scholderup gewesen war, erzählten mir die Bauern, dass sie zu den Taarstedter gesagt hätten, der neue Schulmeister wolle die fremden Kinder nur für 20 Mark im Jahr unterrichten. "Teufel noch mal, das ist viel Geld," hatte Lass gesagt, "ich habe 4 Kinder dort, das macht 80 Mark! Ja, dann hilft mir das nicht, was muss, das muss!" Die schlauen Bauern in Scholderup hatten so gedacht: Geht das gut mit dem neuen Lehrer, so bleibt er viel länger, wenn er gut verdient, und bleibt vom Zuschuss verschont. Das ging gut. Die fremden Kinder stiegen auf 22 Mark. Das war also eine Nebeneinnahme von 440 Mark (+900 Mark = 1340 Mark), dazu 46 Mark Miete fürs Schulhaus (= 1386 Mark). Für Kost und Logis bezahlte ich 300 Mark. So blieben mir 1086 Mark.
Auch aus Twedt, - wo Lehrer Bruhn, wenig älter als ich, als 1. Lehrer einer zweiklassigen Schule angestellt war, - kamen Leute, die mir ihre Kinder anvertrauen wollten. Ich lehnte ab, da ich mit Bruhn befreundet war. Auf Lehrer Bönk aus Taarstedt brauchte ich keine Rücksicht zu nehmen, denn der hatte mir gesagt: "Nehmen Sie soviel Kinder wie Sie bekommen können, dann brauche ich sie nicht zu unterrichten." Ein Bauer aus Taarstedt sagte zu mir, als ich ablehnte: "Sie kriegen meine beiden Kinder doch." Er brachte die beiden "so pro forma" bei seinem Schwager Chr. Petersen in Scholderup unter, da musste ich sie nehmen. Aber sein Schulgeld hat er immer treu bezahlt. Als ich die Kinder erst hatte, fuhr er sie morgens herüber, und abends gingen sie nach Hause.
Einmal wurde mir ein Ausspruch des Pastors zugesteckt. Er hätte gesagt: "Ich muss wohl einmal runter zu der Universität Scholderup, damit Arps mir die Schule nicht zu voll macht." Er hat mir aber nichts gesagt. Er sah wohl ein, die Sache hatte Schick. Der Beweis sind seine Zeugnisse, die er mir ausstellte, wenn ich mich einmal bewerben wollte.
Nach zwei Jahren machte ich das zweite Examen, und dann dachte ich so bei mir: Nun kannst du auch gut eine Frau nehmen, und rechnete mir das schon aus. Du lebst eigentlich billiger mit einer Frau als allein, du gehst dann nicht so viel zum Krug, deine Wäsche wird in Ordnung gehalten, und dann die Naturallieferungen: 5 Tonnen (es sind wohl Zentner gemeint) Roggen, 1 Pfund Butter von jeder Kuh, ein Kanne Milch jeden Tag frei Haus, und alles billig angerechnet. Dann war da der Garten, wo ich Kartoffeln und Suppenkraut anbauen konnte, den hatte ich auch noch. Also dann los!
Vater Köster meinte: "Wie sieht es denn mit deinen Seminarschulden aus?" "O," sagte ich vergnügt, "die habe ich heruntergekratzt bis auf 1050 Mark." Ich hatte ja allerlei anschaffen müssen, sonst wär es mehr gewesen. Na, er machte nicht so ein vergnügtes Gesicht wie ich, ließ aber der Sache ihren Lauf.

Schlusswort von Hermann Arps

Hier brechen Vaters Aufzeichnungen ab. 1885 kam er als 1. Lehrer an die 2 kl. Schule in Ekenis, und hier blieb er bis zu seiner Pensionierung am 1. Okt. 1920.

Allerlei Kleinkram

1. Anleihe

"Was, du hast kein Geld? Leih dir doch was. Das ist heutzutage keine Schande. Alles macht Anleihe oder kauft auf Kredit, das geniert gar nicht, Jan Peter." So hörte ich im Vorbeigehen einen Bauern zum anderen sagen. Dabei fiel mir eine alte Geschichte ein, die sich vor mehr als fünfzig Jahren zugetragen hat. Lasst euch erzählen:
Es war ein herrlicher Sonnentag. Die kleinen Vögel waren ganz aus der Tüte. Es flötete und sang und jubilierte, dass man die größte Lust hatte, mit einzustimmen. Und zwischen den Knicks und den Blumen kroch allerlei kleines Getier herum. Ne, was ein Leben und was eine Lust!
Zwei Schustergesellen, keine Stromer, keine Schnapsbrüder, ne, richtige Handwerksburschen mit gutgespickten Ranzen auf dem Buckel, hörten und sahen nichts von der Pracht und dem lustigen Leben um sie herum. Sie schauten ganz besorgt in den schönen Tag. Kein Wunder! Sie hatten keine Arbeit und kein Geld.
Sie gingen einen Richtweg über die Koppeln auf die Kirche zu, die hoch und still für sich allein lag. Unter der Kirchhofsmauer warfen sie ihre Ranzen ab und legten sich still und verdrießlich ins weiche Gras.
Da sagte der eine: "Mensch, Hannes, lass uns bloß machen, das wir aus deinem fetten Angeln heraus kommen. Du hast soviel Hopphei von deiner schönen Heimat gemacht, aber - ich merke schon, hier können wir glatt verhungern und uns dann auf der anderen Seite von der Mauer begraben lassen. Hier ist nichts zu erben, hier finden wir keine Arbeit. Kinder und junge Leute laufen hier barfuss, und die anderen stapfen in Holzschuhen herum, höchstens sonntags tragen sie Stiefel. Die brauchen hier keinen Schuster. Wir müssen uns herausfechten, es hilft nichts, dass wir nach Preets kommen, da finden wir Arbeit genug."
"Ja, Jörn, du hast Recht, wir müssen hier raus, aber - fechten tu ich nicht." "Tja, was willst du denn? Verhungern?" "Ich verkaufe meinen besten Anzug, setz mich auf die Bahn und fahr nach Preets. Wenn mir die Fabrikarbeit da auch nicht nach der Mütze ist – wir haben doch unser Brot..." "Ich habe auch schon daran gedacht, Hannes, etwas von unserem Kram zu Geld zu machen, aber da ist auch etwas dabei. Wir müssen das ja weit unter Preis losschlagen. Wär es nicht besser, wenn wir unsere Sachen in Pfand geben? Vielleicht schießt uns einer das Reisegeld vor - wenn du durchaus nicht fechten willst." "Ja, Jörn, lass uns das versuchen."
"Bumm, bumm!" fingen die Glocken an zu läuten. "Na, was hat das zu bedeuten?" "Da soll wohl einer beerdigt werden. Wenn der Leichenzug in Sicht ist, werden die Glocken geläutet."
Von der anderen Seite kam ein langer Leichenzug, eine ganze Reihe Wagen hinter dem Leichenwagen her und viele Fußgänger gaben dem Toten das letzte Geleit dorhin, woher keiner zurück kommt. Die beiden Schustergesellen lauerten so eben über die Mauer und sahen, dass alle Leute in die Kirche gingen.
"Na," sagte Hannes, "da freuen der Pastor und der Küster sich." "Wieso freuen der Pastor und der Küster sich?" "Tja, wegen des Opfers, je mehr Leute, je mehr Geld." "Das musst du mir näher erklären, wie es damit ist." sagte Jörn.
"Siehst du, der Sarg wird in der Kirche vor dem Altar abgesetzt, und der Küster steht in seinem Stuhl und stimmt einen Gesang an. Nach dem Gesang hält der Pastor seine Kirchenpredigt. Dann kommt der Schlussgesang. Dann steht das Gefolge auf, und nun gehen die Männer um den Altar herum und legen mit der einen Hand Geld auf den Altar und mit der anderen Hand in das Becken auf dem Küsterstuhl. Was auf den Altar fällt, gehört dem Priester und was in das Becken fällt, dem Küster. Ist das Opfern beendet, wird der Sarg zum Grab getragen, und hier singt der Küster: "Begrabt den Leib in seiner Gruft", und der Pastor redet noch kurz und segnet den Toten ein. Wenn Pastor und Küster sich von den nächsten Angehörigen verabschiedet haben, gehen sie zur Kirche und holen ihr Geld, ihr Opfer. Das ist ein Teil von ihrem Gehalt!"
"Das ist ja eine putzige Mode." sagte Jörn. "Menschenskind Hannes, da fällt mir etwas ein. Das Geld könnten wir gut gebrauchen. Sollten wir das nicht holen können?" "Bist verrückt? Stehlen? Kirchenraub? Ne, du, das meinst du ja gar nicht so, bist so ein alter treuer Bursche!" "Na, man nicht so hitzig! Sieh, ich wollte das ja nur leihen. Nach einigen Wochen, wenn wir erst Arbeit haben, schicken wir ihnen das Geld wieder zu. Wir holen uns das, setzen uns auf die Bahn und fahren nach Preets. Mir knurrt der Magen ganz verflucht, und fünfzehn Pfennige hab ich man noch - und du?" "O, ich hab noch fünfundzwanzig Pfennige." "Na, siehst du, wenn wir nicht fechten wollen und unser schönes Zeug nicht versetzen, was wollen wir dann? Verhungern und begraben lassen wie die da? Und dann in dieser schönen Frühjahrszeit? Wir können ja so einfach das Geld leihen. Wenn wir hier von der Rückseite zur Kirche gehen, sieht uns kein Mensch."
"Willst du mir versprechen, dass wir das Geld sobald wie möglich durch die Post zurück schicken? Pastor und Küster sind mir den Namen nach bekannt." "Natürlich, sobald wie möglich, nur eine Anleihe machen, Hannes, ganz sicher." "Schön, dann meinetwegen los!"
Pastor und Küster konnten sich gut leiden und vertragen, nur die ollen niederen Küsterarbeiten, wie Betglocke schlagen, Kirche reinigen, Lüften, Nummern anstecken, Kirchhof in Ordnung halten usw. brachten doch oft Verdruss zwischen die beiden, dem der Pastor gewöhnlich hoheitsvoll mit den Worten "Im Inventarium steht geschrieben..." ein Ende machte. Vor der Schrift hatte der Küster Respekt. Er zog sich dann mit einem verdrossenen Gesicht zurück.
Einmal war eine Eule von den Kirchbäumen zur Kirche hinunter gekommen, hatte sich wohl bei Nacht die Kirche einmal ansehen wollen, und auf der Altardecke ihre Visitenkarte hinterlassen. Sonntags bemerkte der Pastor zu seinem Schrecken die Marke der Eule. Nach dem Gottesdienst rief er den Küster herbei und sagte in herrischem Ton: "Das haben Sie wegzuschaffen. Die Decke wird gewaschen, geglättet und säuberlich wieder hingelegt." "Erlauben Sie, Herr Pastor, das gehört nicht zu meinen Aufgaben." "Was?" Und nun begannen die beiden in der Kirche zu streiten. Und da der Pastor diesmal nicht anführen konnte: "Im Inventarium steht geschrieben, wenn eine Eule usw.", so bekam der Küster Oberwasser. "Herr Pastor," sagte er ganz forsch, er dachte an das Opfern, "im Inventarium steht geschrieben, was auf den Altar fällt, gehört dem Pastor." Damit war die Sache erledigt. Der Pastor kehrte sich schwubbs um und ging weg. Am nächsten Tag lag eine saubere Decke auf dem Altar. Ja, ja, Respekt vor der Schrift!
Um nicht weitläufig zu werden, erzähle ich noch rasch, wie die beiden Kirchenherren vom Grab ganz einträchtig zur Kirche gingen, wo die beiden Schustergesellen gerade ihre Anleihe abgehoben hatten. Die verdutzten Gesichter zu beschreiben, die Pastor und Küster machten, als sie reinen Tisch vorfanden, muss ich anderen überlassen, ich kann das nicht. "Das ist ja infam," sagte der Pastor, "das ist Kirchenraub, darauf steht Zuchthaus." "Ja, wollen Sie die Sache denn zur Anzeige bringen? Wer weiß, was wir davon für Scherereien haben. Und ob wir das Geld oder einen Teil davon wieder bekommen, ist mehr als fraglich. Wenn wir die Sache an die große Glocke hängen, haben unsere Bauern einen prächtigen Gesprächsstoff, der ihnen viel Spaß machen wird. Sie wissen ja, Herr Pastor, wie wenig opferfreudig die Bauern sind." -"Sie haben Recht! Wir wollen weder zuhause noch sonst irgendwo von dem Raub erzählen. Für später müssen wir uns anders einrichten, um vor Wiederholung sicher zu sein."
"Jörn, zähl mal nach, was hast du als Pastor eingenommen?" "Genau 27,30 Mark." "Ich habe als Küster 18,20 Mark bekommen. Ja, ja, so ist es, wie hierzulanden gesagt wird: Wenn es für den Priester regnet, dann tröpfelt es für den Küster. Das wollen wir nun so schnell wie möglich, du an den Pastor, ich an den Küster zurückschicken."
Der Pastor bekam eine Postanweisung über 27,30 Mark. Auf dem Abschnitt stand: Das entliehene Opfer mit bestem Dank zurück, Jörn. S. Des Küsters Anweisung hatte den Vermerk: Beifolgende Anleihe mit bestem Dank zurück, Hannes J.
Der Küster rannte mit seinem Abschnitt zum Pastorat. Der Pastor kam ihm schon entgegen. "Na," riefen sie beide, "was sagen Sie dazu?" Der Küster meinte: "Ich freue mich mehr, dass die beiden Leute ehrlich gewesen sind, als über das Opfer von 18,20 Mark." "Ganz richtig, wir wollen auch ferner nicht davon reden."
Na, der Küster hat es doch nicht ganz verschwiegen, er hat mir das erzählt. Und ich sage es auch nicht weiter, Gott bewahre meinen Mund, bloß dass ich es aufschreibe.

2. Lass dir erzählen

"Wenn das Wetter morgen so schön wie heute ist, fahre ich nach Flensburg, mal sehen, was die Kinder machen." "Das sollst du man tun, Vater, das olle Schreiben lässt nach, und dann bekommt man auch nur die Hälfte zu wissen. Ich will dir die kleine Reisetasche packen. Ich habe schon so allerlei gesammelt für die Gören. Nimmst du auch eine Flasche Milch mit? Die Milch ist da ja knapp und teuer." "Ja, pack man ein."
Na, morgens früh stand ich auf dem Bahnhof, eine Viertelstunde zu früh – wie gewöhnlich, würde meine Frau sagen. Da kam ein alter Mann auf mich zu und grüßte ganz vergnügt. Wer war das? Unser früherer Postbote in vielen Jahren. Er lebte im Ruhestand, wie ich. Er hatte sein Haus gut verkauft und zugleich eine Wohnung in Flensburg eingetauscht. "Wo wollen sie denn drauflos, Herr A.?" sagte er zu mir. "Ich will nach Flensburg." "O, da können wir ja gut zusammen fahren, aber ich fahr vierte Klasse." "Das tu ich auch. In dieser Zeit muss man sparen, was man kann." "Na, das passt ja gut, da können wir uns allerlei erzählen, dann wird die Zeit nicht so lang."
Wenn ich einmal mit der Bahn fahre, bin ich ein ganz stiller Mann, beschaue mir die Menschen, wie sie sich haben und hör zu, was da geredet wird. Andere Leute halten das anders. Sie meinen, wenn sie sich nicht ordentlich ausquatschen können, haben sie gar nichts Gutes von der ganzen Reise. So ging es meinem Postboten auch. Er fing an zu erzählen, ganz bis Flensburg hin, und dann meinte er, als wir in Flensburg ausstiegen: "Wir haben uns doch ganz schön unterhalten, mir ist die Zeit gar nicht lang geworden." "Ja," sagte ich, "Gut Gespräch kürzt den Weg." Damit gingen wir auseinander.
Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis, und von dem, was der Postbote mir alles eine gute Stunde lang erzählt hat, will ich ein Stück herausgreifen, und hier weiter erzählen. Ich lasse den Postboten nun selbst sprechen:
"Alles, was nichts kostet, das kannst du gern mitmachen," pflegte meine Mutter zu sagen, und meine Mutter war eine alte erfahrene Frau. "Es kommt im Leben nicht darauf an, das man viel einnimmt, mein Sohn, du sollst bloß achtgeben, dass du so wenig wie möglich ausgibst." Na, weil meine Mutter das sagte, habe ich es auch gemacht, und mir ist es auch gut bekommen. Nur einmal bin ich gründlich dabei hereingefallen.
Als wir uns in der Stadt ein bisschen eingelebt hatten, inspizierte ich einmal die Stadt und die Umgebung. Zeit genug hatte ich ja. Eines Abends machte ich mein Angelgeschirr zurecht und sagte zu meiner Frau: "Anna, das Fleisch ist hier doch schändlich teuer, auch für den Fisch fordern sie Preise, die übertrieben hoch sind. Weißt du was? Ich will zum Angeln, das gibt billiges Fleisch. Alles, was nichts kostet, kann man gern mitmachen!"
Am nächsten Tag nahm ich mein Angelgeschirr und ging aus der Stadt hinaus. Gerade außerhalb der Stadt hatte ich zwei große Wasserlöcher gesehen, da müssten Fische sein. Das konnte nicht fehlen. Ich ging am Ufer herum und suchte mir einen Platz zum Sitzen. Sieh! Da steht ja ein Pfahl! Ich setzte mich ins Gras mit dem Rücken am Pfahl. Prächtig! Bequemlichkeit ist keine Faulheit und das halbe Leben. Ich warf meine Angel aus und es dauerte gar nicht lange, wupp! hatte ich eine große Schleie aus dem Teich ans Ufer geworfen. Alles, was nichts kostet usw., wollte ich gerade sagen, da rief ein Kerl hinter mir: "He, was machen Sie hier?" "Ich, ich fang mir eine Mahlzeit Fisch!" "Sagen Sie mal, können Sie lesen?" "Ja, Gott sei Dank," sagte ich, "ich bin bei Klas Kühl zur Schule gewesen, da konnte ich soviel lernen wie ich wollte. Lesen kann ich, aber, was meinen Sie damit?" "Wenn Sie lesen können, dann kommen Sie einmal zu dieser Seite vom Pfahl. Was steht da?" Ich las: "Wer beim unberechtigten Fischen dieser Karpfenteiche ertappt wird, wird mit einer Brüche von 10 Thalern bestraft. Die Polizeibehörde." Ich kratzte mich hinter den Ohren und sagte: "Ih, das ist lustig! Da muss ich man schnell meine schöne Schleie wieder ins Wasser schmeißen und machen, dass ich wegkomme. Vielen Dank, das Sie mich aufmerksam gemacht haben!" "Halt stopp!" sagte er, "so geht das hier nicht. Kommen Sie man mit zur Polizei und berappen erst, nachher können Sie gehen, wohin Sie wollen." Er zeigte mir seine Marke, und ich musste mit. Mein Schleie und mein Angelzeug wurden konfisziert, und ich musste 10 Taler bezahlen. Von Rechts wegen! Zum Glück hatte ich noch soviel Geld bei mir, dass ich gleich bezahlen konnte. Das Angeln habe ich aufgegeben. Ich kaufe meinen Fisch. Ja, ja, man muss allerlei lernen, wenn man so vom Dorf zur Stadt zieht, dass kann ich Ihnen sagen."

3. Zu Malheur

"Mutter," sagte der Schuster Blunk zu seiner Olschen, "mach mir den Honigtopf zurecht, ich will ins Dorf. Jan Bockhold brennt heute seine Bienen ab. Ich bekomme wieder dreißig Pfund Honig bei ihm. Binde eine Stück neues Band an den Topf, dass ich nicht zu Malheur komme, sonst ist das zu spät."
"Gott, Vater, was willst du denn mit so viel Honig? Das ist doch bloß so eine Schleckerei. Dafür willst du 18 Mark ausgeben? Was können wir dafür alles kaufen!" "Mutter, mach mir keinen Verdruss. Sieh mal, ich sitze die ganze Woche Tag für Tag auf dem Bock und flicke an den ollen Schuhsohlen herum. Ich kann nicht draußen vor die Tür, bloß Fastnachtabend zum Heißewecken Spielen, das ist alles. Man will sich doch auch einmal ein bisschen Gutes tun, etwas Reines im Leib haben. Wofür ist man denn ein Mensch. Mit dreißig Pfund kann ich gerade auskommen, bis der neue Honig kommt." "Odeeer auch nicht," knurrte die Olsche. "Du magst ja keinen Honig, schade, dann gönn mir das doch. Ich mag's, und ich kann's vertragen, und mir bekommt das auch" sagte der Schuster und schlug auf seinen Bauch, der aber nicht viel zu bedeuten hatte.
Na, die Schusterfrau sagte nichts mehr, wusch den Topf sauber, band ein neues Band durch die Ohren und stellte ihn mit sauersüßem Gesicht vor ihrem Mann hin. "Dann hol dir nur dein süßes Futter, ich hab schon genug, wenn ich es nur rieche." "Das ist doch merkwürdig mit dir, alles was gut schmeckt, das magst du nicht, und Honig ist so gesund," sagte der Schuster und fuhr in die Stiefel.
Blunk bekam seinen Honig für 55 Pfennig das Pfund, das war billig, denn der Honig war reichlich. Ganz vergnügt lief er nach Hause. Aber das Unglück schläft nicht. Unterwegs musste der Schuster prusten, kam ins Stolpern und schlug mit seinem Honigtopf an einen Prellstein. Der Topf war entzwei, der Honig strömte auf die Erde. Kein Haus war in der Nähe, er wohnte außerhalb des Dorfes. Gott, was jammerte der alte Wurm um seinen schönen, billigen Honig, der vor seinwn Augen aus dem Topf strömte - nicht zu beschreiben! In seiner Not kam der Schuster auf einen glücklichen Einfall. Rasch hatte er einen Stiefel vom Fuss. Er ließ ihn voll Honig laufen. Nun auch den anderen! So, beide Stiefeln waren bis oben voll. Das meiste hatte er von seinem Honig gerettet. Nun warf er die Pottscherben an den verflixten Prellstein, der auch gerade am unrechten Platz stehen musste, hängte an jeden Zeigefinger einen Stiefel und schlurfte und schunkelte so in Strümpfen nach Hause.
Seine Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: "Blunk, bist du unklug?" "Ne, wie meinst du das? Meinst du, ich lauf aus Vergnügen in Strumpfsocken im Dreck herum? Hol mir einen Topf und trockene Strümpfe, nachher erzähle ich dir, warum ich in solchem Aufzug nach Hause komme."
Für Malheur kann kein Mensch, und zu Malheur kommt der Mensch!

4. Hans Wrede

Als ich den Bauern Hans Wrede das erste Mal sah, mochte ich ihn gar nicht leiden, nachher habe ich großen Gefallen an ihm gefunden.
Ich kam mit einem kleinen Handkoffer von der Bahn und wollte meine erste Schulstelle antreten. Da traf ich unterwegs einen Mann, der den Weg ausbesserte. Ich sagte: "Guten Tag auch, Gott hilf!" "Danke auch," knurrte er und ließ sich gar nicht stören, schaufelte ohne Pause Grus in die Löcher. "Sagen Sie mal, mein lieber Mann, wie lange muss ich noch bis Wippendörp gehen?" "Hm, das weiß ich nicht, geh nur." Na, dachte ich, wenn die Leute schon so unfreundlich sind wie dieser alte Knurrbeutel, dann komme ich in eine nette Gesellschaft. Dann werde ich mich wohl bald auf die Socken machen und mich nach einer anderen Schulstelle umsehen. Ich war ein kleines Stück gegangen, da rief der Mann: "He, wenn Sie so weitergehen, sind Sie in 15 Minuten in Wippendörp."
Die Leute in Wippendörp sagten von Hans Wrede, er wäre ein Grobbäcker, ein Bruder Geradeaus. Das stimmte. Aber unter seiner rauhen Außenseite versteckte er ein gutes Herz. Er hat manch einen aus dem Dreck gezogen, der sonst im Schlamm untergegangen wäre. In seiner Landwirtschaft lief alles wie ein Uhrwerk, in Haus, Stall und Feld. Kein Hasten und Jagen, aber fleißig und ordentlich wurde alles gemacht. Er hatte die besten Leute, behandelte sie gut und sorgte für ihr Vorwärtskommen, aber so, dass es nur kein Aufsehen machte. Kamen sie dann, sich zu bedanken, sagte er barsch: "Hm, geh nur!" Aber fleißig, nüchtern und akkurat mussten die Leute sein, sonst war die Freundschaft aus. Hatte er einen Knecht, der faul oder unzuverlässig war, so rief er ihn herein: "Komm, mein Junge, versuch anderswo dein Glück, wir passen nicht zusammen. Hier hast du deinen Lohn. Hm, geh nur!"
Einmal kam der Schlachter aus dem Dorf zu ihm und sagte: "Wrede, ich kann billig eine fette Kuh kaufen, soll aber gleich bezahlen. Das kann ich nicht. Können Sie mir das Geld leihen? Ich bezahle es zurück, wenn ich das Fleisch verkauft habe." "Hm, oder auch nicht. Ne, Schlachter, von mir bekommst du kein Geld. Wenn du dein olles Saufen lassen willst, kannst du soviel Geld bei mir leihen, wie du brauchst. Aber so! - Ne! Du bist ein tüchtiger Kerl, werde auch ein ordentlicher Kerl. Es ist ja eine Schande, dass du nicht vorankommst, nur weil du nicht willst. Wie sieht dein Haus aus! Alles verfällt. Frau und Kinder haben nichts im Leib und auf dem Leib. Warum? Der Mann ist immer dick und duhn. Hm, geh nur!"
Na, der Schlachter rannte hinaus, böse in Fahrt, aber je näher er seinem Haus kam, umso ruhiger wurde er. Der alte Isegrim, mir das so direkt vor den Kopf zu sagen! Aber – Recht hat er. Warte du, ich will dir zeigen, dass ich auch ein ordentlicher Kerl bin. Der Schlachter konnte die Kuh bekommen, ohne gleich zu bezahlen, verkaufte das Fleisch und brachte alles, was er einnommen hatte, nach Hause. So ging es weiter. Alle Leute wunderten sich, dass der Schlachter ganz anders geworden war. Dem Bauern Wrede ging er immer in großen Bogen aus dem Weg.
Eines Tages kam Wrede an seinem Haus vorbei und sagte zu ihm: "Hm, hör mal Schlachter, ich habe eine fette Quie stehen. Schlachter aus der Stadt waren bei mir, sie zu kaufen. Ich habe gesagt, du solltest sie haben, willst du? Du kannst sie erst einmal so mitnehmen." Der Schlachter kaufte die Quie. Später kam Wrede beim Schlachter vorgefahren, rief ihn heraus und sagte: "Hast Zeit? Steig auf!" Der Schlachter fuhr mit. Bei einer Koppel außerhalb des Dorfes hielt er an. "Hm, Schlachter, diese Koppel ist billig zu kaufen, weil dem Mann vom anderen Dorf die Koppel zur Last ist. Ich weiß von früher, die Koppel gräst gut. Die musst du haben. Wenn du einmal ein Stück Vieh billig kaufen kannst, und es nicht gleich brauchst, kannst du es hier hinein jagen. Nicht so von der Hand in den Mund leben. Was denkst du?" "Ja, Wrede," sagte der Schlachter und kratzte sich hinter den Ohren, "das ist ja alles recht gut, gewünscht habe ich mir schon lange so ein Stück Land. Das ist ja so viel wert für mich, aber – das Geld! Wollen Sie bei der Sparkasse mein Bürge sein?" "Bist' verrückt, Leihkasse! Bürge sein! Das Geld kriegst' von mir. Zinsen brauchst' nicht zu geben, aber jedes Vierteljahr trägst du ab, was du kannst. Nun geh hin und kauf. Aber eine Bedingung ist dabei -" "Ne, ich sauf nicht mehr," unterbrach ihn der Schlachter. "Dummes Gerede, das weiß ich, meinst du, ich wäre sonst hier? Ne, ich wollte dich nur warnen, du sollst den Mund halten, dass ich dir Geld vorgeschossen habe, verstehst du? Ich mag es nicht, wenn sie davon im Dorf schludern. Das geht keinen etwas an als uns beide." Der Schlachter kam mit Wrede seiner Hilfe gut voran und ist nun freier Landbesitzer.
Solche Stückchen könnte ich vom Alten Wrede noch viele erzählen, die Zeugnis geben, wie Hans Wrede, der alte grantige, kurz angebundene Mann, ein gutes Herz voll Menschenfreundlichkeit mit sich herum trug. Nur ein schönes Stück von ihm lasst mich erzählen, dann werdet ihr auch sagen: Was für ein prächtiger Kerl! Hätten wir in unserer lieben Heimat nur recht viele von der Art!
"Mutter, hast du etwas bemerkt? Will Willem zum Bauernball?" "Ne, Vater, ich glaube nicht. Liese Mähl war eben hier und sagte, Willem habe gesagt, er wolle nicht hin. Da wäre die Zeit nicht danach hinzugehen und zu hopheidin." "Hm, ganz vernünftig von Willem. Er ist kein Tapps! Du kannst in jede olle Zeitung schauen: Nichts als Kino, Tanzkränzchen, Theater, Ball und was noch alles - und dann in dieser Zeit, wo die Not uns unter den Nägeln brennt. Da kann ja ein Hund drüber weinen. Hm, ja, ist ein guter Bengel!" "Liese Mähl sagte so ein'n bisschen verächtlich und spitz, es habe wohl einen anderen Grund, dass Willem nicht zum Ball wolle, dahinter stecke gewiss unser Dienstmädchen, Anna Lüthje. Hast du etwas bemerkt, Vater?" "Och was, Frauenschnack! Übrigens wäre Anna Lüthje mir als Schwiegertochter lieber als Liese Mähl. Die mag nichts tun, läuft schon morgens aufgedonnert herum und piesackt Eltern und Angestellte nach Noten. Ne, Mutter, bloß nicht! Wir müssen aber doch ein Auge auf Willem und das Mädchen haben. Ich bin kein Freund von solcher Art Liebelei im Haus!"
Abends in der Dämmerung schob der Alte sich leise zum Kuhstall. Richtig, da standen die beiden dicht zusammen. "Willem, warum bist du eigentlich nicht zum Bauernball?" "Was soll ich da ohne dich? Dienstmädchen dürfen dort ja nicht kommen. Das weißt du ja. Und dann halte ich es nicht für passend, jetzt eine Feier nach der anderen abzuhalten, wo unser deutsches Volk so im Dreck sitzt." Willem fasste Anna und küsste sie. "Weißt du was, Anna, ich will bei einer guten Gelegenheit Vater und Mutter fragen, ob wir nicht heiraten können. Was sagst du dazu? Dieses heimliche Herumschleichen kann ich nicht länger aushalten." "Willem, wenn das man gut geht! Ich hab doch rein gar nichts." "Och, kleine Deern, rede doch nicht. Du bist gesund, kannst und magst arbeiten, bist du nicht reich genug?"
"He, was geht hier vor sich? Das ist eine schöne Wirtschaft!" brüllte der Alte dazwischen. "Junge, geh hin und hole die Fohlenstute herein und vertrödel hier nicht die Zeit, und," sagte er zu Anna, "du gehst hinein und packst deine Sachen. Ich will dich zu deiner Mutter bringen." Na, die jungen Leute stoben auseinander. Widerrede kam nicht in Frage, das wussten sie. Der Alte spannte ein Pferd vor den Wagen, rief seinen Knecht, der half ihm Kommode und Koffer aufzuladen, und dann stiegen Wrede und Anna auch auf. Kein Wort wurde gesprochen. Annas Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen: "Gott im hohen Himmel, was heißt das? Was bedeutet das?" "Hm, Mutter Lüthje, werden sie man nicht ängstlich. Ich bringe Anna, die wird bis November zuhause bleiben. Das läuft sich alles zurecht." Damit fuhr der Alte ab.
"Willem, hast du ehrliche Absichten mit unserem Dienstmädchen?" "Ja, Vater, ich möchte sie heiraten." "Nur zum Zeitvertreib dem Mädchen den Kopf zu verdrehen, dafür ist sie mir auch zu gut. Mutter, was denkst du? Soll Willem hingehen und Mutter Lüthje um ihre Tochter bitten?" "Ja, meinetwegen, Vater, wenn du einverstanden bist. Wir werden eine gute Schwiegertochter an ihr haben und Willem eine gute Frau. Sie ist tüchtig und ordentlich - und schmuck ist sie auch." "Hm, Junge, dann fahre hin und bringe sie beide mit hierher. Wir wollen ein bisschen Verlobung feiern. Das ist zugleich ein kleiner Ersatz für den Ball, den du heute abend verpasst." Willem war in kurzer Zeit herausgeputzt und in noch kürzerer Zeit hielt er seine Anna warm im Arm.
"Ja," sagte Hans Wrede abends bei einem Glas Wein zu seinem früheren Dienstmädchen, "meine Tochter, es kommt in Leben nicht darauf an, was ein Mensch hat, was so um und an ihm hängt, ne, was er kann, und wie er gesonnen ist, das macht den Menschen aus. Plichtgefühl und Menschenliebe, die haltet für euer Leben fest, dann kann es euch mit Gottes Hilfe nicht fehlen.

5. Ein Kuhhandel

"Haben Sie etwas zu handeln, Frau Larsen?" "Ja, habe ich. Ich brauche dringend Geld. Eine feine Kuh will ich Ihnen sagen, die beste Kuh im Stall. Wollen Sie sie sehen? Sehen kostet ja nichts."
Na, der Viehhändler Krüger stieg vom Wagen, ging zum Stall und sah sich die Kuh an, die aus der Reihe herausgenommen für sich allein in der Ecke stand. "Was sagen Sie zu der Kuh, Krüger? Fein, was?" "O, ja, die Kuh ist nicht schlecht. Sie könnte nach meinem Geschmack ein bisschen größer sein, ein bisschen mehr ins Gewicht fallen, auch die Melkzitzen zeigen nicht mehr viel her. Übrigens, was soll die Kuh kosten?" fragte der Viehhändler so recht listig. "Das will ich Ihnen sagen, Krüger, 100 Taler, keinen Groschen weniger." "So, na dann man tschüss. Dann lassen Sie sich die 100 Taler ruhig geben, von mir bekommen Sie die nicht." "Ja, was wollen Sie denn ausgeben?" "Es hat keinen Zweck, dass ich biete, 80 Taler gebe ich aus, wenn ich die Kuh dafür kriegen kann, mehr nicht, keinen Groschen mehr!" Damit fuhr der Viehhändler ab.
"Na, Nachbar, hast du gehandelt?" fragte Frau Larsens Nachbar, der Händler Möller. "Ach, das ging nur etwas holperig. Sieh dir die Kuh einmal an, was kann die kosten?" "Hm, wenn ich eine nötig hätte, würde ich dir gleich 100 Taler geben, wenn es kneift, noch etwas mehr." "Siehst du, das habe ich auch verlangt. Bot Krüger, der Kerl, mir schlankweg 80 Taler, keinen Groschen mehr." "Nimm dich vor ihm in Acht, das ist ein Ilk. Wo er jemanden übers Ohr hauen kann, macht er das. Übrigens warum willst du die schöne Kuh verkaufen? Das ist doch schade für deinen ganzen Viehbestand. Das geringste Vieh muss weg, das beste musst du für die Aufzucht behalten. Überlege dir doch, was wird diese Kuh dir im Sommer für Milch in den Eimer geben. Wenn du eine Kuh übrig hast und notwendig verkaufen musst, dann heraus mit der schlechtesten. Schau, hier steht ja eine olle Tante. Was willst du mit der, verkauf die doch."
"Ja, Möller, das täte ich auch viel lieber, aber das gibt kein Geld, und Maitag steht vor der Tür, weißt du." "Ach was, dann kommst du zu mir, wenn es nicht langt. Zieh die schöne Kuh nur wieder in die Reihe und behalte sie." Na, das geschah, und die olle Tante wanderte in die Ecke.
Der Viehhändler fing unterwegs an zu rechnen. Da war ein Geschäft zu machen. Sie sollte Geld brauchen. Für 80 Taler war die Kuh zu haben, keine Frage, und 105 – 110 Taler war sie unter Brüdern wert. Ha! Ja! das müsste gehen! Er hielt an.
"Frank, komm einmal her," sagte er zu einem Steinhauer, der dicht bei seinem Haus an der Chaussee Steine klopfte. "Frank, willst Du fünf Taler verdienen?" "Ja, wenn es auf ehrliche Art zugeht, ganz verteufelt gern!" Das "ehrliche Art" überhörte der Viehhändler ganz, das kam bei einem Viehhandel auch nicht in Betracht. "Dann gehst du morgen früh nach Ka. zu Frau Larsen und kaufst die Kuh, die rechts von der Tür allein in der Ecke steht. Du brauchst nicht zu sagen, wer dich geschickt hat. Was du mehr als 80 Taler ausgibst, das ist dein Schaden."
Am nächsten Morgen kam Steinhauer Frank ganz wichtig und breitspurig zu Frau Larsen, einer guten Bekannten von ihm. Sie waren Nachbarskinder. "Guten Tag, Anna," sagte er zu Frau Larsen. "Guten Tag, Carsten Frank, Mensch, wo kommst du her? Ich denke, du liegst jeden Tag hinter deinem Fleck und klopfst Steine?" sagte sie fröhlich. "Mache ich auch, Anna, nur heute nicht, heute kaufe ich Kühe." "Kühe?" "Ja, hast du eine zu verkaufen?" "Ja, das habe ich, aber für wen kaufst du denn Kühe?" "Das darf ich nicht sagen, wir wollen dich nämlich betrügen, der andere und ich!" "Ja, du bist der rechte Kerl dazu, du und betrügen!" "Zeig mir die Kuh, die verkauft werden soll."
Frank spielte sich als Sachkenner auf und besah die Kuh von allen Seiten. Dann lachte er lauthals. "Sag, Anna, hast du hier einen Nachbarn, auf den du dich verlassen kannst?" "Ja, den Händler Möller, aber wozu?" "Hol den Mann einmal her, er soll beim Handel dabei sein, damit ich dich nicht zu sehr betrüge." "Ach, Carsten Frank, du bist noch immer so ein Knepmacher wie früher." "Na, diesmal ist meine reine Meinung so, geh hin und hol den Händler."
Der Händler Möller kam. "Frau Anna Larsen, geborene Petersen, willst Du mir diese Kuh verkaufen? Was soll die kosten?" sagte der Steinhauer, stellte sich ganz mastig vor der Bauernfrau auf und klopfte auf den Tisch. "Frank, du bist ein Eulenspiegel, 60 Taler will ich für die Kuh haben." "60 Taler? Meinen Sie das auch, Möller?" "Ja, so gegen 60 Taler kann die Kuh kosten," sagte da Möller. "Ihr seid mir schöne Handelsleute! 60 Taler für so eine Kuh?! Ihr kennt ja keine Kühe. Die Kuh ist wenigstens 80 Taler wert." Und nun fing der Steinhauer an, das Tier herauszustreichen. Die Bauersfrau wurde zuletzt ärgerlich und sagte: "Wenn du nur Leute zum Narren halten willst, Frank, dann machst du besser, dass du ein Haus weiter gehst." "Na, na, nur nicht so hitzig. So ein Kuhhandel ist doch keine Hasenjagd, da muss doch erst ein Wort geredet werden. Ich bezahle 80 Taler und nehme die Kuh gleich mit, bist du einverstanden?" "Ja, Frank," sagte die Bauernfrau, der allmählich ein Licht aufging, "die Kuh ist dein, viel Glück damit!" Frank bezahlte, bekam zu essen und trinken und ging mit seiner Kuh ab.
Ich habe Glück gehabt, Herr Krüger," sagte der Steinhauer, "ich habe die Kuh für 80 Taler gekauft, draußen steht sie." "Na, das ist schön, Frank, hier hast du deine 5 Taler. Die hast du schnell verdient." "Ja, wenn es einmal wieder passt, Herr Krüger, so ein bisschen Handeln macht doch Spaß."
Als der Viehhändler die Kuh sah, war der Spaß vorbei. Der Kerl machte einen Mordsskandal! Er wollte Frank verklagen. Er habe ein altes Tier für wenig Geld gekauft und das übrige Geld unterschlagen. Das sollte ihn teuer zu stehen kommen. Frank hatte Zeugen, dass er den Auftrag von Krüger treu ausgeführt hatte. Er hatte die Kuh rechts in der Ecke für 80 Taler gekauft. Was half es alles, der Viehhändler war an die Kuh gebunden und musste sie behalten. Aber so einen Schafskopf wie den Steinhauer Frank schickte er nicht wieder los, wenn er andere Leute betrügen wollte.

6. Auf Umwegen

"Hast du Jehann Peter Severin in Heide getroffen?" "Ja." "Na, habt ihr die Sache besprochen?" "Jawohl, Mutter, die Sache ist nach allen Ecken und Kanten besprochen, beraten und abgeschlossen. Nächsten Sonntag reitet Niklas hin und holt sich das Jawort. Wir sollen es nun nur Niklas erklären, damit er uns keinen Strich durch die Rechung macht. Wenn alles gut geht, gibt es im Herbst Hochzeit." "Ih, das ist ja schön!" "Schön, sagst du? Das ist so der Welt Lauf. Für Niklas wird es auch Zeit, dass er sein eigener Herr wird." "Weiß er schon wie es steht?" "Ne, Mutter," sagte Hans Warner zu seiner Frau, "er weiß von nichts. Ruf ihn einmal herein, er ist bei den Kühen."
"Was soll ich denn, Vater?" "Sieh mal, Niklas, Du wirst zu Lichtmess 28 Jahre alt. Da meinten wir, Mutter und ich, du kannst im November heiraten und den Hof übernehmen. Was denkst du dazu?" "Ja, wenn du das meinst, dann kann ich das ja." "Sag, hast du eine Braut?" "Ne, das weißt du ja, ein Braut habe ich nicht." "Sieh mal Niklas, ich habe heute in Heide mit Jehann Peter Severin gesprochen. Er hat nichts dagegen, wenn du seine Anna heiratest. Er weiß Bescheid. Du reitest Sonntag hin und fragst einfach, ob sie deine Frau werden will. Dann ist die Sache abgemacht. Hast du mich verstanden?" "Ja, Vater." "Na, dann bleibt es dabei. Nun geh nur wieder zu deinen Kühen."
"Es ist doch ein Schande, dass unser Niklas so zurückgeblieben ist," sagte Frau Warner, "er ist sonst so ein guter, fleißiger Junge. Und groß und schmuck ist er auch." "Ja," sagte der Alte, "darum muss er auch eine Frau haben, die rundherum aufgeweckt ist. Wie soll er sonst durch die Welt kommen? Na, Anna Severin soll ja ein fixes, resolutes Mädchen sein."
Sonntags holte Niklas den Fuchs heraus, machte Decke und Sattel fest und stieg selbst hinauf. Er sah ganz stattlich aus und war sicher auch als Bräutigam nicht zu verachten, denn sein Alter saß fein in der Wolle. Aber die Leute sagten von Niklas, er wäre nicht nur mit dem Dummbeutel geprügelt worden, ne, sie hätten ihn auch noch damit beworfen. Na, die Leute sagen viel. Soviel ist aber gewiss, ein guter alter Junge war er. Das kann ich bezeugen.
Als er außerhalb des Dorfes beim Haus des Schneiders ankam, begann es an zu regnen. Niklas wusste von seinem Vater, wenn es morgens während der Predigt regnete, dann regnete es die ganze Woche. Also heute blieb es wenigstens dabei zu regnen, das war gewiss. Das war doch schade um sein bestes Zeug. Der Schneider lehnte über der Tür und rief: "Wo sollst du hin in dem Wetter?" "Ich soll zur Braut," sagte Niklas und hielt das Pferd an. "Mensch, du wirst ja durchnass, warte, ich will dir einen Schirm holen." Und der alte listige Schneider brachte ihm wirklich so einen alten großen Familienschirm, bunt natürlich, mit Messingbeschlag. Na, unser Niklas dachte nichts Böses dabei und zog damit los. Das sah niedlich aus. Alle Leute waren am Fenster - für jede Rute eine Schnute - und riefen: "Was ist das für einer? Was ist das für einer?"
So gegen Mittag ritt Niklas auf Severins Hof, in flinkem Trab - wie sein Vater gesagt hatte - in der linken Hand die Zügel und in der rechten Hand den Regenschirm, aufgespannt, versteht sich. Na, das gab ein Aufsehen! Severin kam heraus, ließ das Pferd in den Stall bringen und bat Niklas herein. Niklas bestellte seine Werbung so gut er konnte, aber er wurde nicht angenommen. Er wusste nur nicht warum.
Nachmittags wurde Niklas bedeutet, er sollte nur wieder zu Vater und Mutter reiten und seinen Schirm nicht vergessen, denn es regnete noch immer. Aus der Heirat konnte nichts werden, denn die Mädchen wollten keinen Mann haben, der kein Wasser vertragen kann. Der alte Severin sagte dann noch zu ihm, er sollte seinen Vater nur grüßen, es täte ihm Leid, aber Anna wolle durchaus nicht.
Niklas ritt nach Hause. Es war schon dunkel, als er seinem Fuchs Sattel und Decke abnahm und das Pferd in den Stall brachte. Als er den Fuchs angebunden hatte und sein Reitgeschirr hereinholen wollte, kam Stina, die als erstes Mädchen bei seinem Vater schon fünf Jahre gedient hatte, ihm damit schon entgegen.
"Dank auch, Stina, es lief etwas schlecht heute. Anna Severin wollte keinen Mann heiraten, der schon mit einem Regenschirm verheiratet wäre, sagte sie mir." "Was? Wie kam sie auf so ein dummes Gerede?" "Weil es regnete, hatte ich einen Schirm aufgespannt. Nur darum. Es tut mir bloß leid für Vater und Mutter. Nun habe ich keine Braut. Hättest du das auch zu mir gesagt, Stina?" "Ne, Niklas." "Das habe ich mir unterwegs auch gesagt: Stina hätte das nicht gesagt."
Auf einmal schoss ein prächtiger Gedanke durch seinen Kopf. Stina war ein altes, gutes, treues Blut, fix in allen Kanten und bisher in jeder Weise Niklas Vertrauensperson. Er stellte sich direkt vor Stina hin und sagte: "Stina, willst du meine Frau werden?" "Ja, Niklas, ich will." "Gut, dann bleibt es dabei."
Niklas kam herein. "Junge, du bist wohl durchnass? Das war ja ein dolles Wetter." "Ja, an den Beinen bin ich nass, aber oben bin ich trocken, ich hatte ja einen Schirm." "Was, ein Schirm auf dem Pferd?" "Ja." "Du bist ja wohl nicht klug. Hast du nun eine Braut oder nicht?" "Ja, Anna Severin wollte nicht, aber Stine will meine Frau werden, und die ist auch besser."
Na, Vater und Mutter sperrten sich, so viel sie konnten, aber Niklas blieb dabei: "Ich heirate Stina." Und so kam es auch. Sie leben glücklich zusammen. Was Niklas an Witz fehlt, das hat Stine mehr als doppelt.
Weil Niklas den Schirm auf der Brautreise zu sehr strapaziert hatte, schenkte Stina dem Schneider zu Weihnachten einen neuen Regenschirm.

7. Klas kommt zur Schule

"Na, mein kleiner Klas," sagte Tante Antje, "sollst du morgen zur Schule?" "Ja," sagte Klas und schaute an seiner Nase herunter. "Dann freust du dich gewiss, mit all den Kindern zu spielen. Junge, das wird ein Spaß. Hier hockst du nur allein herum, das ist nichts." "Ne," sagte Klas, "ich bleibe lieber hier, zur Schule mag ich nicht, ganz und gar nicht." "Junge doch, du musst doch etwas lernen, kannst doch nicht so ein dummer Klas bleiben. Geh man schön und vergnügt mit den anderen Kinder zur Schule. Das wird dir sicher gefallen." "Ne, ich will nicht. Der Schulmeister hat einen Retstock. Und Peter Kruse sagt auch, er hat sich bloß rinmal umgesehen, da hat der Schulmeister ihn böse verhauen. Ne, ich mag nicht zur Schule, ganz gewiss nicht."
Am anderen Morgen machte Mutter dem kleinen Klas ein schönes Butterbrot, schob ihm Tafel, Fibel und seinen Griffelkasten unter den Arm und sagte: "So, mein kleiner Junge, nun wollen wir zur Schule, ich bringe dich hin." Sie nahm ihn bei der Hand und Klas trottete ganz benommen mit. Das war ein schwerer Gang für Klas, und er hielt seine Mutter fest bei der Hand und wollte sie gar nicht loslassen. Als sie wegging wäre er gern mitgelaufen, aber es ging nicht. Nun stand er da zwischen den anderen Rekruten und weinte still vor sich hin. Der alte Lehrer wusste um seine Not. Er redete ganz nett und freundlich auf Plattdeutsch mit den Kindern, so dass die kleinen Gäste auftauten und anfingen sich einzuleben.
Nach einigen Tag fragte der Lehrer die Kleinen: "Wer von euch kann beten? Ihr habt ja nun gesehen und gehört, dass von den großen Kindern ein Gebet gesprochen wird, wenn die Schule anfängt, und wenn die Kinder nach Hause gehen. Wer von euch kann das auch? Seid nur nicht ängstlich. Wenn wir mit unserem Herrgott sprechen, brauchen wir uns doch nicht zu schämen. Der freut sich, wenn wir zu ihm kommen. Na, da wird gewiss einer unter euch sein, der von Mutter ein Gebet gelernt hat. Sagt nur!" Als sich keiner meldete, sagte Klas endlich: "Du, ich kann." "Schön, lass hören."
Klas legte seine kleinen Hände zusammen und sagte so, wie er es von Mutter gelernt hatte:
"Ich kehr mich um zur Wand
Und schlaf in Gottes Hand,
Die Tür haben wir geschlossen -
Nun wollen wir uns auf den lieben Gott verlassen.
Amen."
"Junge, Klas, das ist ja fein." sagte der Lehrer und streichelte Klas über die Wangen. "Das mag ich leiden. Die Tür haben wir zu schließen, das heißt, wir haben getan, was wir können, das muss auch sein - und das übrige müssen wir dem lieben Gott überlassen." Na, nun freute der Lehrer sich, da freute Klas sich erst recht. Er sagte: "Du, ich weiß noch eins mehr." "Das ist ja fein, dann lass uns das auch noch hören, nachher sollst du auch nach Hause."
Klas fing an:
"Wir sitzen ums volle Fass
Und essen uns alle satt.
Unser Herrgott hat reichlich gegeben,
Da können wir fröhlich leben.
Für das, was er uns zu hat zugemessen,
Lass uns das Danken nicht vergessen.
Amen."
Klas, der kleine Krauskopf mit den klaren Augen, bekam einen Stein im Brett bei seinem Lehrer. Und als Tante Antje Klas nach einigen Wochen fragte: "Na, Klas, wie geht es dir in der Schule?" sagte Klas: "Du, ich mag gern zur Schule gehen. Der Schulmeister ist so nett, er tut keinem was. Und was Peter Kruse erzählt von dem Stock ist gar nicht wahr.

8. Hut gegen Hut

Der alte Tischler Harksen bekam einen Brief mit Trauerrand. Er sah ihn von beiden Seiten an, wagte aber nicht ihn aufzumachen. Er ging in Gedanken aus seiner Werkstatt zur Stube und sagte zu seiner lieben Frau: "Mutter, hier ist ein Trauerbrief!" "Herr Gott doch, Vater, wer ist denn tot? Mach den Brief doch auf, was stehst du da? Mir ist es schon den ganzen Morgen so sonderbar gewesen, dass da heute etwas geschieht, habe ich mir gedacht. Thomas, mach den Brief auf!"
Thomas sah ihn noch einmal ängstlich von beiden Seiten an und sagte endlich: "Na, in Gottes Namen!" Er öffnete den Brief, seufzte tief und sagte zu seiner Frau, die ihn ängstlich ansah: "Von unserer Familie ist es keiner, Herr Ehlers in Kiel ist tot, Donnerstag soll er beerdigt werden." "Was, Herr Ehlers, der mit den fertigen Möbeln handelt?" "Ja." "Für den du so viele Jahre gearbeitet hast?" "Ja." "Ne, wie ist das möglich? So ein gesunder Mann. Du musst zur Beerdigung nach Kiel, Thomas, es geht nicht anders." "Ih wo, wie kann ich nach Kiel reisen? Ich passe nicht zwischen all die feinen Leute. Ih ne, das geht nicht." "Gewiss geht das! Du musst dich da sehen lassen, damit du die Arbeit behältst." "Die werde ich auch so behalten. Der Sohn kennt mich ja, und wir sind immer gut mit einander ausgekommen."
"Es hilft nichts, hin musst du, sie rechnen doch damit. Warum haben sie dir sonst geschrieben? Ich werde dein schwarzes Zeug nehmen und es einmal gründlich nachsehen. Das Schlimmste ist nur dein Hut." "Ja, der ist höllisch vossig und lange nicht mehr in Mode. Der Hut ist wohl schon dreißig Jahre alt, warte mal - ne, schon fünfunddreißig. Wie läuft die Zeit! Ja, Mutter, wenn du meinst, dass ich hin muss, dann hilft es nichts. Aber peinlich ist es mir zwischen all den feinen Leuten. Seit vielen Jahren bin ich aus unserem Dorf nicht herausgekommen." "Thomas, doch, was kümmern dich die fremden Leute. Der Mann ist es dir wert, dass du ihm das letzte Geleit gibst. Und wenn sie dich da in deinen altmodischen Klamotten nicht leiden mögen, müssen sie dir neue geben, anderen Rat weiß ich nicht, aber hin musst du."
Na, Thomas Tischler fuhr nach Kiel zur Beerdigung des Möbelhändlers. Könnte er nur mit Mütze reisen! Aber seine kleine Frau meinte, das ginge nicht. Nun musste es seinen Willen haben.
Als er ankam, wurde er vom Sohn freundlich empfangen, ebenso wie andere Gäste. Das war eine große Erleichterung für ihn. Nur der alte hohe Hut - verrückte Mode! - war ihm überall zwischen den Menschen im Weg.
Da drängte sich eine kleiner, dicker, freundlicher Mann an Tischler Harksen heran, nickte ihm zu, zeigte ihm seinen Hut und – bums! knickte er ihn zusammen, dass er platt war wie ein Pfannkuchen, und dann klemmte er ihn unter den Arm. Thomas sah ihn ganz verblüfft an und dachte: So, mein Junge, der ist hin. Aber der kleine, dicke Herr bekam seinen zusammengedrückten Hut wieder zurecht. Der Mann nickte Thomas Harksen noch ganz freundlich zu und zog sich ins Gedränge zurück.
Ih, dachte Thomas, wenn das geht, dann bin ich ja aus allen Verlegenheiten heraus. Er setzte seinen alten Tröster von Hut gegen die Brust und drückte ihn mit Gewalt kaputt. Das war kein leichtes Stück Arbeit. Der Hut war alt und steif, und gewohnt war er das nicht – aber platt musste er sein und platt wurde er. Thomas klemmte ihn unter den Arm, wie die anderen Leute auch.
Als nun die Feierlichkeiten im Haus zu Ende waren, und die Leute hinausgingen, um dem Toten die letzte Ehre zu geben, dahin, woher kein Mensch zurückkommt, nahm Thomas Tischler seinen Teller unter dem Arm heraus und - rückwärts ging es, aber, Kinder, wie sah das Vieh aus! Nichts als große Sprünge und Beulen! Als Thomas sich sein Kunstwerk ganz betrübt und tiefsinnig ansah, da kam der kleine, freundliche Mann wieder zu ihm und sagte: "Ja, mein Lieber, so geht es, wenn man alt wird. Sind wir jung, so sind wir schmiegsam und biegsam und können uns im Leben manchen Knacks gefallen lassen, aber im Alter, da klappen wir zusammen unter der Wucht der Jahre und kommen nicht mehr hoch. Für ihren Hut, da weiß ich Rat. Kommen Sie bitte nur mit."
Thomas ging mit. Im Haus nebenan wohnte ein Hutmacher. Sie gingen hinein. "Holen Sie einmal einen weichen schwarzen Hut in mittlerer Preislage," sagte der Herr zum Hutmacher. Thomas setzte sich einen Hut auf. Als er einen passenden gefunden hatte und sich im Spiegel musterte, bezahlte der Herr den Hut, ohne dass der Tischler das gewahr wurde. "Passt der Hut?" "Ja, der passt gut und ist leicht und weich auf dem Kopf, aber - ich weiß nicht, der kostet mich gewiss ein bisschen reichlich viel Geld." "O, Geld brauchen Sie nicht. Sie lassen Ihren Zylinder hier und tauschen einfach den Hut ein." "Was? Ja, was sagen Sie dazu?" sagte Thomas zum Hutmacher. "Gewiss, ich bin einverstanden, Hut gegen Hut! Aber dazugeben kann ich nichts, Ihr Zylinder ist zu sehr mitgenommen. Tragen Sie den Hut mit Gesundheit." "Na, denn tschüss auch! Das ist noch ein reelles Geschäft hier. Nun müssen wir wohl gehen, sie fahren schon mit dem Leichnam ab."
Als Harksen abends nach Hause kam, hängte er seinen neuen Hut auf die Hausdiele, ging zu seiner lieben Frau hinein und erzählte ihr alles, was er erlebt hatte. Nur von seinem Huthandel sagte er nichts, der kam ihm schließlich doch nicht ganz reell vor.
"Thomas, du hast ja deinen Hut vertauscht!" sagte die Tischlerfrau am anderen Morgen. "Weiß ich. Der alte Hut war nicht mehr zu gebrauchen. Der Hutmacher wird einen Klapphut daraus machen, denke ich mir. Ich habe keinen schlechten Tausch gemacht: Hut gegen Hut."

9. Der neue Gemeindevorsteher

Der Gemeindevorsteher, der Händler Klehn, wollte nicht mehr. Er hatte zwei Amtszeiten hinter sich, er war zu alt.
Von seinen Gegnern hatte ihm besonders der konservative Bauer Dirk Peters immer Knüppel zwischen die Beine geworfen. Dirk war so dumm wie Grütze, konnte aber so klug reden, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Und merkwürdig genug, die Dorfleute wussten, dass er ein Schafskopf war, und doch gaben viele etwas auf sein Gequassel. Manche gemeinnützige Sache, die allerdings einige Opfer kostete, kam nicht zustande, weil Dirk die Leute auf seine Seite zu ziehen wusste.
Es kam zur Neuwahl. Dirk wurde gegen eine Stimme gewählt, seine natürlich. Das kam so: Dirk hatte seiner Freunde Stimme sicher und seine Gegner wählten ihn aus Schabernack, denn Dirk konnte bloß so eben seinen Namen schreiben und Geschriebenes kaum lesen. Na, als das Resultat bekannt gemacht wurde, da fuhr Dirk nicht wenig zusammen.
"Ne, Kinder, das geht nicht, mein armer Stiefel, das kann nicht angehen, ich kann die Geschäfte nicht machen. Wie kann ich Gemeindevorsteher sein, ich - ich - ich habe keine Zeit."
"Ja, das sagt gar nichts, Dirk Peters, wir anderen haben es auch eilig und müssen auch annehmen, wenn wir gewählt werden."
Na, kurz und gut, Dirk wurde gratuliert, er musste tüchtig ausgeben und verprach schließlich, dass er sparsam wirtschaften und das Wohl der Gemeinde nach allen Seiten treu beschützen wolle. - Mehr war nicht von ihm zu verlangen.
"Was, Dirk, kommst du erst jetzt? Wo kommst du so spät her? Und angeschossen bist du auch, scheint mir."
"Ja, Mutter, siehst du mir nichts an?"
"Ne, du hast das gleiche dumme Gesicht wie immer, nur etwas roter."
"Denk dir, Mutter, wir sind heute aufgestiegen. Ich bin gewählt als Gemeindevorsteher, einstimmig gewählt. Was sagst du dazu?"
"Du bist noch besoffener, als ich dachte. Geh ins Bett."
Dirk wollte eine weitere Unterhaltung vermeiden, denn seine liebe Frau war schändlich anzüglich und ihm weit überlegen. Er schlief aus und war am anderen Morgen gar nicht so vergnügt über seine Erbschaft.
"Mutter, was soll ich machen, ich kann die Geschäfte nicht führen, sag mir doch, was soll ich anfangen?"
"Das weiß ich nicht, lass Heine für dich die Schreiberei machen. Er wird nun schon 12 Jahre alt, geht jeden Tag in die hohe Schule und müsste es doch können, wofür geben wir sonst das viele Schulgeld aus?"
"Ja, so müssen wir das machen, sonst weiß ich nicht, was werden soll."
Heine wurde hereingerufen, bekam Feder, Tinte und Papier und musste aufschreiben, was sein Vater ihm sagte.
Er schrieb:
Liber Landrad!
Ich tue Ihnen hirmit freundlichst wissen, das ich gestern zum Gemeindevorstand gewählt wurden bin. Da ich mit den Schreiben nicht gut bewannert bin, weil ich in meinen Jungensjahren das Vieh hüten gemusst habe, so mache ich sie freundlichst den Vorschlag, ob mein Sohn das Schreiben besorgen kann, wenn ich es ihm dicketiere. Mein Sohn hat diesen Brief nach Vorsagen hingeschrieben.
Grüssend bitte um Antwort.
Dirk Peters
Die Antwort kam bald, aber nicht an Dirk, sondern an den alten Gemeindevorsteher, den Händler Klehn, mit dem Bescheid, er solle von neuem die Wahl vornehmen, wenn es sich so verhalte, dass der Hufner Dirk Peters nicht schreiben kann.

10. Wir bekommen Besuch

Julius Wilms stand in Hemdsärmeln vor der Haustür und schaute ins Wetter. Heute müsste es schön werden. Keine Wolke am Himmel. Die kleinen Vögel sangen und die Schwalben flogen hoch in die Luft. Ja, heute müsste es prächtiges Heu geben. Es wurde auch Zeit, dass das Wetter umschlug, wenn das Gras nicht verderben sollte. Na, dann nur los alle Mann, und ich mittendrin, dachte Wilms und rieb sich vergnügt die Hände.
Warte, da kommt der Postbote, will doch noch schnell einmal sehen, was er hat. So, die Zeitung und ein Brief an meine Frau. "Hier Anna, ist ein Brief für dich. Ich will doch noch schnell einmal sehen, wie es in Oberschlesien steht, und ob unsere Mark noch immer weiter absackt, und dann alle Mann ins Heu. Der Tau wird bald weg sein."
"Julius, der Brief ist von Tante Sine. Wir bekommen Besuch. Das passt aber schlecht. Hier lies den Brief selbst." Damit ging Frau Wilms wieder in die Küche an ihre Arbeit.
Wilms, der noch halb in Gedanken in der Politik war, nahm den Brief und las:
Liebe Anna!
Leonore und ich haben die Absicht, für einige Tage aus der Großstadt in Eure ländliche Stille zu flüchten. Es muss dort draussen bei Euch jetzt wunderschön sein. Wir kommen am 24. d. M., also morgen, kurz nach Mittag auf Eurer Station an. Du, lieber Julius, bist wohl so freundlich, uns mit einem Wagen abzuholen. Mündlich dann mehr. Auf fröhlich Wiedersehen und vergnügtes Beisammensein!
Tante Josephine.
Na, das ist niedlich. Nun kann ich heute hierhin und morgen dahin kutschieren, und übermorgen wollen sie sich auf dem See rudern lassen und "der liebe Julius" kann "für einige Tage," das heißt auf gut plattdeutsch, für vier Wochen, die alten Tanten in der Gegend herumfahren. Und dann gerade jetzt. Die Kinder liegen in den Masern und dann haben wir es so eilig! Das ist ja eine verdrehte Geschichte! "Anna, komm doch einmal herein. Sag doch, was sollen wir dabei machen? Das passt mir jetzt doch furchtbar schlecht."
"Ja, meinst du, mir passt das? Die Kinder liegen im Bett, und ich habe genug auf sie aufzupassen. Nun kommen die Tanten dazu. Die laufen einem durch das ganze Haus, und wenn ich nicht immer hinter ihnen her tüddel, werden sie noch verdrießlich im Kopf. Du sollst ihnen man abschreiben." "Hab ich auch schon gedacht, aber wie kann ich das? Sie sind schon von Altona unterwegs. So schlau sind sie auch, dass sie sich nicht eher anmelden, als es eben geht. Da bleibt nichts anders übrig, als dass Jehann Wichert hinfährt und sie holt."
Als im Haus bekannt wurde, dass die alten Tanten zu Besuch kommen, da freute sich keiner. Der alte Jehann Wichert sagte: "Na, karrt der Teufel das olle Takelzeug auch schon wieder her? Der Bauer und seine Frau sind viel zu gutmütig. Nun lassen sie die alten Racker wieder vier bis fünf Wochen hier regieren. Das tut mir leid, gerade in der eiligen Zeit!"
Jehann fuhr zur Bahn. Die alten Fräulein kamen und hatten eine ganze Aussteuer an Gepäck dabei, "für einige Tage" ein bisschen reichlich viel. "Ei, sieh da, Johann. Hatte denn Julius keine Zeit selbst zu fahren?" "Ne, der hat es eilig. Wir sind im Heu." "Nun, das Heu läuft ja nicht weg, meine ich." Jehann lud das Gepäck auf und knurrte bei sich: "Ne, das ist ja nicht christlich, das ist wahr, Lügen ist schädlich – aber Notwehr! Ne, mitnehmen will ich die Racker nicht."
"Wie steht es denn bei den lieben Verwandten, alles wohl?" sagte Tante Josephine nur um etwas zu sagen, als sie glücklich zwischen all ihrem Krimskrams auf dem Wagen saß, zu Jehann. Jehann zog mit den Schultern, sah tiefsinnig in seine kurze Pfeife und sagte: "Es ist nicht ganz geheuer bei uns. Hüh!" Die Pferde zogen an und in flottem Trab ging es voran. Josephine tippte Jehann auf die Schulter: "Was heißt das, nicht gesund?" Jehann hielt die Pferde an und ließ sie Schritt gehen. "Die Kinder sind krank, alle drei." "Was fehlt ihnen denn?" "Tja," sagte Jehann und zog mit der Schulter, "wer das sagen kann. Der Doktor sagt die Masern, aber ich glaube, das sagt er nur um die Eltern zu beruhigen. Der olle Typhus spukt hier überall herum, wenn das nur kein Flecktyphus ist. Wie kommen die Kinder auf einmal zu Masern, in der ganze Gegend sind keine Masern (das war wahr) - ne ich glaube, das ist Typhus."
"Gott bewahre, Eleonore, dann können wir unmöglich dorthin fahren." "Nein, Josephine, das geht nicht, wir müssen umkehren. Kutscher, fahren Sie uns zur Station zurück." sagte Josephine resolut. "Brr!" sagte Jehann. "Ne, Mamsellchens, das geht so nicht. Ich meinte das ja auch nur, dass die Kinder Typhus haben. Ich bin ja kein Doktor. Es ist ja gut möglich, das sie Masern haben. Der Herr hätte ihnen gewiss geschrieben, wenn das so schlimm mit den Kinder steht." "Nein, schreiben konnte er vorher nicht." "Ja, was soll ich denn sagen, wenn ich leer nach Hause komme?" "Kehren Sie nun wieder um, wir wollen Ihrem Herrn schreiben. Sie trifft keine Schuld."
Na, Jehann musste den alten Fräuleins ihren Willen lassen, sie wurden immer aufgeregter, als Jehann nicht zurück wollte.
"Was nun?" fragte Wilms, als er die Tanten mit einer sauersüßen Miene in Empfang nehmen wollte. "Wo hast du die Damen?" "Die wollten nicht mit - ne, die kehrten unterwegs wieder um. Ich habe sie mit ihren Sachen wieder bei der Bahn abgeladen. Sie wollen schreiben, warum sie nicht mitgekommen sind." "Das verstehe ich nicht," sagte Wilms. "Ja, solch alte Damen haben wunderliche Launen." meinte Jehann.
Tags darauf kam ein Brief:
Lieber Julius und liebe Anna!
Es tut uns sehr leid, dass wir unter den gegebenen Umständen umkehren und Euch eine Enttäuschung bereiten mussten. Hoffentlich kommen Eure lieben Kinder alle mit dem Leben davon. Seid doch recht vorsichtig, denn der Typhus steckt so leicht an.
Eure getreuen Tanten
Josephine und Eleonore
Als Wilms und seine Frau den Brief gelesen hatten, sagte Wilms: "So, nun sind wir noch genauso klug wie vorher, nun muss Jehann vors Brett. Jehann, komm einmal her." Wilms las ihm den Brief vor. "Verstehst du das?" "Ja Herr, sehen sie, ich wusste von früher her, dass die alten Damen schrecklich ängstlich um ihr Leben sind. Da habe ich ihnen nun gesagt und vorgelogen, ich glaube die Kinder hier hätten vielleicht Typhus. Der Doktor sagte, die hätten die Masern, um uns keine Angst zu machen. Ich sagte es so, weil ich meinte, dass die alten Fräulein hier zur Zeit sehr überflüssig sind." "So liegt die Sache," schmunzelte Wilms. Nachher rief er Jehann nochmals.
"Jehann, das olle Lügen ist ja sonst nicht dein Fall, das lass man lieber sein. Hier hast du ein Pfund guten Tabak für deine kurze Pfeife."

11. Jan

"Guten Tag, Vater Nissen."
"Guten Tag, Jan, setz dich ein bisschen."
"Es wissen nur Anna und ich, warum ich komme, sonst keiner. Hat Anna etwas gesagt?"
"Ja, Jan, ich weiß Bescheid."
"Na, was sagst du denn zu meinem Antrag?"
"Das will ich dir geradeheraus sagen. Ich pflege meine Meinung immer zu sagen, geradezu, ich halte damit nicht hinter dem Berg. Dann weiß jeder gleich, wie er mit mir dran ist. Ich habe zu Anna gesagt, Jan ist ein tüchtiger Kerl und er ist auch ein guter Kerl, aber -"
"Was aber?"
"Er sitzt zu viel im Krug. Der Krug ist eine schlechte Sparkasse. Gespart wird er bei seinem guten Verdienst nichts haben. Du bist verrückt, Anna, wenn du ihn nimmst. Nachher kannst du mit deinen Kindern abends allein zuhause sitzen, und Not und Elend sind ständige Gäste bei dir. So habe ich zu ihr gesagt. Sie ist mündig, und kann nun tun und lassen, was sie will. Mach es mit ihr selbst ab. Sie ist in der Küche."
"Ist gut, tschüss auch, Vater Nissen."
Anna stand in der Küche und weinte.
"Na, Anna, willst du mir sagen, wie ich mit dir dran bin?"
"Ach, Jan, ich täte es ja so gern, so gern, ich habe dich ja so lieb, aber -"
"Na, was aber?"
"Ich bin ängstlich um die Zukunft. Ich will ja gern alles mit dir tragen, nur nicht, wenn du so oft abends betrunken nach Hause kommst. Das kann ich nicht."
"Tja, wenn ich dir aber verspreche, dass ich immer ruhig und nüchtern bleiben will, was dann?"
"Ach, mein lieber Jan, das ist leichter gesagt als getan. Davor graut mir, sonst wohl gern."
"Na, dann weiß ich, woran ich bin. Tschüß auch, mein liebes Mädchen."
Damit ging er ab. Verdorri nochmal, das verfluchte Saufen! Recht haben sie ja, sie und ihr Vater, dass muss ich ehrlich eingestehen. Dem Mädchen zum Gefallen will ich mich ja gern umkrempeln, wo bekomme ich wohl so eine gute, schmucke und tüchtige Frau, wie die ist.
Jan ließ sich nicht mehr im Krug blicken, obgleich seine Freunde lockten und stichelten. Am meisten bedauerte es der Krüger, denn Jan war nicht beutelfaul und gab durch seinen trockenen Witz viel Gelegenheit zum Austrinken.
Jan war Elektrotechniker, tüchtig in seinem Fach und wohnte bei seiner Mutter, die Witwe war. Die Mutter freute sich unbändig, dass Jan abends bei ihr zu Hause saß. Er las dann allerlei Bücher, die ihm für seine Arbeit nützlich waren. Als seine Mutter ihre Freude einmal aussprach, sagte Jan: "Tja, Mutter, früher habe ich für den Krüger gearbeitet, jetzt arbeite ich für meine Frau. Lass den Krüger sehen, wie er ohne mich zurechtkommt." "Deine Frau? Hast ja keine." "Wird bald." "Wer ist das denn?" "Das sage ich nicht." Dabei blieb es.
So ging ein Jahr dahin. Jan kam gut voran und bekam immer mehr Kundschaft. Eines Tages kam Vater Nissen zu ihm: "Ja, meine Leitung ist nicht in Ordnung, gestern abend saßen wir im Dunkeln." "Ist gut, ich will einmal nachsehen." Jan machte die Sache zurecht. "Was bin ich schuldig, Jan?" sagte Nissen und zog seine Geldtasche. "Es kostet nichts. Ich werde meinem zukünftigen Schwiegervater doch kein Geld abnehmen. Tschüß auch, grüß Anna." Weg war er. "Was?! Ein verdrehter Bengel. Ich glaube, was er will, das setzt er durch. Hm, hm." sagte Vater Nissen und steckte sein Geld wieder weg.
Das zweite Jahr ging zu Ende, da kam Jan bei Vater Nissen an. "Guten Tag, Vater Nissen."
"Guten Tag, Jan, setz dich ein bisschen."
"Vater Nissen, will er das nun mit mir riskieren? Ich habe Anna gestern gefragt, sie will es wagen, aber ich will doch gern, dass er auch einverstanden ist."
"Ja, Jan, so gefällst du mir. Ich sage gern ja."
"Ist gut, dann machen wir in vier Wochen Hochzeit. Tschüß auch, Schwiegervater."

12. Peter

Wenn die Katze nicht im Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. So war es auch auf dem Damhof. Der Bauer und seine Frau waren zur Stadt gefahren um einzukaufen. Die einzige Tochter, die Dienstmädchen und Knechte wussten vor Übermut nicht, was sie anfangen sollten, denn die Arbeit drängte nicht. Draußen war nichts zu tun, und das Vieh im Stall war versorgt. Der Dienstjunge holte seine Harmonika herbei und spielte lustige Tanzstückchen. Die Knechte fegten einen Platz auf der Diele rein und drehten sich lustig mit den Mädchen zur Musik. Die Tochter, frisch und lebenslustig, machte mit. Nun war unter den Knechten ein junger Mann, groß und gerade gewachsen, ein wirklich hübscher Kerl, und tanzen konnte er, als wenn er das extra gelernt habe. Die Haustochter dachte, jammerschade, dass Peter gar nichts hat, sonst – und Peter dachte, Meta ist doch ein kleines nettes Mädchen, schade, dass sie eine Bauerntochter ist, sonst -, Peter hatte in der Schule ordentlich gelernt, konnte und mochte arbeiten, stand ganz allein in der Welt, aber – er hatte rein gar nichts.
"Peter," sagte die Tochter zu ihm, "kannst du mir schnell den großen Kessel mit Wasser aufs Feuer setzen helfen, willst du?" Peter wollte. Die beiden liefen zur Küche und besorgten das. Auf der großen Diele spielte der Junge einen lustigen Walzer. Peter fasste Meta um und drehte sich mit ihr in der Küche zur Musik. Sie sahen sich eigentlich ganz verliebt an und küssten sich, immer noch einmal. "So, nun lass ruhig," sagte Meta, "daraus kann ja doch nichts werden, du hast rein gar nichts, und wenn ich noch wollte, das leiden Vater und Mutter nicht. Was sollen die Leute wohl sagen, wenn ich einen armen Knecht heirate. Du musst wohl nach deinesgleichen suchen, Peter!"
"Wird wohl auch besser sein, Meta, du denkst so wie andere Leute auch: Wer nichts hat, der ist auch nichts, und den zählt man nicht."
Das Fest auf der großen Diele ging zuende, und jeder suchte seine Arbeit wieder auf. Peter war noch stiller und nachdenklicher als sonst. Er sagte überhaupt nicht viel, er hatte es in sich, sagten die Leute von ihm. Was er aber sagte, das hatte Sinn und Verstand. Alle Leute mochten ihn gern leiden und vertragen, er war ein Prachtmensch.
Acht Tage später bekam er einen Brief vom Amtsgericht. Er sollte zum Gericht kommen und all seine Ausweispapiere mitbringen. Er sagte keinem Menschen etwas von dem Brief, nahm Urlaub beim Bauern und stellte sich ein. Ein Onkel in Amerika war gestorben und hatte ihm 100 000 Dollar Bargeld vermacht. Na, das war eine nette Summe Geld, wenn auch der Herr Fiskus ein großen Abzug machte – der hatte es auch nötig! Aber es blieb noch genug übrig. Daran konnte Meta nicht klingeln. Wenn er sie nun fragen würde, ob sie seine Frau werden wolle, ob sie ja sagte? Fragen müsste er ja eigentlich. War das richtig? Sie nähme nicht den Mann, sie nähme das Geld. Er wollte erst einmal nichts von seiner Erbschaft sagen. Er brachte sein Geld zur Bank, ging still und nachdenklich nach Hause und wieder an seine Arbeit.
Am nächsnten Tag nach demMittag, als der Bauer allein in seiner Stube saß, ging er zu ihm hinein und sagte: "Ich wollte sie fragen, ob ich ihre Tochter bekommen kann, ich bin so gestellt, dass ich eine Frau ernähren kann. Darüber kann ich Sie beruhigen."
"Mein Junge, was piept wohl bei dir da oben? Das glaube ich, meine Tochter und dann meinen Hof, das könnte dir so passen! Wenn ich nicht denken müsste, du wärst über Nacht verrückt geworden, würde ich dich kopfüber hinauswerfen. Geh nur schnell hinaus."
"Na, das habe ich mir ganz so gedacht, dann nicht. Aber sagen Sie mal, kann ich Ihnen den Hof abkaufen? Ich möchte mich nicht gern verändern."
Der Bauer bog sich vor Lachen, schlug mit den Händen auf die Knie und schrie: "Nun glaube ich wahrhaftig, du bist verrückt."
"Sagen Sie schnell ja oder nein. Wollen Sie verkaufen?"
Der Bauer sah ihn ganz bedenklich von der Seite an. "Ich will verkaufen, wenn der Preis danach ist. Du kannst mir 180 000 Mark geben, bar bezahlt, dann ist der Hof dein, mit allem, was daran bummelt und bammelt."
"Schön, dann ist es abgemacht. Lass uns das auch schriftlich machen, und dann lassen wir den Hof morgen überschreiben."
Der Bauer ging, seiner Meinung nach scherzweise, auf den Plan ein. Peter setzte ganz geschickt den Kaufvertrag auf, alles ordentlich durchdacht und zusammengestellt - da war keine Spur von Verrücktheit. Peter unterschrieb, schob dem Bauern das Blatt zum Unterschreiben hin und sagte: "Das sind so die Hauptpunkte, damit der Notar einen Anhalt hat, das übrige findet sich morgen."
Da wurde der Bauer nachdenklich. "Ja, aber - hast du denn Geld?" "Das kriegen Sie morgen zu sehen. Hier steht übrigens: Wer zurücktritt, bezahlt 1000 Mark Reugeld." "Für wen kaufst du denn?" "Ich kaufe für mich selbst und kann bezahlen, darüber beruhigen Sie sich nur. Glauben Sie doch nicht, dass Sie einen anderen Käufer finden, der Ihnen glatte 180 000 Mark für den Hof bezahlt." Der Bauer unterschrieb.
"Und dann möchte ich heute nachmittags frei haben, ich habe noch allerlei zu erledigen."
"Ja, das kannst du, aber sag mir doch mal, wie kann so etwas angehen?"
Peter langte in seine Tasche, hielt dem Bauern sein Bankbuch unter die Nase und sagte: "Zur Beruhigung!" Damit ging er zu seiner Kammer und machte sich fein.
Der Bauer ging in Gedanken in seiner Stube auf und ab. Er hatte seinen Hof gut bezahlt bekommen, aber verkehrt war es doch, dass er sich überrumpeln lassen hatte. Hätte der Schafskopf nicht vorher sein Bankbuch zeigen können, dann wär es anders gekommen. Na, mit Meta, die Sache sollte noch werden.
Peter ging ganz tiefsinnig zu der Bauernstelle, die dicht beim Damhof lag und fragte dort, ob er den Bauern einmal einen Augenblick sprechen könne.
Der Bauer wurde geholt. "Na, was willst du denn?" "Sagen Sie mal, ich habe gehört, Sie wollen ihren Hof verkaufen." "Ja, wenn ich das auch wollte, was geht dich das an?" "Ich möchte Ihnen den Hof abkaufen, wenn der Preis nicht gar zu hoch ist." "Sag mir mal, bist du besoffen oder was geht dich das an?" "Nichts davon, ich kann bezahlen. Schnell den Preis, viel Geld habe ich nicht." Tja, lachte der Bauer, "setz dich man fest auf den Stuhl, damit du nicht auf den Rücken fällst. Ich verlange 120.000 Mark bar, sofort zu bezahlen. "Hm, ein bisschen viel ist es, aber ich will den Hof dafür übernehmen, und Sie bekommen sofort ihr Geld, wenn wir uns über die Bedingungen einig sind. Geben Sie einmal Tinte und Papier her, dass wir das Nötige festsetzen können. Das kann als Unterlage für den Notar dienen." Der Bauer sagte gar nichts, dachte aber, was da wohl herausbrät. Der Kontrakt wurde gemacht, beide unterschrieben. "So, nun können Sie morgen mit zur Stadt fahren, den Damhof habe ich auch gekauft, der soll mir morgen zugeschrieben werden. Tschüß auch."
"Na, sowas ist mir noch nicht vorgekommen," sagte der Bauer zu seiner Frau, "einen Hof zu verkaufen in fünf bis zehn Minuten! Soll der Bengel wirklich Geld haben? Er hat in den Kontrakt geschrieben, wer zurücktritt, zahlt 1000 Mark an die Gegenpartei. Ich werde nicht zurücktreten, denn der Hof ist über die Maßen bezahlt, und verkaufen muss ich doch. Wir sind alt und die Kinder wollen und können den Besitz nicht übernehmen. Sie haben mir schon immer gesagt, versitz nicht die Zeit, verkauf, wenn dir gut geboten wird."
Peter ging querfeldein und kam auf dem kürzesten Weg zum Außendeich. Hier unterm Deich wohnte der Tagelöhner Ohlsen. Peter kannte ihn gut. Das war ein braver, fleißiger Mann, hatte aber seine liebe Not, sich und seine große Familie durchzubringen. Seine Frau war vor Jahresfrist gestorben, und seine älteste Tochter hielt Haus bei ihm. Seine Tochter Marie war ein schmuckes, fixes Mädchen. Wo sie gedient hatte, wurde sie als zuverlässig und tüchtig in allen Richtungen gelobt. Schade, dass sie nun hier zu Hause sitzen musste.
Peter ging bei Ohlsen ins Haus. Marie lief es heiß über den Rücken, denn sie hatte den Peter so gern. Ohlsen war nicht zu Hause, das hatte Peter sich so gedacht. "Na, Marie, du wunderst dich gewiss, dass ich komme." "Ja," sagte Marie sanftmütig. "Vater ist nicht zu Hause, nur ich und die Kleinen, die anderen sind noch nicht aus der Schule gekommen. Was hast du denn?" "Ja, Marie, ich wollte dich nur fragen, ob du meine Frau werden willst." "Mein Gott, auf einmal? Ich meine, du willst doch auf dem Damhof heiraten. Die Leute reden davon, dass Meta ganz in dich vernarrt wäre." "Die Leute reden viel. Meta nimmt keinen armen Knecht. Das hat sie mir einmal deutlich zu verstehen gegeben. Du willst auch nicht, Marie?" "O, für mich kommt das nicht in Frage, ich habe nichts, rein gar nichts, und Vater kann mir auch nichts geben." "Na, wir sind beide gesund, können und mögen arbeiten, das ist erst einmal die Hauptsache, das andere findet sich. Wir kennen uns nun ja lange genug. Ich meine das treu und ehrlich. Sag, darf ich nach einer guten Stunde wiederkommen? Dann wird dein Vater da sein! Besprich die Sache mit ihm. Oder ist es dir lieber, wenn ich nicht wiederkomme?" "Ja, Peter, darfst gern wiederkommen."
Peter stellte sich nach einer guten Stunde wieder ein, wurde freundlich hereingelassen und bekam guten Bescheid. "Aber," meinte der Vater seiner kleinen Braut, "noch kann ich Marie nicht entbehren. Du musst Zeit geben." "Darüber werden wir uns leicht einig," meinte Peter.
Er blieb noch eine Weile sitzen und war ganz gesprächig. "Das ist heute ein glücklicher Tag für mich. Zuerst habe ich zwei Bauernstellen gekauft, und nun habe ich auch noch so eine kleine, nette Braut." "Was hast du? Zwei Bauernstellen gekauft, du bist ja wohl närrisch!" rief Ohlsen. Und Peter erzählte nun entgegen seiner Gewohnheit ausführlich, was er in den letzten Tag erlebt hatte. Jungedi! Das gab ein großes Hallo in der Tagelöhnerkate! "Erst einmal nehme ich den Damhof selbst in Betrieb, bis ich mich eingelebt habe. Vater Ohlsen, du musst wohl in den sauren Apfel beißen und die andere Bauernstelle in Verwaltung nehmen. Willst du?" Ob er wollte! "Na, dann noch ein Frage, wann meinst du denn, dass wir heiraten können, Schwiegervater?" "Morgen den Tag, meinetwegen," sagte der. "Ist gut," sagte Peter, "so bald wie möglich."

13. Ein Lügenmaul

Mitten in der Marsch, 20 Minuten vom großen Kirchdorf Lunden entfernt, lagen drei Bauernhöfe. Auf dem einen wohnte Fritz Jansen, dicht bei ihm, Hof an Hof, sein Sohn Niklas, und ein bisschen abseits der älteste Sohn, Reimer, der sich da eingeheiratet hatte.
Fritz Jansen war in der ganzen Gegend bekannt, einmal wegen seiner großen Gutmütigkeit und dann wegen seiner Neigung, Leuten etwas aufzubinden oder einen Schabernack machen. Das war so zur Gewohnheit bei ihm geworden, dass er gar nicht anders konnte, er musst den Leuten, die ihm begegneten, irgend eine Posse reißen.
Die armen Leute in Lunden hatten aber an "Ole Jansen", anders wurde er nicht genannt, in schweren Zeiten ein große Stütze. Kamen sie in der arbeitslosen Zeit, wenn die Schneeflocken flogen, zu ihm und baten um ¼ Tonne Roggen oder Weizen, dann sagte er nicht nein, stillschweigend stieg er zum hinauf Boden und maß es ihnen ab. Wurde ihm die Rennerei zuviel, knurrte er: "Ihr kommt immer zum ollen Jansen. Ich will das nun bald nicht mehr." Er holte sein Taschenbuch heraus und sagte: "So, ich schreibe es an, und wenn du nachher verdienst, sollst du das Korn bezahlen, nimm das man erst einmal mit." Kam nachher der eine oder andere und wollte wirklich bezahlen, dann blätterte er in seinem Taschenbuch und sagte: "Davon weiß ich nichts, dann hätte ich es angeschrieben. Geh nur."
Wir Dienstjungen, - ich war sechs Jahre bei ihm – sammelten uns Knochen, die auf dem Hof herumflogen, zusammen, um sie zu verkaufen. Wir wollten uns einen kleinen Markgroschen zusammensparen. Der Alte munterte uns selbst dazu auf. Eines Tages füllten wir unsere Knochen in einen Sack, legten den auf den Handwagen und wollten damit zu Jan Richter in Lunden. "Jungs," sagte der Alte, "lauft nur schnell zum Schweinestall, ich hörte da eben ein Ferkel quieken, seht mal genau nach, dass die Sau mir keines tot drückt." Wir liefen hin. Der Alte machte rasch den Sack auf und packte uns einen großen Feldstein hinein.
Jan Richer, der Lumpenhändler, kannte uns schon. Er nahm den Sack, warf diesen auf die Wagschale, bezahlte uns nach Gewicht und schüttete die Knochen aus. Was machte der Kerl für ein Spektakel, als der große Feldstein herauskam. Er griff nach seinem Handstock und wollte uns den Stein auf dem Buckel anschreiben. Wir riefen: "Das hat der Alte getan, das hat der Alte getan!" Zum Glück kannte er die Streiche des Alten, wog den Stein und wir mussten das Geld wieder zurückgeben. Warte man, den Stein sollte der Alte bezahlen. - Wir machten ein wehleidiges Gesicht und sagten: "Jan Richter wollte uns verprügeln, er meinte, wir würden ihn betrügen. Hat er uns den Stein da hineingetan?" Ole Jansen grinste sich eins, sagte aber nichts und drückte jedem fünf Groschen in die Hand.
Eines Tages ging der Alte den Weg entlang und ließ das Wasser aus den Pfützen ablaufen. Da kam ein Reiter, zügelte sein Pferd und sagte: "Guten Tag auch." - "Guten Tag." knurrte der Alte und schaufelte ruhig weiter. "Sagen Sie mal, hier wohnte doch der alte Jansen. Ich habe so viel von ihm gehört, was macht er denn? Er muss schon ziemlich in den Jahren sein." - "Och, mein lieber Mann," sagte der Alte und sah ihn recht unschuldig an, "wollen Sie ihn sprechen, dann kommen Sie zu spät, der ist hinüber." "Wieso?" - "Tscha, sie haben ihn heute morgen tot im Bett gefunden." - "Was, ist er denn gar nicht krank gewesen?" - "Na, sehen Sie, er aß gut und viel und arbeiten tat er wenig, machte sich nicht genug Bewegung. Das kann der Mensch auf die Dauer nicht aushalten. Da hat er über Nacht einen Schlag bekommen, und nun ist das vorbei!" - "Hm, das tut mir leid. Er war doch so ein guter Mann, hat vielen Leute geholfen, habe ich gehört. Da haben die armen Leute in Lunden einen guten Freund und einen Wohltäter verloren." - "Ich weiß nicht," meinte der Alte, "er hatte aber auch viele Feinde, denen er übel mitgespielt hatte. Er war doch eigentlich ein großer Windbeutel. Er konnte ihnen mit dem ehrlichsten Gesicht der Welt eine Geschichte aufbinden – das war nicht schön! Na, lass ihn ruhn, ich will ihn nicht schlecht machen." "Hm, schade," sagte der Reiter, "das tut mir doch leid für ihn," und damit ritt er weiter nach Lunden. Der Alte sah ihm behaglich nach. "Na, wenn das nicht ganz Lunden in Alarm bringt, will ich Klas heißen."
Der Reiter stellte sein Pferd unter und ging zur Gaststube. Da saßen viele Bauern, denn es war Wochenmarkt. "Was gibt es Neues?" fragte der Wirt, als er dem Reiter ein Glas Bier brachte. "Tscha, das Neueste werden sie wohl schon wissen. Der Ole Jansen ist über Nacht gestorben. Sie haben ihn heute morgen tot im Bett gefunden, hat wohl einen Schlag bekommen." - Die Gäste horchten auf. Alle bedauerten das. "Dann ist es kein Wunder, dass Reimer Jansen nicht hier ist," sagte Cornils Martens, "er ist sonst immer zum Wochenmarkt hier. Dann wird er heute nachmittags auch nicht kommen, bei mir ist große Gesellschaft."
Bei Cornils saßen sie bei Kaffee und Kuchen und besprachen den Todesfall. Da kamen Reimer Nielsen und seine Frau angefahren. Ganz vergnügt kamen sie herein und wünschten den Leute eine gute Zeit. "Na, es wird ja wohl Zeit, das wir uns einstellen," lachte Reimer, "sonst wäre uns der Kaffee sausen gegangen." Die Leute waren sehr still und zurückhaltend und gaben kurze Antworten, und da sie auch leise vor sich hin zischelten, und Reimer und seine Frau so sonderbar ansahen, sprang Reimer auf und sagte: "Sagt mal, was habt ihr eigentlich, ihr kommt mir alle so seltsam vor? Sprecht euch offen aus, habt ihr etwas gegen uns?" Da meinte Cornils Martens: "Sag mal, Reimer, bist du kürzlich bei deinem Vater gewesen?" "Ne, seit 8 Tagen nicht, was meinst du damit?" "Tscha, in Lunden wird heute morgen erzählt - nimm mir das nicht übel, Reimer, ich sage nur was da erzählt wird – der Alte wäre über Nacht gestorben." - "Was, das sind Lügen, dann wüsste ich es doch. Cornils, lass anspannen!" Reimer jagte nach Hause, fuhr an seiner eigenen Auffahrt vorbei zum Hof des Alten. Der Alte saß vor Mauer auf seinem Bockstuhl, mit dem er in der Sonne um das Haus wanderte, und rauchte seinen schwarzen Krausen, das Pfund zu 15 Schilling. - "Na kannst du das bisschen Weg nicht zu Fuß machen, wenn du mich besuchen willst? Solltest deine Pferde schonen, sind ja klitschnass!" "Wir kommen von Cornils Martens, da sagten sie, dass du über Nacht gestorben wärst. Das musste ich doch untersuchen." "So, so," sagte der Alte, "wer das denn nun wohl zusammen gelogen hat?" - "Das muss ich wissen," meinte Reimer und sah den alten scharf an.
Nun könnte ich noch stundenlang von den Schrullen des alten Jansen erzählen. Zum Schluss nur noch ein Stückchen, wo er selbst die Kosten tragen musste.
Jansen hatte seit Jahren ein tüchtige Haushälterin, Trinke Sönksen. Sie war ein älteres Mädchen, so Ende dreißig. Sie sah gut aus, hatte sich ziemlich viel Geld aufgespart, war aber doch übergeblieben. Wenn der Alte sie einmal foppte, sich doch einen Mann zu nehmen, wies sie das weit weg. Sie wollte nicht. So gut wie sie es nun hatte, bekam sie das nirgends wieder.
Da kam eines Tages ein Handelsmann aus Lunden dem Alten zur rechten Stunde zwischen die Finger. - "Hannes, du kommst ja überall in der Gegend herum, du kannst mir einen Gefallen tun." - "O, gern, Herr Jansen." - "Aber, sag mir mal, kannst du schweigen, ausverschämt schweigen?" - "Sicher doch, ich bin dicht wie ein Pott, wenn es sein muss." - "Dann hör einmal zu. Wenn du zu einer bestimmten Zeit, die ich dir später sagen werde, ein gute Haushälterin findst, soll es mir nicht auf ein gutes Trinkgeld ankommen." "Nanu, will Trinke denn nicht bleiben?" - "Och, die hat das Heiraten im Kopf." "Was, wen will sie denn heiraten?" - "Tscha, die Leute sagen ja, der Schmied Wiese in Lunden will sie haben. Er ist Witwer und kann nicht recht eine Haushälterin finden. Aber sprich nicht davon, es hat ja Zeit, bis das soweit ist. Unter der Hand siehst du dich einmal nach einer Haushälterin für mich um." - "Soll besorgt werden."
Hannes zog ab, und bald wurde in Lunden erzählt, dass der Schmied Wiese die Haushälterin vom alten Jansen heiraten wolle. Leute, die in die Schmiede kamen, gratulierten dem Meister. - "Wozu denn? Ich hab keinen Geburtstag, und das große Los hab ich auch nicht gewonnen. Was ist denn los?" - "Na, Meister, stell dich doch nicht an. Du machst eine gute Partie, kannst gar nicht besser tun." Da hörte er dann, was die Leute erzählten. - "So, das ist mir ganz etwas Neues. Davon weiß ich wirklich gar nichts."
Der Schmied ließ sich die Sache durch den Kopf gehen und sagte sich: Das ist gar nicht so dumm, was die Leute sich da zusammengeflunkert haben. Trinke ist tüchtig in allen Dingen, sieht gut aus, und ein bisschen in die Milch zu krümeln hat sie auch. Wenn sie nur will, ich mache es, der Teufel hol's.
Sonntags kam der Schmied auf den Hof vom Alten Jansen, ging direkt in die Küche und fragte die Haushälterin, ob er sie einen Augenblick sprechen könne. Dann gingen sie dann in Trinkes Stube. Nach einer halben Stunde kamen sie wieder zum Vorschein, gingen zum Alten hinein und stellten sich als Brautpaar vor.
Der Alte fiel beinahe vom Stuhl, rappelte sich aber auf, gratulierte und meinte dann: "Na, wie kommt das auf einmal?" - "Tscha," lachte der Schmied ganz vergnügt, "die Leute haben uns zusammen gelogen, sonst hätten wir beide nicht daran gedacht. Bei solcher Windbeutelei kann auch etwas Gutes rauskommen, das sieht man ja."
Als sie weg waren, kratzte der Alte sich hinter den Ohren und meinte dann: "So, ole Jansen, da hast du dir was Schönes eingebrockt. Sagt das alte Mädchen, sie will gar nicht heiraten und den ersten, der kommt, nimmt sie unbesehen. Nun kannst du sehen, woher du wieder so eine tüchtige Haushälterin bekommst. Das schadet dir nichts. Das olle Lügen wollen wir man aufgeben."
Mir ist nicht bekannt, ob der Alte sich darin geändert hat. Was darin begriest, ist darin begraben. Der alte Jansen ist nun schon bald 50 Jahre tot, aber vergessen ist er bei mir nicht. Sein Bild hängt noch immer an der Wand in meiner Stube.

14. Keine ängstlichen Kerle

"Wisst ihr noch, was war es hier im vergangenen Jahr gemütlich. Da war Willem Bücker noch so frisch wie Tau, rein mall war er." - "Ja, und nun liegt er schon auf dem Kirchhof. Wer weiß, wer von uns in diesem Jahr daran glauben muss. Das geht machmal schnell, das können wir bei Willem sehen, der war so gesund." - "Kinder, ihr seid nicht recht klug, macht euch das Herz schwer mit allerlei dunklen Gedanken. Wozu das? Freut euch doch, dass ihr gesund und munter seid, und dann sitzt ihr hier zum Trübsal blasen, wir wollen hier doch vergnügt sein." "Krüger, gib uns noch eine Runde, dass sie auf andere Gedanken kommen," sagte Sönke Jansen. Na, die Runde kam, und dann noch eine Runde nach der anderen. Die Köpfe wurden warm und der Mut und die Lebenslust wurden bei den jungen Leuten, die zuhauf Neujahrsabend feierten, immer größer.
"Wisst ihr was," sagte Sönke Jansen, "Willem Bücker war ein alter guter Junge und ein treuer Kamerad, ich denke, wir gehen hin und besuchen ihn auf dem Kirchhof. Wer geht mit?" "Lass diesen Unsinn sein," mahnte Peter Bahnsen, "was soll das? Das ist nicht schön. Besuch seine Ruhestätte, wenn du nüchtern bist." Auch der Krüger sprach dagegen. Aber nun wollten sie gerade hin, Sönke Jansen und drei andere. Sie waren keine ängstlichen Kerle! Das brauchte keiner zu glauben. Unfug machen wollten sie nicht, also was war dabei?
Sie gingen. Der Kirchhof lag still und einsam. Der Mond schien nicht, aber der Schnee machte es so hell, dass sie ihren Weg leicht finden konnten. Sie machten die Pforte auf, die knarrte ja fürchterlich. Das war ihnen nie aufgefallen bis jetzt in der Stille der Nacht. Sie gingen auf die Stelle zu, wo sie vor wenig Wochen ihrem Freund Willem zur letzten Ruhe gebettet hatten.
Die vier jungen Leute gingen still vor sich hin, jeder in seinen Gedanken. Sie waren aber nicht unbemerkt geblieben!
Der Küster, der bis um zwölf mit seiner Familie aufgeblieben war, um das Neue Jahr in Empfang zu nehmen, wollte zu Bett. Da fiel ihm ein, dass er die Kirchenuhr nicht aufgezogen hatte. Das ging nicht, die Uhr musste doch am Neujahrsmorgen die Stunde richtig angeben. Er langte also nach dem Kirchenschlüssel und brummte: "Und wenn im Dorf die Uhr nicht geht usw." "Nimm dich aber bei der alten Treppe in acht, Vater," rief seine Frau ihm noch nach. "Keine Angst, Mutter, ich weiß da so gut Bescheid wie in meiner Westentasche!"
Der Küster hatte die Uhr aufgezogen und sah aus der Luke über das in stillem Frieden vor ihm liegende Dorf. "Du lieber Gott," sagte er sanft vor sich hin, "halte uns schön gesund und frisch auch im neuen Jahr und bewahre uns den Frieden." Da knarrte die Kirchenpforte. "Nanu, was wollen die denn? Unfug machen, und dann hier? Warte, euch wollen wir kriegen!" Der Küster legte die Hände an den Mund und rief in tiefstem Bass mit verstellter Stimme: "Kehrt um, Ihr geht verloren, verloren!"
Ganz erschrocken blieben die vier stehen, schauten sich ängstlich um, konnten aber nichts entdecken. Als nun dieselbe Stimme rief: "Wehe, wehe! Verloren, verloren!" da war kein Halten mehr. So schnell sie laufen konnten, ging es querbeet und holter-kapolter über die Kirchenmauer zur Straße.
O weh! Das ging nicht ohne Püffe. Sönke Jansen hatte Schrabnase gespielt und sich das ganze Gesicht aufgeschrammt. Peter Ehlers jammerte, er habe sich die Hand verstaucht, und die anderen beiden waren auch nicht ganz ohne Stoß davongekommen. Jeder brachte ein kleines Andenken von dem Besuch mit zum Krug, der nahe beim Kirchhof lag.
Hier saßen sie nun, ganz eingeschüchtert und weiß wie eine Wand. Nein, sie waren keine ängstlichen Kerle, aber keine vier Pferde zogen sie in der Neujahrsnacht wieder auf den Kirchhof.

15. Teure Zeiten

Der Schuster Jehann Krüger, Hans-Schuster hieß er in seinem Dorf, saß morgens mit seiner Frau beim Kaffee. Die Kinder waren schon zur Schule. Als er satt war, stopfte er seinen Knösel mit schwarzem Krausen und sagte zu seiner Frau: "Wie haben es doch eigentlich gut in dieser schweren Zeit, Mutter. Wir sind gesund und haben uns noch immer satt gegessen, wir und die Kinder. Möge das auch im neuen Jahr so bleiben. Ich glaube allemal, es wird bald besser werden, du wirst schon sehen."
"Du kannst ja viel erzählen und weißt gar nicht, wir mir zumute ist. Es soll besser werden? Danach sieht es gerade aus. Es wird immer teurer und schlechter. Ich weiß wirklich nicht, wir wir zurechtkommen sollen. Alles steigt von Tag zu Tag immer höher. Du verdienst ja gut, aber das viele Geld reicht nirgends hin. Die alten dreckigen Lappen gleiten einem durch die Finger, man weiß gar nicht, wo sie geblieben sind. Wie soll das noch einmal werden, wenn es noch teurer und immer teurer wird? Dann sind wir verloren. Ich begreife nicht, wie du dabei so ruhig und vergnügt bleiben kannst. Mit deinem alten dummen Schnack: Unser Herrgott verlässt keinen ordentlichen Deutschen, und wenn er barfuß geht, kommst du nicht weit. Dafür kannst du nichts kaufen!"
"Anna," sagte der Schuster, "weißt du, was meine Mutter immer sagte, wenn es ein bisschen knapp herging? Sie sagte: 'Vergügt und kein Geld, das ist eine Gnade von Gott'. Und sie hat recht! Lass uns doch zufrieden sein, wenn es einigermaßen geht. Glaub nur, dass es vielen Leuten in unserer Heimat noch ein ganzes Teil schlechter geht, als uns. Auf die Leute, die weniger haben als wir, müssen wir sehen, nicht auf die, die es dicke haben, das gibt Zufriedenheit. 'Wenn wir aber Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns genügen,' steht in der Bibel, und das alte Buch kann einen Menschen trösten und Rat geben, - aber, wer hört darauf? - Wir können uns noch in vielen Dingen einschränken, ehe wir hungern müssen."
"Wieso, ich weiß, meine arme Seele, wahrhaftig nicht, wie ich noch sparen sollte," sagte Anna giftig.
"Na, dann sag mal, tat es nötig, das wir die teuren Gardinen kauften? Ist es nicht überflüssig, dass wir zum Sonntag einen Kuchen backen? Kann ich meine Pfeife nicht beiseite stellen? Der Tabak ist wirklich zu teuer. Ich kann auch noch eine Weile beibleiben zu erzählen, aber lass nur. Nein, Mutter, so lange wir noch für allerlei Geld übrig haben, was nicht zum Sattwerden nötig ist, solange dürfen wir nicht über teure Zeiten klagen."
Damit klopfte Hans-Schuster die Pfeife aus, stieg auf seinen Schusterbock, hielt ein Paar schiefgelaufene Stiefel in die Höhe und machte sich ganz vergnügt an die Arbeit. Anna Schuster schüttelte den Kopf und lief in die Küche.
Da kam sein Nachbar, der Tagelöhner Klas Brinkmann, zu ihm herein und sagte: "Hans, schau dir die Stiefel mal an, sind die noch zu retten?" - "Tscha, Klas, wenn es andere Zeiten wären, dann würde ich sagen, wirf sie ruhig in die Ecke, die sind das Flicken nicht wert, ich will dir ein Paar neue machen, aber so, - da müssen wir einmal sehen, was sich machen lässt. Du willst sie gewiss bald wieder haben." "Ja, Hannes, das will ich gern, ich bin mit Fußzeug knapp davor." "Habe ich mir ganz so gedacht." "Was werden die wohl kosten?" "Das kann ich dir nicht sagen. Bei dir läuft ja nichts über, Klas, ich werde sie dir so billig machen, wie ich kann, das weißt du ja."
"Ja, Hannes, unvernünftig bist du ja nicht, das ist gewiss, aber sonst wird man überall ausgenommen, das ist nicht mehr schön. Eben war ich beim Händler, holte mir ein Pfund Margarine und musste 2000 Mark für den kleinen Klumpen bezahlen, und dann ist es nur gute Wagenschmiere, sonst nichts. 1500 hatte ich nur, ich musste noch 500 schuldig bleiben. Mensch, wie soll das noch einmal werden? Es wird ja je länger je schlimmer. So lange ich noch beim Eisenbahndamm zu tun habe, geht es ja, da verdienen wir gut." "Ja, ich habe gehört, das dauert noch einige Monate. Da kannst du einmal ordentlich geradevor kommen, Klas."
"Ach, das geht von der Hand in den e Mund. Und bei der Bahn wird einer auch allerlei Geld los. Die alten Brüder müssen den Hals einmal ein bisschen anfeuchten, und Köm und Bier sind ein teures Gesöff heutigen Tages." - "Tja, muss denn das notwendig sein?" - "Das muss nicht gerade sein, aber sie lassen einem ja keine Ruhe. Wer unter Wölfen ist, muss mit ihnen heulen, es geht nicht anders. Da wird dann manchmal gelost und geknobelt, und ein, zwei, drei, bist du einen Berg Geld los."
Wenn ich Klas Brinkmann wäre, würde ich sagen: 'Kinders Leute, wenn ich hier Köm und Bier trinke, werden Frau und Kinder davon nicht satt, ich komme nicht mit, macht, was ihr wollt, und tut, was ihr nicht lassen könnt. - Sieh mal, Klas, das Halsloch ist ein verteufelt enges Loch, aber was geht da unnütz und überflüssig in Jahr und Tag alles hindurch! Du kennst den Schiffer Theissen. Er hatte vor Jahren ein großes schönes Schiff, einen Dreimastschoner. Wo ist der geblieben? Durch den Hals gesegelt, im Magen untergegangen. Keine Versicherung gibt ihm Schadenersatz. Nein, mein lieber Klas, wenn ich hier so auf dem Schusterbock für mich allein sitze, dann habe ich Zeit, über allerlei nachzudenken, und da habe ich dann herausgefunden: Viele Leute stöhnen über die schweren Zeiten, weil sie alte Gewohnheiten nicht lassen können. Ganz gewiss, schön ist es bei uns augenblicklich nicht. Herr du meine Güte, sieh dir in Kiel oder Flensburg einmal die Ladenfenster an! Was wird da ausgestellt und angeboten: Torten, Bonbons, Schokoladen usw., da ist das Ende von weg, und dann ein Laden am anderen. Na, und hier bei uns auf dem Land? Lass dir einmal erzählen, was da zu passender und unpassender Gelegenheit an Eier- und Rahmtorten verdrückt wird. Und dann wollen wir über schlechte und teure Zeiten jammern? Passt das zusammen? Ne, Klas, einfacher leben müssen wir."
"Ja, das ist schön und gut, Hannes, aber die Schankwirte und Konditoren wollen doch auch leben!" "Sollen sie auch, aber lass sie sich anders einrichten. Versteh mich recht, ich rede nicht von den ordentlichen Gasthäusern, die muss es geben, versteht sich! Ne, ich denk an die vielen Löcher, wo nur auf das Saufen und Swutschen ankommt, die müssen weg, denn sie ruinieren viele Leute, glaub mir das!"
"Ja," sagte der Tagelöhner, "Hannes, da mag ja viel Wahres darin liegen, was du sagst, ich kann es nicht so durchschauen. Aber soviel ist gewiss, das Köm- und Biertrinken will ich aufgeben. Das ist man ein kurzer Weg, wo es gut schmeckt, nachher hat es so einen aasigen Nachgeschmack." "Was du klug tust, Klas. Sonnabend kannst du deine Stiefel holen." Der Tagelöhner ging, und Hans-Schuster pfiff noch einmal so vergnügt.
Sonnabend Abend kam Klas Brinkmann um seine Stiefel zu holen. Hans-Schuster hatte die Werkstatt schön aufgeräumt. Mitten in der Stube stand ein Tisch und rundherum vier Stühle. Auf dem Tisch lag ein Kartenspiel, und auf jeder Ecke stand ein Untertasse mit 10 Bohnen darin. Und was war das? Auf dem Tisch stand eine volle Flasche, vier Groggläser dabei!
Teufel auch, dachte Klas, der alte scheinheilige Schuster! Hans-Schuster spürte die Gedanken des Tagelöhners und sagte: "Na, Klas, hast du in dieser Woche wieder geknobelt und Bier getrunken?" "Ne, das hab ich nicht, ich hab meinen ganzen Wochenlohn nach Hause gebracht, da fehlt kein Groschen. Ich bin dir dankbar dafür, aber" – er zeigte zur Flasche, Hans-Schuster lachte und Anna grinste auch.
"Anna, du sollst Klas-Nachbar ruhig ein Glas Grog machen, er hat die ganze Woche auf dem Trockenen gesessen." - "Ne, lass man, da sind die Zeiten nicht danach, sich vollaufen zu lassen - so sagtest du doch zu mir - und dann so ein teurer Rum!"
"Ach, es kostet dich doch nichts, und ein Vergnügen, das nichts kostet, kann man gern mitmachen. Vergnügt sein muss der Mensch doch, wenn es auch schlechte Zeiten sind, das hält jung! Schenk du nur ein, Anna!"
Anna Schuster füllte Zucker in ein Glas und goss kochendes Wasser dazu. Dann schob sie Klas das Glas hin und sagte ganz schelmisch: "So, Klas, nun mach dir das nur selbst weiter zurecht. Recht heiß, süß und stark muss der Grog sein, anders schmeckt er nicht."
"Sieh, wie du dich auskennst," sagte Klas, "das Grogtrinken scheint hier Mode zu sein." Damit nahm er den Propfen ab und goss sein Glas voll Jamaika-Rum. Er nippte nur, und setzte das Glas schnell wieder ab und rief: "Verdori, das ist ja gar kein Rum! Was ist das?"
"Ne, wie sollte das wohl Rum sein? Hab ich auch nicht gesagt. Es ist schwarzer Johannisbeersaft. Schmeckt das nicht schön? Bei unserem Solospielen jeden Sonnabend, wird uns der Hals vom Schmöken oftmals etwas trocken, dann trinken wir je wie es kommt Kornkaffee oder Buttermilch und zu Veränderung auch einmal Saft."
"Hm, und dann spielt ihr um Bohnen, nicht um Geld?"
"Wir spielen wohl um Geld, 10 Bohnen für einen Groschen, aber wir setzen uns nicht hin, um einander das Geld aus den Taschen zu holen, das können wir anders leicht loswerden. Ne, das ist ein Spiel, kein Geschäft, und muss auch Spiel bleiben." lachte Hans-Schuster.
"Ja, Hannes, du verstehst in diesen teuren Zeiten zu leben, das merke ich. Hast du meine Stiefel zurecht? Was kosten die?"
"Das weiß ich noch nicht, mein Junge. Ich will dir einen Vorschlag machen. Du legst jede Woche fünfzehn bis zwanzig Mark beiseite, und dann wollen wir einmal sehen, wie die Stiefel sich im nächsten Vierteljahr machen. Gehen sie bald aus dem Leim, bezahlst du wenig, halten sie sich gut, musst du ein bisschen tiefer in die Tasche greifen. Bist zufrieden?"
"Ja, Hannes, ich danke dir auch. Bist ein Mann, der in die Welt passt und in unsere Zeiten. Vielen Dank für deinen schönen Grog, Anna, und nun gute Nacht zusammen!"

16. An den Unrechten gekommen

"Herein!"
"Guten Tag auch, Herr Justizrat. Ich komme zu Ihnen wegen einer Vorfrage."
"Nun, wenn die Sache sich rasch erledigen lässt, dann nur zu, meine Zeit ist bemessen."
Ich bin Störschlachter Bünning und stehe, wissen Sie, jeden Donnerstag mit Störfleisch auf dem Markt vor dem Haus von Bäcker Vollertsen. Als ich mich heute morgen einen Augenblick von meinem Tisch abwendete, da kam ein großer Hund, verstehen Sie mich, und schnappte mir ein Stück Störfleisch vom Tisch, so fünf- bis sechs Pfund. Ich kenne den Mann, dessen Hund das Fleisch geholt hat und habe auch Zeugen, dass die Sache so ist, wie ich sie erzählt habe. Nun will ich Sie nur fragen: Muss der Mann mir das Fleisch bezahlen?"
"Jawohl," meinte der Justizrat nach Bünnings Auseinandersetzung. "Sie können von dem Mann Schadenersatz fordern. Sollte er sich weigern, den Schaden, den sein Hund gemacht hat, zu ersetzen, so kommen Sie nur wieder, dann wollen wir den Kerl verklagen."
"O, Herr Justizrat, das Verklagen wird nicht nötig tun. Wenn Sie es sagen, dass der Mann für seinen Hund bezahlen muss, dann ist mir um mein Geld nicht bange. Das ist nämlich Ihr Karo, der mir das Fleisch gestohlen hat."
"So? - Nun, Bünning, wie groß ist Ihr Schaden denn?"
"Ja, Herr Justizrat, so genau kann ich das nicht sagen. Nehmen wir eine runde Summe, sechs Pfund Störfleisch, beste Ware, zu fünfzig Pfennig das Pfund, macht akkurat einen Taler."
"Hm, eine teure Mahlzeit für einen Hund. Nun, wenn es dem Karo dann nur geschmeckt hat." Mit diesen Worten legte der Herr Justizrat einen harten Taler für Bünning auf den Tisch.
"Danke, Herr Justizrat, tschüss denn auch." Als die Tür hinter dem Störschlachter geschlossen war, murmelte er vergnügt in den Bart: "Da fingen wir eine alte Ratte!"
Da wurde die Tür nochmals aufgemacht. Der Herr Justizrat rief: "Bünning, auf einen Augenblick! Bitte geben Sie mir doch Ihre genaue Adresse an."
"Ja, wozu denn?"
"Es ist nur wegen der Gebühren für die Vorfrage," meinte der Justizrat trocken.
"Gebühren für die Vorfrage?"
"Sie können mir dieselben auch gleich bezahlen, dann ersparen Sie mir die Schreiberei."
"Ja, wieviel ist denn das, wenn ich fragen darf?"
"Vier Mark."
"Was, vier Mark? Da muss ich also für mein Störflesch noch eine Mark zulegen?"
"So ist es," sagte der Justizrat, "zu diesem empfangenen Taler legen Sie eine Mark, so ist die Sache in Ordnung."
Bünning musste wohl oder übel bezahlen, meinte aber: "Das olle Fragen will ich mir abgewöhnen."

17. Anhalten tut kriegen!

"Mit den Handelsleuten ist es doch rein zu doll gerade. Wirft man so einen Kattunreiter vorn aus der Haustür, dann geht er durch die Hintertür wieder hinein."
"Ja, Vater Stöwen," sagte der Schmied, "recht hast du, aber was soll man dazu sagen: Anhalten tut kriegen! Würden die Leute sich nicht aufdrängen, so könnten sie auf der Landstraße verhungern."
"Ja," meinte der Müller, "wenn man aus der Vordertür rausgeschmissen wird und geht dann hinten wieder rein, so kann man unter Umständen zu einer Frau kommen. Du hast recht, Schmied: Anhalten tut kriegen."
"Wie meinst du das, Müller?" sagte der Schuster.
"Still!" rief es durcheinander, "Lasst den Müller erzählen."
Der Müller nahm einen kräftigen Schluck, stopfte seine Pfeife von dem Krüger seinen Petum optimum supter solem (Peter auf ihm und versohlte ihn) und fing an zu erzählen.
Ich war als Geselle im Holsteinischen, als ich von meinem seligen Schwiegervater das Jawort haben wollte. Das war keine leichte Aufgabe, denn der alte Krüger Jansen war ein grober und baumstarker Kerl. Von unseren Hochzeitsplänen wusste er nichts, denn das wagte meine Braut ihm nicht zu sagen. Also, eines Sonntagnachmittags machte ich mich richtig fein und ging rechtzeitig zum Krug, um den Krüger allein zu treffen. Ich ging zur Schankstube. Richtig, da saß er und hatte sich grad die Pfeife angezündet.
"Guten Tag."
"Guten Tag auch, nimm Platz!" sagte der Alte.
"Kann ich eine Tasse Kaffee bekommen?" Das war das Zeichen für meine Braut, dass ich da war.
"Stina, eine Tasse Kaffee."
Der Kaffee kam, aber meine Stina lief flink wieder hinaus. Sie traute dem Frieden nicht. Ich rührte mit dem Löffel in meinem Kaffee herum, konnte aber bei alledem kein Ende finden.
Der alte Krüger paffte und sagte auch nichts.
"Er hat aber eine schmucke Tochter, Vater Jansen."
"Hat sich was mit schmuck, aber gut und tüchtig ist sie, und das ist die Hauptsache," knurrte er.
"Sie kann auch gut schreiben," fing ich wieder an.
"Was sagst du? Was weißt du davon?"
"Ja, sie schreibt ganz gut – ich habe – ja, ich meinte nur – ich glaube, er wird nichts dagegen haben – Stina ist nun einmal meine Braut – wenn er -"
"Willst du Schnösel alte Leute zum besten haben?" Damit sprang er auf, griff mir mit der linken Hand ins Genick, mit der rechten ins Kreuz und warf mich vor die Tür auf die Straße. Wupp, war die Tür zu.
Was nun?
Ich ging um das Haus herum zur Küchentür zu Stina und erzählte mein Unglück.
Na, die fing an zu heulen, und ihre liebe Mutter half ihr natürlich. Bald wäre ich mit angefangen, da wurde die Tür aufgerissen, und der Krüger kam in die Küche.
"Was willst du hier?" schrie er und stellte seine Pfeife in die Ecke.
"Ich," sagte ich trotzig, "ich will meinen Kaffee bezahlen. Wenn er mir seine Tochter nicht geben will, will ich auch nichts von ihm geschenkt haben."
"Vater," sagte Stina, "warum darf ich ihn nicht heiraten?" Und dabei weinte sie gottserbärmlich.
"Anna," sagte der Krüger zu seiner Frau, "ist da etwas an der Sache? Ich meinte, der Bengel will mich zum Narren halten."
"Ja, die beiden sind sich einig." schniefte die Alte.
"Und davon sagt ihr mir gar nichts?"
"O, wir durften es dir nicht sagen, du redetest immer, als wenn es noch zehn Jahre Zeit habe." sagte meine Schwiegermutter.
"Hat es auch," sagte der Alte trocken. "Und du," sagte er zu mir, "kannst nächsten Sonntag, wenn es dir wirklich Ernst ist, wieder kommen und deinen Bescheid holen. Tschüß!"
Ja! Anhalten tut kriegen!

18. Finderlohn

Der alte pensionierte Briefträger Hans Peter Wilms saß in seiner Stube, hatte seinen weißen Kopf in die Hand gestützt und dachte über sein Schicksal nach. Er hatte ja nichts zu klagen, aber wie sollten seine Kinder sich in dieser schweren Zeit durchschlagen, und er konnte ihnen kaum helfen, so gern er wollte.
Da kam seine kleine Frau herein, frisch und lebendig, alles lachte und lebte an ihr. Kein Mensch sah ihr an, dass sie fest siebzig Jahre alt war.
"Na, mein Alter, du sitzt hier ja wohl zum Trübsal blasen. Was ist mit dir? Draußen scheint die Sonne so freundlich und die kleinen Vögel singen wie verrückt. Das ist ein Wetter so fein wie es um Maitag sein muss. Sollst man ein bisschen spazierengehen, dann kommst du auf andere Gedanken. Was hast du schon wieder zu grübeln, he?"
"Tscha, Mutter, was ist das menschliche Leben? Geboren werden und dann sterben, das ist der Witz. Wir kommen ja leicht zu Ende, wir haben unsere Pension, damit kommen wir aus. Aber unsere Kinder! Wenn wir Kinder in die Welt setzen, müssen wir auch dafür sorgen, dass sie voran kommen. Wenn icn nur helfen könnte, die Liste ist so lang und das Geld so knapp."
"Mann doch, mach dir keine unnötigen Sorgen! Wir haben unsere Kinder nun soweit, dass sie für sich selbst sorgen können, und das tun sie auch. Dass es das eine oder andere mal etwas knapp ist, bringt die Zeit so mit sich. Da müssen sie durch und da kommen sie hindurch, du wirst schon sehen! Lass uns doch nur zufrieden sein, dass sie gesund und ordentlich sind. Nimm du nur Hut und Stock und dann man nach draußen. Ich würde gern mitgehen, es ist so wunderschön draußen, aber wer soll dann Mittag machen, und ein wenig gut essen, magst du doch verteufelt gern."
Der alte Hans-Peter knurrte noch allerlei in seinen Bart, ging aber doch spazieren. Er kam nicht weit. Wo der Weg zur Schlei hinunter abbiegt – was lag da im Gebüsch? Eine Brieftasche? Hans-Peter putzte die Brille, sah noch einmal genau hin, es wurde nicht anders – eine Brieftasche! Er holte sie aus dem Gebüsch, steckte sie unter den Rock und schlurfte wieder nach Hause.
"Na," sagte seine Frau, "das hast du ja rasch abgemacht. Ist dir ein Hase über den Weg gelaufen, dass du umgekehrt bist?"
"Komm mit herein," sagte Hans-Peter sanft, "du wirst dich wundern, ebenso so wie ich." Er zog die Brieftasche unter dem Rock hervor und warf sie auf den Tisch. "Huchdi! Wie kommst du dazu?" - "Ich habe sie im Gebüsch gefunden, und nun wollen wir einmal sehen, ob es sich lohnt."
Die Tasche war mit zwei Spangen verschlossen, die sich zurückklappen ließen. Er machte auf. "Verdorri, was ein Geld! Mir ist als Postbote viel Geld durch die Finger gegangen, aber soviel Geld habe ich noch nicht auf einem Haufen gesehen." Er zählte und zählte, einmal, zweimal und noch einmal. Immer dasselbe: 60 Tausenmarkscheine und 50 Hundertmarkscheine, das waren 65.000 Mark.
"Was sollen wir mit all dem Mist, Vater?" sagte seine Frau ein wenig ängstlich, als Hans-Peter zu spekulieren anfing. "Mist, sagst du. Nun sind wir auf einmal aus unseren Sorgen heraus. Mutter, das Leben ist doch schön." - "Du willst den Kram doch nicht behalten, Hans-Peter?" - "I, daran denk ich auch nicht, soviel solltest du mich doch wohl kennen, aber 10 % Finderlohn, den wollen wir herausschlagen, das ist ehrlich verdientes Geld. Nun wollen wir die Tasche gut verwahren und in den nächsten Tagen auf die Zeitung achten. Der Verlierer wird sich bald melden.
Am anderen Tag stand im Blatt: Eine Brieftasche verloren zwischen K. und S. Dem ehrlichen Finder werden 10 % des Inhalts zugesichert. J. N. Groth, Viehhändler, Fernruf 2938.
"Siehst du, Mutter? Da haben wir die Geschichte. Der Onkel wollte nicht bekannt geben, dass er soviel Geld verloren hat. Na, lass ihn. Wir haben 6500 Mark am Wickel. Ich will ihn nur flink einmal anrufen."
"Na, in zwei Stunden, ist er mit seinem Auto hier und bringt einen Ausweis mit, dass er Anspruch auf die Tasche hat. Meine 10 % hat er mir nochmals zugesichert. Fein, was, Mutter? Habe ich nicht recht? Die Welt ist schön!" "Ja, Hans-Peter, aber vorhin sagtest du etwas anderes." - "Ach, lass nur, Mutter."
Groth kam, ganz vergnügt, dass er neunzig % von seinem Geld gerettet hatte. Er hatte das ganze schon verloren gegeben. Er erzählte ihnen: "Ich hatte soviel Geld eingesteckt, um gegen bar große Vieheinkaüfe zu machen, denn Bargeld lacht. Aber die Bauern sind so zäh wie Rindsleder, kein Geschäft zu machen. Aus Ärger trank ich mehr als gut war und da muss ich in meinem Dusel die Tasche verloren haben, anders kann ich mir das nicht erklären."
Der Viehhändler fuhr ganz vergnügt ab und der Postbote und seine Frau blieben noch viel vergnügter zurück.
"So, meine kleine Frau, nun wollen wir den Kram verteilen: Sechs Kinder, gibt für jeden tausend Mark und dann behalten wir als Notgroschen noch fünfhundert. Was meinst du dazu?" " Ja, Vater, lass sie das ruhig bekommen. Wir haben ja unser Auskommen. Ich will nur wünschen, dass sie damit ordentlich umgehen und dass es ihnen gut bekommt. Und für dich freut es mich erst recht. Nun lässt du das olle Grübeln und Sorgen ja wohl erst einmal nach. Wirst mir sonst ja vor der Zeit alt, bist ja noch in den besten Jahren," lachte sie, "erst eben vierundsiebzig. Und morgen, wenn das Wetter schön ist, gehst du los und sammelst mehr!"
"Na, ich bin erst einmal zufrieden. Die Kinder werden sich freuen."

19. Zwei Diebesgeschichten

Es ist nicht immer der Fall, dass ein Spitzbube gleich nach seinem Raub auch den verdienten Lohn bekommt. Nein, Leute, dass wisst ihr auch, so ist es nicht in der Welt. Da ist es oftmals so: Die kleinen Diebe setzt man fest, die großen laufen herum, lachen sich ins Fäustchen und denken kaum an Strafe oder so etwas. Aber in meinen beiden Geschichten, die ich euch hier erzählen will, da folgt die Strafe nach frischer Tat. Hört nur zu.
In Dithmarschen wohnte vor vielen Jahren ein Bauer - Hofbesitzer nennen die Leute das nun - da war ein Bauer, der hieß Reimer Kanzmeier. Er war wegen seiner unglaublichen Kräfte in der ganzen Gegend bekannt. Reimer Kniep nannten ihn seine Leute unter sich, weil er die launische Angewohnheit hatte, sie in den Arm zu kneifen, wenn es nicht nach seinem Kopf ging.
Er hatte einen Tagelöhner, der schon zehn Jahre bei ihm beschäftigt war und sich immer treu und ehrlich aufgeführt hatte. Eines Tages musste der Tagelöhner, Korl hieß er mit Vonamen, auf dem Kornboden Weizen umschaufeln.
Als er da so in seinen eigenen Gedanken schaufelte, sah er, als er einmal verschnaufte, dass die große Speckkiste nicht verschlossen war. Anstatt dass wie sonst gewöhnlich ein Hängesschloss davorhing, war sie nur mit einem Pflock verriegelt.
Schau, dachte Korl, da ist billig an Mettwurst zu kommen. Und damit fing er wieder an zu schaufeln. Er kam aber nicht weit, da stand er wieder. Mettwurst aß er doch für sein Leben gern. Und Schinken war da gewiss auch in der Kiste, geräucherter Schinken! Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte.
Unser Korl wollte gar nicht mehr an die Kiste denken, gar nicht hinsehen, und fing an zu schaufeln, als wenn er im Akkord und nicht im Tageslohn arbeite. Es dauerte nicht lange, da stand Korl und hatte die olle Speckkiste so fest ins Auge gefasst, als wolle er mit seinen Augen die Mettwurst herausangeln.
Wenn heute oder morgen abends vergessen würde die Stalltür fest zu schließen, konnte man den Weg zum Speck leicht finden. Korl fing langsam wieder an zu schaufeln, aber seine Gedanken waren nicht mehr bei der Arbeit, er legte sich ernstlich einen Plan zurecht, seinen Herren zu bestehlen.
Er wollte ihm nicht die ganze Kiste leer machen, Gott bewahre, so schlecht war er nicht, er wollte nur eine gute Probe haben, weiter nichts. Kanzmeier, meinte er, wird das gar nicht merken, wenn er von seinem Überfluss ein paar Mettwürste und einen Schinken hergeben muss. Er schlachtet ein paar Tage früher, das ist alles. Mir aber ist es nicht einerlei, ob ich einige Ellen Mettwurst habe oder nicht. Und so versuchte er sich mit allerlei Redensarten das Gewissen zu beruhigen, was ihm dann auch leider gelang.
In der nächsten Nacht konnte die Frau von Bauer Kanzmeier nicht schlafen. Sie hatte oft schlaflose Nächte, da sie viel Atemprobleme hatte. Sie lag also wach und hörte da auf dem Kornboden leise etwas gehen. Na, dachte sie, das ist die Katze, und bedauerte ihr schönes Korn. - Aber, was war das? Da wurde etwas entzwei gebrochen. Was sollte das wohl sein? "Reimer, hör mal, was geht da auf dem Kornboden vor? Sag, was knirscht da nur?" Reimer Kanzmeier hörte sich das Geräusch an. - "Das ist ja gerade, als wenn die Ratten und Mäuse so recht ihre Zeit haben. Na, Mutter, lieg nur still. Ich will einmal nachsehen."
Er warf sich in die notwendigsten Klamotten, zündete die Laterne an, nahm seinen Eichenstecken aus der Ecke und war mit ein paar Sätzen die Treppe hinauf. Auf dem Boden war nichts zu sehen – doch was war das? Auf der Speckkiste lagen ein Meißel und Holzsplitter. Er ging näher heran und fand Musjö Korl hinter der Speckkiste. Zu seinem Unglück hatte Korl die Speckkiste verschlossen gefunden und hatte sich dann durch seinen Lärm verraten. Nun flatterte ihm die Hose, denn dass es ihm schlecht gehen würde, dafür kannte er Reimer Kanzmeier zu gut. In seiner Angst legte Korl bei sich das Gelöbnis ab: Das ist das erste und das letzte Mal.
"Na, Korl," sagte Kanzmeier, "magst du gern Mettwurst und geräuchterten Schinken?" - "O, Herr, lassen sie mich gehen, ich tu das gewiss nicht wieder. Das ist ganz gewiss, sie mögen mir glauben oder nicht, das ist das erste Mal, dass ich mich an anderer Leute Sachen vergreife. Ich täte es sicher nicht zum zweiten Mal. Lassen sie mich durch, Herr." Reimer vertrat ihm breitspurig den Weg und sagte: "Ja, ich will dich auch nicht über Nacht hier behalten, aber zuerst gib mir Antwort: Magst du gern Mettwurst und geräuchterten Schinken?" - "Ja, mein Herr." - "So, na, ich habe zufällig den Schlüssel bei mir. Ich brauche also die Kiste nicht aufzubrechen wie du, Spitzbube." Er schloss die Kiste auf. "Siehst du, hier hast du eine Mettwurst und einen Schinken. Fass einmal an." - "O, Herr -" "Fass an, sag ich dir, oder -" und damit hielt er seinen Eichenstecken in die Höhe. Der Tagelöhner nahm es an sich und der Bauer schloss die Kiste wieder ab. "So, nun komm!" sagte Reimer.
Korl musste mit zur Stube und Mettwurst und Schinken auf den Tisch legen. - "Mutter, komm schnell auf die Beine, du hast Besuch bekommen. Hol schnell Brot und Butter und Messer und Gabel heran, ich will solange aufpassen, dass unser Besuch nicht verschwindet." "Du rührst dich nicht von der Stelle. Das sage ich dir, sonst soll mein Eichen mit dir sprechen," sagte Reimer und dabei legte er seine fünf Finger um Korls Arm. Korl schnitt ein Gesicht und stöhnte, als wenn ihn jemand mit einer Kneifzange angefasst habe. Das war gar nicht erstaunlich, denn es war allgemein bekannt: Wo Reimer Kanzmeiers Finger einen Menschen anfassten, war es nachher blau und gelb und grün.
Als die Bauersfrau aufgedeckt hatte, stellte der Bauer einen Stuhl an den Tisch und sagte: "So, Korl, nun setz dich nur und lass dir das gut schmecken!" "Ne, unser Herr, besten Dank, ich mag wirklich nicht. Lass sie mich nun gehen." - "Heran, sage ich," und der Eichen tat seine Schuldigkeit und legte sich recht mit Nachdruck zwischen Korls Schulterblätter. Geschwind war Korl am Tisch, aber essen, sagte er, könne er nicht. Ich glaube ihm das gern, aber Reimer Kanzmeier wollte es nicht glauben. "Du magst ja Wurst, nun lang auch zu. Du sollst heute nacht einmal ordentlich satt werden, dass du sobald nicht wieder kommst zu stehlen und uns in unserer Nachtruhe zu stören."
Korl musste zugreifen und gegen allen Appetit Wurst und Brot, Brot und Schinken essen. Reimers Speck und Fleisch schmeckten Korl doch sonst so gut, aber heute nacht wollte es doch gar nicht rutschen. Wenn der Eichen nicht so schändlich weh täte, hätte er nichts hinunterbekommen können. "Och, Kanzmeier," stöhnte Korl, "ich kann und mag nun wirklich nicht mehr – und wenn Sie mich totschlagen, ich bin nun ganz gewiss satt."
"So, das mag ja sein," sagte der Bauer, "dann kannst du ja gehen. Aber vorher kommst du noch einmal her, mein Junge." Reimer fasste Korl am Kragen, legte ihn wie einen unartigen Jungen übers Knie und versohlte ihn gründlich. "Sieh, Korl, nun geh nur nach Hause, mein Junge, und komm nicht wieder auf etwas Böses, hörst du? Komm, geh nur aus der Küchentür und dann lauf man hinterum, es wird ja schon hell, und es braucht ja keiner zu wissen, dass du so gern Wurst und Schinken magst."
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Klas Beger hatte Schweine geschlachtet, und was für Schweine! "Das eine Schwein wiegt hundertfünfzig und das andere zweihundert Kilo, so taxiere ich," sagte Klas. "Nun sagt ihr," wendete er sich an seine Nachbarn, die sich zum Schweinetaxieren und Grogtrinken eingestellt hatten, "wieviel wiegen die Schweine?" Die Nachbarn fingen nun an Süßholz zu raspeln und lobten den dicken Speck und die schönen Flomen. Klas musste doch kräftig gefüttert haben, meinten sie. Sie taxierten die Schweine auf 350 und 425 Pfund. Sie rechneten in Pfund, das wäre für sie einfacher, meinten sie. Nur der alte frevelhafte Schuster, der sich beim Schweinemästen immer zurück hielt, weil er dachte, die Schweine sollten von selbst fett werden, der meinte: "So schwer sind sie nicht." - "Wenn sie nicht wiegen, was ich gesagt habe, Schuster, so mag sie meinetwegen der Teufel holen! Nach dem Futter, dass sie bekommen haben, müssen sie das leicht wiegen. Und nun kommt herein, Nachbarn, wir wollen uns zuerst einen Kleinen genehmigen. Die Schweine müssen erst noch abkühlen. Nachher werfen wir sie auf die Waagschale, das ist der beste Wahrsager, und dann wollen wir einmal sehen, Schuster, wer am besten taxieren kann." Damit gingen die Nachbarn zu Klas Beger hinein und taxierten bei einem Glas Grog lustig weiter.
Wenn man erst bei einem guten Schluck sitzt, der nebenbei nichts kostet, so wird die Sitzung oft lang. Auf einem Bein kann man nicht stehen, hieß es, und dann: Aller guten Dinge sind drei, und dann noch einen zum Abgewöhnen, und dann – dann zählte man sie nicht mehr.
Die Schweine waren schon längst abgekühlt, und draußen war es schon höllisch dunkel, denn es war zwischen Weihnachten und Neujahr. Im Kalender war kein Mond und dann pflegte er nicht zu scheinen. - Endlich brach man auf, der Grog wollte nicht mehr rutschen. Die große Laterne wurde angezündet, und die ganze Gesellschaft ging zum Backhaus, um die Schweine zu holen und zu wiegen.
"Gottes Unglück! Es ist gut, dass wir kommen," meinte der Schuster, "ein halbes Schwein ist schon zum Teufel. Siehst du, Klas, man soll den Teufel nicht an die Wand malen, dann kommt er. Nun nur flink die übrigen drei Hälften von den Haken, sonst verschwinden die auch noch." - Und wirklich, der Schuster hatte recht, ein halbes Schwein war weg. Soviel Beger an dem Abend auch forschte, fragte und suchte: Das halbe Schwein war und blieb weg. Und wo war es geblieben? Lasst euch erzählen.
Hans Ehlers, der schon öfter seine Hände auf anderer Leute Sachen gehabt hatte, ging im Dämmern hinter Begers Backhaus entlang und wurde zu seinem Unglück der Schweine Begers gewahr, die da so verlassen am Krummholz hingen. Hm, meinte er, die sollte ich eigentlich taxieren. Ich möchte doch wissen, ob Beger sie auch gut gemästet hat. Das scheinen mir schöne, fette Schweine zu sein. Als es ganz dunkel geworden war, schlich er sich zurück. Richtig! Die Schweine hingen da noch. Sie schienen ordentlich auf ihn zu warten. Hans hakte sich ein halbes Schwein ab, band mit einem Strick die Beine zusammen und legte sich die Seite Speck so auf den Nacken, dass der Strick vor ihm die Brust herunter hing. Mit dem Strick hielt er den Speck im Gleichgewicht.
Als Hans ein gutes Stück gegangen war, dachte er, Klas Beger hat gut gemästet, das kann ich merken. Das wird mir ja rein lästig. Aber lass, das ist billig! - Billig? Hans, mir scheint, das kostet dich viel, sagte ein Stimme in ihm. Du lädst dir wieder etwas aufs Gewissen. Gewissen? knurrte Hans dagegen. Mein Gewissen ist rein: Ich habe es doch gar nicht gebraucht, und was man nicht bracht, kann keinen Schaden anrichten. Dabei lachte er höhnisch auf. Doch das Lachen wollte nicht so recht heraus.
Der Speck war wirklich schwer. Das drückte die Schultern und auch noch eine andere Stelle, aber Hans wollte es nicht wissen.
Hans Ehlers setze seinen gestohlenen Speck auf einem Zauntor ab und stellte sich mit dem Rücken dagegen. Der Strick, mit dem er die Beine zusammen gebunden hatte, hing ihm vor der Brust, und Hans hielt den Strick mit den Händen fest. Als er aber nach seinem Taschentuch tastete, um sich den Schweiß abzuwischen, ließ er den Strick einen Augenblick los. Sofort rutschte der Speck auf der anderen Seite vom Zaun herunter und der Strick Hans unters Kinn. So hing das halbe Schwein auf der einen Seite und Hans Ehlers auf der anderen Seite vom Zaun. Und so fanden sie ihn am nächsten Tag. - Tot, natürlich!

20. Zitatenonkel

Der alte Klas Suhr saß vor seiner Tür im Sonnenschein und rauchte seine Pfeife. Ich sagte zu ihm: "Na, Klas, wie geht's? Das glaube ich, wer es so haben kann, Rentner sein ist doch das beste Geschäft auf Gottes Erden." - "So, warum glaubst du das? Da bist du sehr im Irrtum. Früher meinte ich das auch. Wenn du dich nur erst zur Ruhe setzen kannst, dann bist du fein heraus. Ich bin aber ganz anderer Ansicht geworden. Nur essen und trinken, rauchen, schlafen un sitzen heißt auf den Tod zu warten - das ist kein Leben, das ist kein gutes Geschäft. Ne, ne, ne, glaub mir, die frühere Zeit, als ich tüchtig arbeiten konnte und musste, war es besser. Und dann, was sich auf die alten Tage alles an Gebrechen einstellt, wovon man in jungen Jahren nichts wusste. - Wir klagen ja schon über schlechte, teure Zeiten, aber die kleinen Rentner - ich darf ja nicht klagen - die vor dem Krieg gerade so auskommen konnten, sind am schlimmsten dran. Gut, wer noch Kraft, Mut und Gelegenheit hat, etwas nebenbei zu verdienen, wie unser alter Detlew Frahm, der Zitatenonkel!"
"Ja, ja, Klas Nachbar, ich muss dir rechtgeben. Zitatenonkel würde gewiss sagen, wenn er dich so sprechen hörte: Es lebt der Mensch solang er strebt! - Damit ging ich weiter. Wer war Detlew Frahm, der Zitatenonkel? Lasst euch erzählen.
Detlew Frahm war ein alter Junggeselle, hatte ein kleines hübsches Haus bei der Mühle, wo sein Schwager Korl Ehlers wohnte. In jungen Jahren wollte Detlew Advokat werden, war aber unterwegs auf der hohen Schule sitzen geblieben. Warum? Er studierte immer Poetik, das heißt er las Romane, Gedichte, Dramen, überhaupt alles, was er in die Finger bekam. Das war nun ganz verkehrt von ihm, denn so ein Advokat hat mit Poetik nicht viel zu tun, habe ich mir sagen lassen. - Wenn sein Lehrer sich vergebens nach ihm umsah und dann fragte: "Wo steckt der Detlew Frahm denn schon wieder?" So rief die ganze Klasse: "Er liegt auf der Bärenhaut und studiert Klassiker."
Na, das machte er als alter Junggeselle immer noch, und in seinen Heimatdorf war er unter dem Namen Zitatenonkel allgemein bekannt. Er hatte nämlich für jeden Menschen in Trauer und Freude, für alle und jede Gelegenheit immer einen passenden Spruch zur Hand. Er bewegte sich, wie er zu sagen pflegte, auf "klassischem Boden". Viele Leute gingen ihm deshalb gern aus dem Weg, denn er war mit seinen alten Sprüchen zuweilen ziemlich unangenehm, gegen seinen Willen natürlich. Er war so ein alter gutmütiger, harmloser Mensch, der keinem wehtun wollte und mochte, aber, aber - man kann sich nicht immer auf sich selbst verlassen.
"Ein Wort ist wie ein Vögelein,
ist's fort, wer fängt es wieder ein?"
Mit diesem Spruch kam Onkel Detlew bei seinem Schwager Korl Ehlers in der Mühle an. Die Worte gingen ihn selbst an, denn er hatte durch seine dummen Reden Skandal im eigenen Haus gemacht. Nun sollte Schwager Korl die Sache wieder einrenken.
Seine Haushälterin hatte nämlich im Dorf Unsinn gemacht und sich sozusagen festgelogen. Sie war ganz unschuldig dazu gekommen, meinte sie, klagte Onkel Detlew ihre Not und heulte nicht wenig.
Detlew tat es ordentlich leid und er wollte sie in seiner Gutmütigkeit auf seine Weise trösten:
"Wenn das Loch unter der Nase zu wäre,
wie einem Frosch nach St. Jakobstag,
bliebe viel unterwegs."
Als Stina nichts dazu sagte, wahrscheinlich, weil sie es nicht verstanden hatte - und Detlew nun einmal in Fahrt war, so sagte er weiter:
"Gott gab uns nur einen Mund,
weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
schwatzt zuviel der Erdensohn.
Hat er nun das Maul voll Brei,
muss er schweigen unterdessen;
hätte er der Mäuler zwei,
löge er sogar beim Fressen!"
Na, das war deutlich. Stina war dann auch gleich wie Feuer und Fett. Sie schimpfte ihn tüchtig aus und redete sich so in Wut, dass sie sagte, er solle sich man nach einer anderen Haushälterin umsehen, bei so einem dummen Kerl wolle sie nicht länger bleiben. Sie wunderte sich über sich selbst, dass sie es schon so lange bei so einem verrückten Kerl ausgehalten habe. Alle Leute im Dorf redeten darüber, dass sie nicht schon längst weggelaufen war. Nun wolle sie aber ein Ende machen, nun wolle sie weg.
So stand es in seinem Haus. Schwager Korl sagte dann, als er Detlews Klagelied zuende gehört hatte: "Nun kann ich nicht aus der Mühle hinaus, Schwager, ich komme heute Mittag einmal rüber. Das ist nicht so schlimm, das gibt sich noch. Geh nur zu deiner Bienenzucht und kümmere dich nicht um Stina, tu so, als wenn dich die ganze Sache nichts angeht. Ich will die Geschichte wohl in Ordnung bringen, aber mit deinen alten wunderlichen Redensarten musst du dich vorsehen. Unverständige Leute kannst du damit böse in Fahrt bringen. Das siehst du ja!"
Na, Onkel Detlew kriegte den Kopf wieder hoch. Er wollte nicht gern eine andere Person um sich haben. Stina hielt alles sauber und akkurat in Haus und Garten, es gab nichts zu klagen. - "Na schön, Korl, dann komm nur rüber, damit sie bleibt. Ich gehe vergnügter weg als ich gekommen bin."
"Und wer des Lebens Unverstand
in Wehmut will genießen,
der stelle sich nur an die Wand
und strample mit den Füßen.
Und wer des Lebens Wehmut will,
in Unverstand genießen,
auch der verhalte sich nicht still:
Er strample mit den Füßen!"
Mit diesem Trost schaukelte Onkel Detlew nach Hause und ging Stina aus dem Weg. Er machte sich bei seinen Bienen zu schaffen. Früher hatte sich Detlew zum Vergnügen mit der Imkerei abgegeben. Nun, als die Zeiten schlecht wurden, und er mit seinen Zinsen knapp auskam, betrieb er die Imkerei im Großen. Und die Sache hatte Schick. Er studierte nicht nur allerlei Bücher, nein, er studierte seine Völker selbst und wusste genau über jedes Volk Bescheid. Die Imker aus der Gegend, die weniger Zeit hatten, kamen öfter zu ihm, um nach Rat zu fragen, und da bekamen sie bei Detlew neben allerlei schönen Sprüchen wirklich guten Rat, denn Detlew Frahm half gern und war ein tüchtiger Imker.
Als Detlew sich nach Rat des Müllers gar nicht um seine Haushälterin kümmerte, sagte Stina in der Küche zu sich selbst: "Was bin ich doch dösig gewesen, ich Schaf! So einen schönen Platz bekomme ich meinen Lebtag nicht wieder. Ich bin hier mein eigener Herr, kann tun und lassen, was ich will - und dann lauf ich davon! Ich kann den alten Quasselhans ja man schnacken lassen, was er will. Was will ich mich darüber aufregen? Ne, wie dumm! Er ist ja sonst ein guter alter Kerl. Ich wundere mich, ob er nicht kommt und mich bittet, dass ich länger bleiben soll. Will er nur!"
Mittags kam der Müller. "Stina, ich möchte einmal mit dir sprechen. Ich habe von meinem Schwager gehört, dass du gehen willst, und er wird nichts dagegen haben. Sag, kennst du die Tochter des Schneiders näher? Ich habe gehört, die sucht einen Platz als Haushälterin. Ich will die Sache für Detlew in Ordnung bringen, er ist so unerfahren in solchen Dingen, wenn er auch eine Menge mehr als ich gelernt hat."
"Ehlers, sehen sie sich mal im Haus um. Ist da etwas nicht in Ordnung? Alles ist sauber und nett, auch im Garten, und es macht mir Spaß und ist mein Stolz."
"Ja, Stina, das ist wahr, du hälst es hier piekfein. Dafür kann hier gern ein Priester wohnen. Aber davon ist hier ja nicht die Rede. Du willst ja reisen und reisende Leute soll man nicht aufhalten. Schwager Detlew ist ja etwas redselig, aber ihn für verrückt zu erklären, das geht doch zuweit. Das hat er dir recht übel genommen. Man muss die Menschen eben verbrauchen wie sie sind, ändern kann man sie doch nicht, erst recht nicht, wenn sie schon einen grauen Kopf haben."
"Ach, Ehlers, legen sie doch ein gutes Wort für mich bei ihrem Schwager ein. Ich will ja gern hierbleiben, ich bekomme es nirgends besser. Mir tut es furchtbar leid, dass ich in der Hast gekündigt habe."
"Hm," sagte der Müller, "will einmal sehen, was sich machen lässt." Er ging zur Bienenzucht und sagte zu Detlew: "Stina bleibt gern. Das habe ich mir ganz so gedacht. Nun rede du nicht zu ihr von großem Dank, dass sie hier weiter wirtschaften will, sonst wirft sie dir bei Gelegenheit wieder allerlei Schimpfwörter an den Kopf. Wenn sie dir sagt, dass sie bleiben möchte, dann nimmst du das ganz gleichgültig auf und an. Das ist besser." Damit ging der Müller wieder nach Hause. Nun liefe sich die Geschichte wohl zurecht.
Beim Mittagstisch sagte Stina: "Frahm, ich möchte sie bitten, mich noch länger zu behalten, ich möchte bleiben. Ich werde besser auf meinen Mund achtgeben." - "Na, meinetwegen," sagte Onkel Detlew ziemlich gleichgültig, so wie sein Schwager Korl es ihm gesatgt hatte, konnte aber doch nicht lassen, hinzuzufügen:
"Duck dich und lass vorüber gahn,
das Wetter will seinen Willen ha'n."

Un denn musst du weten, Stina:
Nach unten treten, das geht fein,
nach oben treten, das lass sein!"
Damit war der Frieden wieder hergestellt und beide freuten sich, dass es so abgelaufen war. Ja, ja, man muss die Menschen nehmen wie sie sind, ändern kann man sie meistens doch nicht.
"Wat darin begriest, dat is darin begrawen." (Was darin ergraut, das ist darin begraben)

21. Jungszeug

Jes Martens und Hans Schmidt kamen heute später aus der Schule, sie hatten noch erst Bekanntschaft mit dem Retstock des Schulmeisters machen müssen.s
"So, Hans," sagte Jens giftig, "das ist die zweite Lage, die wir den alten Krippenbeißern zu verdanken haben. Das möüssen wir ihnen versalzen, es hilft nicht. Der alte Stock tut schändlich weh, ich glaube wahrhaftig, ich habe schöne Striemen querüber."
"Ja, meinst du, ich nicht," sagte Hans, "und dann spricht der Schulmeister noch immer von seinem schönen Hausmittel. Na, ich danke vielmals! Aber das meine ich auch, der alte frevlige Schuster soll damit nicht so durchkommen. Erst klagen sie über ein paar schrumplige Äpfel und nun wegen dem alten Hund. Was war da wohl viel dabei, dass wir dem alten Köter eine Klammer auf den Schwanz setzen. Gott bewahre, was machte der Alte für ein Hallo, na warte nur!"
Es war Neujahrsabend. Schuster Blöker und seine Alte, Kathinka mit Namen, gingen zur Küche. Sie wollten Berliner backen. Das machten die beiden jedes Jahr gemeinschaftlich. Der Schuster machte Feierabend, wenn es schummerig wurde, und dann ging er seiner Frau in der Küche zur Hand.
Kinder hatten die beiden Leute nicht, sie konnten Kinder auch nicht ausstehen. Da sie dicht bei der Schule wohnten, so standen sie mit den Jungs immer auf Kriegsfuß. Es wurde das Fenster eingeworfen, dann die Pforte ausgehakt, oder die Jungs waren durch den Zaun gekrochen und hatten sich Äpfel geholt und so weiter. Es gab dann viel Ärger und Verdruss, und der Schulmeister musste öfter zu seinem Hausmittel greifen, als ihm lieb war. Ja, wer sich mit Jungs und Hunden einlässt, der wird sie auch so schnell nicht wieder los.
Na, also, die Schustersleute gingen zur Küche. Die Alte zündete ein Licht an, ging zur Speisekammer und kam mit einem Topf Milch zurück. Brr! Da surrte etwas durch das Licht, das Licht ging aus. "Huch, was war das, Jochen? Steck mir mal das Licht an." Der Schuster tat es, aber – brr – aus war es. Klatsch flog der Milchtopf auf die den Boden. "Jochen, was ist hier los," schrie die Schusterfrau. "I, Mutter, das weiß ich nicht. Halte doch wenigstens fest, was du gefasst hast." Der Schuster grabbelte nach Zündhölzern und steckte das Licht wieder an. Es brannte kaum – brr – flog da etwas hindurch und aus war es. "Der Teufel hols, das war ja ein Vogel! Wie kommt der herein? Wir müssen mal die Öllampe holen, die soll er wohl brennen lassen. Dann müssen wir den frechen Kerl greifen und rauswerfen!"
"Ach, Vater, weißt du sicher, dass das ein Vogel war? Ich weiß nicht, mir scheint, es ist hier nicht geheuer. Lass uns das Berlinerbacken diesmal aufgeben."
"Nein, so Gott will, nicht! Ich will am Neujahrsabend meine Berliner haben. Die habe ich noch jedes Jahr bekommen, so alt wie ich bin. Geh rein und hol die Öllampe. Wir greifen den Vogel und danach zünden wir das Licht wieder an." Na, Kathinka kam mit der Lampe. Brr! Da schoss ein Vogel gegen das Glas, schrr! noch einer und noch einer, immer mehr. "Verdixt! Nu verstehe ich etwas! Frau, halte die Lampe fest. Da sind ja mehr als ein Dutzend Sperlinge in der Küche. Wie kommen die Viecher herein? Das ist ja heute abend ganz zum Verrücktwerden! Schau, es kommen noch mehr. Siehst du Kathinka, die kommen durch das Hühnerloch. Warte mal, wir wollen doch sehen, wer uns die Gesellschaft zuschickt. Die können doch im Dunkeln das Hühnerloch nicht finden."
Draußen war alles still und dunkel. Der Schuster kratzte sich hinter den Ohren und sagte ganz tiefsinnig: "Das verstehe nun einer."
"Jochen, tu mir den Gefallen und gib das Berlinerbacken heute auf. Wir können ja morgen zu Mittag Berliner essen. Ich koche uns eine gute Tasse Kaffee in der Stube und dazu essen wir Feinbrot, Korinthenstuten und Kuchen. Und nachher machst du dir einen Kaffeepunsch, dann geht es auch, denke ich. Hier in der Küche ist es mir zu grässlich." Der Schuster knurrte etwas von Hasenfuß, ging aber selbst zur Küche voran.
Sie gaben sich mit Kaffee und Brot zufrieden, und Jochen Schuster holte nach dem Abendbrot die achtkantige Flasche aus dem Schrank und machte sich einen guten Kaffeepunsch. Und nun saßen die beiden alten Leute still und stumm mit dem Kachelofen zwischen sich und verdauten.
Auf einmal seufzte Jochen ganz tief auf, als wenn ihm die Luft stehen bleiben wolle. Die Alte sah zu ihm hin und schrie: "Gott, Vater, was bist du schwarz!" Sie hatte es eben ausgesprochen, da juchzte sie hellauf. Nun war sie ebenso schwarz wie ihr Mann. "Verdori! Das ist, Gott hilf mir, Black!" råbte munken og løb hen til hoveddøren, for der blev grinet under vinduet. Ja! Hoveddøren var lukket og kunne ikke åbnes. Der Schuster lief flink hinten hinaus. Als er aber ums Haus herum kam, war alles still. Der Schuster schnitt die Latte los, die quer vor die Haustür gebunden war, und ging zu seiner Frau herein, die sich nicht zu rühren wagte.
"Na, Mutter, beruhige dich nur, das ist Jungszeug. Erst haben sie uns die Spatzen durch's Hühnerloch gesteckt und nun haben sie uns hier am Rolleau vorbei durchs kleine Loch in der Fensterscheibe mit Black bespritzt. So hängt das zusammen. Jungszeug! Schaff nur Wasser her, dass wir uns waschen können. Und dann ist es wohl am besten, wir gehen zu Bett. Der Abend ist doch verdorben.

22. Ein Sonntagsjäger

Herr Apotheker Gerstein war ein eifriger Jäger, doch konnte man in Wahrheit von ihm sagen: Seine Hände – wenn auch nicht seine Gedanken – waren frei von Mord.
Eines Tages wurde er plötzlich mal wieder von dem Jagdfieber, gegen das es in der ganzen Apotheke kein Mittelchen gab, überfallen.
War am nächsten Tag nicht seines Schwiegervaters Geburtstag? Wie, wenn er ihm einen Braten in Küche liefern und dem alten Herrn, der so oft über sein Jagdunglück gespottet hatte, zeigen könnte, dass er seine Mordwaffe nicht bloß spazieren führe!
"Herr Brodersen," sagte er zu seinem Provisor, "haben Sie die Güte, den Dienst zu übernehmen, ich möchte noch einige Stunden jagen."
Ein halbe Stunde später stand Herr Gerstein vollständig gerüstet auf der Strasse. Wohin sollte er nun seine Schritte lenken? Er hatte die Wahl zwischen Marsch und Geest. Die Marsch hatte er als Jäger noch nie betreten. Es sollte auf dem kleinen Revier, das zu dem Jagdgebiet gehörte, kein Wild sein. Seine Jagdgenossen hatten allerdings in der letzten Zeit in den Wehlen eine Anzahl wilder Enten geschossen. Entenbraten liebte der Schwiegervater sehr, das entschied!
Nach einigen Stunden kam der Apotheker an eine der Wehlen und sah mit freudigem Schreck eine Schar Enten auf dem Wasser schwimmen. Es waren ihrer 13, eine alte und 12 junge, alle in dem grauen, schlichten Federkleid wilder Enten. Mehr als einmal hob Herr Gerstein sein Gewehr an die Wange, aber immer wieder setzte er die Flinte ab. Wenn er nun ein oder mehrere erlegte, wie sollte er sie aus dem Wasser holen? Einen Hund hatte er nicht bei sich. Es war am Ende am besten, die Enten aufzuscheuchen und sie dann zu schießen.
Aber sie saßen da so hübsch still, und beim Fliegen hatten sie es meist sehr eilig! Warte! Nun wird es gut, sie nehmen ihren Kurs nach dem Wassergraben, der in die Wehle mündet. Nun ist ein Teil unrettbar verloren und wird meine Beute, jubelte Herr Gerstein, und er sollte recht behalten.
Er schlich, durch das Ret gedeckt, dicht heran und nahm die alte Ente aufs Korn. Denn, dachte der Jägersmann, wenn die alte tot ist, sind die Jungen ratlos und erheben sich vielleicht nicht aus dem Wasser. Der Schuss hallte durch die einsame Feldmark und machte die Jungen zu Waisen. Die Enten waren, wie er richtig geschlossen, durch den plötzlichen Überfall und die Beraubung der Mutter so verwirrt, dass sie im Wasser blieben und den Graben aufwärts flüchteten. Abwärts der Wehle konnten sie nicht kommen, denn da stand der Herr Gerstein wie einst der alte Wate am Tor der Normannenburg, ein schrecklicher Pförtner!
Der Apotheker knallte nun eine Patrone nach der anderen auf die Entenschar, und immer kleiner wurde die Zahl der Flüchtlinge, immer größer die Jagdbeute.
Herrn Gersteins Treiben war nicht unbeachtet geblieben. Die Frau des Kätners Brockmann wurde durch sein Schnellfeuer sehr in Unruhe versetzt. Sie lief in die Dreschtenne zu ihrem Manne.
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"Niklas, lauf doch schnell mal zur Wehle und schau nach, was der alte tumpige Apotheker da macht. Er steht da schon eine ganze Weile und schießt immer in den Graben hinein. Am Ende schießt er uns noch unsere Enten tot. Er ist toll noch dazu."
"Ja," sagte er, "Hasen zu schießen sind da nicht. Das wird wohl unser Flock Enten sein."
"Und das sagst du so, als wenn da gar nichts dabei ist," schalt seine Frau. "Du weißt doch, dass ich sie an Doktor Struwe versprochen habe, und der Doktor bezahlt den höchsten Preis. Nun haben wir gar nichts für unsere Mühe, denn wer gibt mir was für magere tote Enten? Der alte…"
"Begehr dich doch nicht gleich auf, Anna, so etwas muss ruhig überlegt und besprochen werden. Hat er sie totgeschossen, soll er sie auch bezahlen, das versteht sich von selbst. Wer Vergnügen haben will, der muss auch dafür berappen, das ist immer so."
Damit ging der Kätner Brockmann zur Wehle hinunter und sagte: "Guten Tag, Herr Gerstein, Sie haben es hier ja sehr eilig."
"Still, lieber Mann, treten Sie zurück, sonst machen Sie mir die Tiere scheu. Erheben sie sich, so habe ich das Nachsehen."
"O," sagte Brockmann, "die werden nicht wild, die kennen wir ganz gut. Übrigens sehe ich, dass da ein Erpel und eine Ente übrig geblieben sind, das passt mir ganz gut. Wir lassen nämlich immer, wissen Sie, ein Paar am Leben."
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Gerstein verstand ihn falsch. "Sie haben ganz recht, mich daran zu erinnern, dass ein ordentlicher Jäger sein Jagdrevier zu schonen hat." Damit setzte er den Hahn in Ruh und schenkte dem übrig gebliebenen Paar Freiheit und Leben.
"Nun, lieber Mann, helfen Sie mir wohl, die erlegten Enten aufzusuchen."
"Ja," meinte Brockmann, "dann können wir sie gleich einmal zählen." "Ich habe drei," sagte Gerstein. "Ich habe acht," rief Brockmann, "das macht zusammen elf, mehr sind es nicht. Was können sie dafür ausgeben?"
Der Apotheker drückte dem Kätner als Trinkgeld für die Hilfe eine Mark in die Hand. Nach solchem Erfolg wollte er sich nicht knickerig zeigen.
"Danke, danke, Herr Gerstein, das ist wohl dafür, dass ich Ihnen die Enten herausgeholt habe. Ich meine aber, was Sie mir für meine Enten geben wollen."
"Für Ihre Enten? Bester Mann, ich kaufe keine Enten. Sie sehen ja, Enten genug. Ein ordentlicher Jäger kauft keine Enten, er schießt sie sich."
"Ja, Herr Gerstein. Hier fällt wohl beides zusammen. Erst haben Sie die Enten geschossen und nun müssen Sie sie kaufen. Sie haben nämlich meine zahmen Enten totgeschossen. Das sind meine Enten, verstehen Sie mich recht. Was können Sie dafür ausgeben?"
Der arme Apotheker machte ein unbeschreiblich klägliches Gesicht: Anstatt Jagdruhm diese Blamage. Also deshalb hatten sie sich nicht auf die Flucht begeben, sondern sich ruhig morden lassen. Brockmann deutete Gersteins Schweigen auf seine Weise. "Ja, bezahlen müssen Sie. Beten Sie ruhig, wir werden uns noch einig."
Unterdessen hatte Gerstein sich gesammelt. "Bester Mann, können Sie schweigen?"
"O, ich bin dicht wie ein Topf, der nicht leckt."
"Nun gut, ich bezahle Ihnen die Enten, und Sie halten reinen Mund. Wieviel müssen Sie haben?"
"Na, ich dachte, wenn Sie mir das geben, was ich nachher bekomme, wenn sie gemästet sind. Das wenige Futter ist nicht zu rechnen."
"Also wieviel?"
"Ich meine fünf Mark fünfzig das Stück," sagte Brockmann.
Herr Gerstein zog zum zweiten Mal seine Börse und zahlte. Dann warf er die Flinte über und ging.
"Herr Gerstein, wo soll ich ihnen die Enten denn hinbringen?"
"Nein, nicht nötig. Machen Sie damit, was Sie wollen, aber schweigen Sie, wie Sie versprochen haben!"
Man hat den Apotheker nie wieder auf der Jagd gesehen.
Kurze Zeit nach dieser Begebenheit kam ich zu meinem Onkel Brockmann zu Besuch. Es war mir auffällig, dass die beiden Alten förmlich in Entenbraten und Enten in Sauer schwelgten.
"Onkel," sagte ich, "das hätte Tante doch nicht tun sollen, meinetwegen Enten zu schlachten. Ich weiß doch, dass ihr immer nettes Geld aus den Enten macht."
"Jung, ich habe versprochen, reinen Mund zu behalten. Ich darf nichts sagen. Wende dich an deine Tante, die hat nichts versprochen."
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Tante erzählte mir dann. "Und du," sagte sie zum Schluss, "kannst das gern weiter erzählen, denn wahr ist es, und versprochen zu schweigen hast du auch nicht."

23. Revanche

Willem undD Klas Lüthje waren Vettern. Willem wohnte in der Großstadt und arbeitete auf der Werft. Klas hatte eine kleine Kate in einem Heidedorf und verdiente als Tagelöhner nebenbei. Alle paar Jahre besuchten sie sich, um sich nicht ganz fremd zu werden, das heißt die Mannsleute. Ihre Frauen ließen sie zuhause, einmal weil die sich nicht gut leiden konnten, un zweitens, weil es ja unnötige Kosten machte. Willem und Klas waren beide ein wenig sparsam, das war wohl ein Erbfehler, dafür konnten sie nichts.
Willem war in der Großstadt aufgewachsen und wusste als Großstadtkind wenig oder gar nichts von ländlichem Betrieb. Er hatte sich für die Festtage zu Ostern angemeldet. Na, er wurde freundlich aufgenommen und Klas zeigte ihm seinen Landbetrieb und seinen Viehstall, eine Kuh, zwei Schafe, zwei Ferkel und einen ganzen Haufen Hühner.
"Na, Willem, nun will ich mich zurecht machen zur Kirche, gehst du mit?"
"Tscha, das kann ich ja. In der Großstadt komme ich nicht dazu. Wenn man sich in der Woche abgerackert hat, schläft man sonntags gern einmal ordentlich aus. Hier laufen ja wohl alle zur Kirche."
"Das will ich nicht so sagen," meinte Klas, "aber an Festtagen geht doch aus jedem Haus jemand hin."
"Schön, ich komme mit. Ich kann ja einmal hören, was so ein Dorfpriester zu sagen hatt."
Die beiden Vettern setzten sich ganz hinten an die Wand. Von hier aus konnte man das Ganze übersehen. Beim Hauptgesang kam der Kirchendiener mit dem Klingelbeutel.
"Du, was will der Mann mit dem Kaffeebeutel am Stecken?"
"Das will ich dir schnell auseinander pulen. Sieh, unsere Gemeinde hat meistens ziemlich Überschuss in der Gemeindekasse. An Festtagen nimmt nun jeder einige Mark heraus, ganz nach Belieben. Wer nichts nötig hat, der nickt nur, das heißt er dankt."
"Teufel, das ist ja eine seltsame Einrichtung, da kann ich mir ja schön meine Reisegeld schnorren," sagte Willem.
"Du, nimm dich in Acht, der Beutel ist etwas eng. Nimm nicht die Faust zu voll, sonst kriegst du die Hand nicht heraus."
"Bewahre, so raffig bin ich doch nicht."
Der Klingelbeutel kam, Willem machte große Augen, aber er war man eben mit seiner Hand über dem Beutel, da wanderte der schon weiter.
"Halt, ich habe noch nichts bekommen," rief Willem.
Die Leute schauten sich schon nach ihm um.
"Sst! Ich erkläre dir nacher die Sache," sagte Klas und warf fünf Pfennig in den Klingelbeutel. Der verstörte Kirchendiener ging mit seinem schwarzen Beutel am Stecken weiter.
Na, Willem ärgerte sich nicht wenig, als er merkte, dass Klas ihn zum Narren gehalten hatte.
Auf dem Kirchweg meinte Klas: "Mensch, Willem, du kannst ja wohl keinen Spaß verstehen! Wa kannst du glauben, dass hier Geld verteilt wird. Da wird gesammelt für Arme."
"Das habe ich wohl gemerkt, nur ein wenig zu spät. Bei uns wird auch gesammelt, aber da steht ein Becken vor der Tür, wo jeder seinen Groschen reinwirft. Dass du mich so blamiert hast mit deinem dummen Spaß, das ärgert mich doch, und dann in der Kirche! Pfui, das war nicht nett von dir, Klas."
Bei sich dachte er: Warte, komm du nur zur Stadt, da findet sich leicht die Gelegenheit, dir das heimzuzahlen.
Und Klas kam zu Besuch. Sie gingen durch die Stadt, tranken hier und da ein Glas Bier und besahen sich alles gründlich. Klas hatte viel zu fragen und Willem log ihm nach besten Kräften allerlei vor. Er hatte die Geschichte mit dem Klingelbeutel nicht vergessen.
Klas war bei dem durch die Straßen laufen so ein bischen unruhig in sich. "Menschenskind, Willem, kann man hier nicht einmal austreten?"
"Tscha, mein Jung, ich weiß Bescheid. Geh nur hier hinein. Da ist eine Frau, die schließt für dich auf." Klas tat das. Willem sagte zu der Frau: "Hier ist ein Groschen für die Benutzung, und diesen Groschen geben Sie dem Mann, wenn er herauskommt. Ich will mir einen Spaß machen, und für Spaß sind Sie ja wohl zu haben." "Tscha, das wird gemacht," lachte die Frau.
Klas kam erleichtert und ganz vergnügt heraus zu Willem, der in der Straße auf und ab lief. "Willem, denk dir nur, die Frau gab mir einen Groschen, als ich herauskam." "Ja natürlich, ich weiß, für das was du dagelassen hast," sagte Willem.
Nach einer Weile meinte Klas: "Du, ist hier nicht wieder so eine Bude?" "Ja, warte nur noch ein wenig." Se stiefelten weiter. "Hier," sagte Willem, und die gleiche Geschichte spielte sich wieder ab.
Als aber Klas zum dritten Mal so ein sicheres Versteck aufsuchte, da passte Willem. Klas schlug Krach, als die Frau einen Groschen von ihm verlangte. "Ne, ich bekomme einen Groschen, soviel weiß ich nun auch schon in der Großstadt Bescheid. Her mit meinem Groschen!" "Sie sind wohl nicht ganz gesund! Wollen Sie bezahlen oder nicht? Ich rufe den Schutzmann, der hier nebenan steht." Na, Klas schimpfte mächtig und schimpfte von Beutelschneiderei, bezahlte aber doch seinen Groschen, denn mit dem Schutzmann wollte er nicht gern etwas zu tun haben.
Als er bei Willem ankam, klagte er seine Not: "Tscha, du, die Frauensleute hier sind zweimal durch di Nase gebohrt, die haben ein feine Witterung. Die hat gewiss gemerkt, dass du nur so pro forma hast aufsperren lassen, um einen Groschen zu bekommen." "Soll das?" "Natürlich!" Na, Klas beruhigte sich dann, warum wollte er acuh betrügen!
Am nächsten Tag brachte Willem seinen Vetter zur Bahn und da erzählte er ihm die Geschichte, wie sie sich abgespielt hatte.
"Das ist Revanche für den Klingelbeutel, mein lieber Klas. Nichts für ungut!"

24. Der Buschmann

Es wird Abend. Die Sonne schickt sich an, ins Meer zu tauchen. Sie sendet sich verabschiedend ihre freundlichen Strahlen über die weite Ebene, so dass die Fenster in dem hochgelegenen Dorfe Blendheim rötlich erglühen. Blendheim liegt auf der Grenze zwischen Marsch und Geest auf einer Sanddüne. Am Eingang des Dorfes steht ein kleines Häuschen. Es ist zwar alt und verflickt, macht aber noch einen äußerst einladenden Eindruck.
Vor dem Häuschen sitzt ein altes Mütterchen und schaut spähend zum Seedeich. Endlich geht ein Leuchten über ihr runzeliges Gesicht, sie hat gefunden, was sie suchte. In weiter Ferne hebt sich die Gestalt eines Menschen in der Ebene ab. Ein Erkennen ist nicht möglich, aber das Mutterauge ist scharf.
"Nun kommt er," murmelt sie. Sie geht ins Haus und macht alles zum Empfang bereit: Hier den Stiefelknecht, damit er die schweren Stiefel ausziehen kann, daneben die Pantoffeln, dort den einfachen Lehnstuhl hinter den Tisch. Auf dem Tisch findet sich ein einfaches Abendbrot, das aus Tee, Butter und Brot und Krabben besteht. Tabak und die halblange Pfeife liegen parat. Hinter den Schrank stellt sie erwartungsvoll lächelnd eine Flasche Bier. Nun wirft sie noch einen Blick auf ihre Zurüstungen, scheint befriedigt und eilt hinaus, so rasch ihre alten Pedale es gestatten wollen.
In einiger Entfernung kommt ein junger Mann. Bei der Gartentür nimmt sie ihn in Empfang. Das glaube ich, zu solch einem Besuch kann man sich freuen. Der junge Mensch sieht trotz seiner mit Schlick befleckten Kleidung wirklich stattlich und appetitlich aus, den mögen auch Frauenherzen willkommen heißen, ein echter Sohn der Marsch: Groß, schlank, kräftig, blondhaarig und blauäugig.
"Guten Abend Mutter, na, hast du schon gewartet?" "Nein, mein Junge, ich weiß ja ihr müsst euch nach dem Wasser richten. Seid ihr da bald fertig?" "Ja, diese Woche noch, denn rücken wir weiter. Das Buschschiff liegt da schon und wartet aufs Löschen." "So, nun komm man herein, bist gewiss hungrig." "Och," lachte Heine Peters, "Mutter, einen großen Hunger habe ich nicht, aber ganz viele kleine."
Dem kleinen Häuschen gegenüber liegt ein stattliches Bauerngehöft in niedersächsischer Bauart. Haus und Umgebung machen einen etwas vernachlässigten Eindruck, man sah, überall fehlte die bessernde Hand. Hier hing eine Stalltür schief in den Angeln, dort fehlten mehrere Fensterscheiben, und auf dem Hofplatze, wo allerlei Gerätschaften umherstanden, mangelte es an Ordnung und Akkuratesse.
Das hatte seinen guten Grund. Auf dem Gehöfte wohnte Dirk Wolters mit seiner erwachsenen Tochter Anna Maria. Wolters war seit Jahren gelähmt und auf das Zimmer angewiesen. Von hier aus musste er unter Assistenz seiner Tochter den Hof bewirtschaften. Das gab viel Ärger und Verdruss mit den Leuten, die nur lässig ihrer Pflicht nachkamen, weil eben die nötige Aufsicht fehlte. Es war alles nach Wunsch gegangen, solange Heine Peters, der Sohn der Witwe aus dem gegenüberliegenden Häuschen, als erster Knecht den Hof verwaltete. Da lief alles wie am Schnürchen. Er war morgens der erste und abends der letzte bei der Arbeit. Wenn Wolters ihn rief, um Rücksprache mit ihm zu nehmen über die laufenden Arbeiten, so zeigte er alle Bescheidenheit seinem Herrn gegenüber, eine Sachkunde in landwirtschaftlichen Dingen, dass Wolters ihm ruhig die ganze Verantwortung überließ. Als gedienter Ulan war er Meister in der Behandlung und Pflege der Pferde.
Schmunzelnd nahm Wolters das Lob seines Nachbarn Jochen Siek entgegen: "Es ist einerlei, dein Heine Peters, das ist ein Kerl, der hat sich gekämmt und gewaschen. Teufel nochmal, wie steht dein Korn! Schade dass du das nicht selbt sehen kannst." "Habe ich gesehen, Jochen!" "Wieso das?" "Der Bengel, der Heine, trug mich letzten sonntags zum Wagen, hob mich herauf wie ein kleines Kind – und ich wiege doch meine hundertachtzig Pfund – und hat mich herumgefahren. Das beste Korn, das beste Vieh und die schönsten Weiden, das waren meine. So war es, aber jetzt!"
"Das beste ist wohl, ich verkauf den Hof, ehe er ganz auf den Hund kommt." "Das wäre doch schade," meinte Jochen, "warum ist Heine denn nicht geblieben" "Ja, was weiß ich," sagte Dirk und sah zu Anne-Mie. Die wurde ganz rot. "Er sagte zu mir, er wolle gehen. Weiter war nichts aus ihm herauszubekommen, so dass ich ganz verdrießlich wurde und zu ihm sagte, er könne meinetwegen zum Teufel gehen. Nun ist er Buschmann geworden. Du weißt, die Buschleute sind durchweg von auswärts und große Säufer. Sie verdienen gut, aber das Geld, das leicht verdient wird, geht auch leicht wieder flöten. Es sollte mir fürchterlich leid tun, wenn so Heine Peters das Saufen lernte. Wenn sie da am Außendeich in Schlick und Regen und Dreck stehen, na, da wird sich einer auf die Lampe gegossen, und eins, zwei, drei, dann wird es Gewohnheit. Jammerschade, das ist gewiss. Ich würde ihn gern bitten, wieder zu kommen, ihm alles zu geben, was er an Lohn haben will, aber so treu wie er ist, so eigen ist er auch. Ne, er macht das nicht. Ich muss verkaufen, das sehe ich schon kommen. Wenn du einen guten Käufer kennst, Jochen, schick ihn einmal her."
Anne Marie ging hinaus in ihr Stübchen. Hier weinte sie bitterlich. Bei einem Tanzvergnügen hatte sie Heine Peters aus purem Hochmut öffentlich beleidigt. Gute Freundinnen hatten ihr bei ihrer Ankunft im Tanzlokal gesagt: "Komm, Anne-Mie, Heine Peters ist schon da und wartet auf dich." "So, was geht mich Heine Peters an? Mit meines Vaters Knecht tanze ich nicht. Fällt mir im Traum nicht ein. Ihr könnt Heine Peters gern für euch behalten. Mich geht er wirklich nichts an," sagte sie hochmütig, den Kopf in den Nacken werfend. Hatten ihre Freundinnen leise gesprochen, so sprach sie so laut, dass auch Heine, der nicht weit entfernt stand, jedes Wort mithören konnte. - Heine verschwand, und Anne Marie war an diesem Abend die lustigste von allen, aber ihr war bei aller Lustigkeit nicht so recht wohl.
Am andern Morgen erfolgte die Kündigung. Nun war Heine Peters Buschmann. Jeden Abend, wenn die Sonne hinter Eiderstedt ihr feuchtes Bett aufsuchte, standen zwei Personen auf der Lauer und spähten eifrig zum Strand: Vor der Gartenpforte am kleinen Häuschen Heines Mütterchen und versteckt hinter der hohen Dornhecke des väterlichen Hofes Anne-Mie. Beide warteten auf den Buschmann.
Eines Abends stellte Anne-Mie sich so, als ob sie Heine Peters so zufällig begegnete. Er ging vorbei, als ob sie für ihn nicht mehr auf der Welt existiere. Nun, das wurmte Anne-Mie doch, obgleich sie es kaum anders erwartet hatte. Trotz, Hochmut und Liebe führten in ihrem Herzen einen harten Strauss miteinander. Sie fehlte einige Tage am Gartenzaun. Dann stellte sie sich aber doch wieder ein. Es war heute Heines Geburtstag.
Elastischen Schrittes kam er daher. Auf den Schultern trug er eine große Last Abfallholz, das die Buschleute bei Fertigstellung eines der sogenannten Buschbeete, die zur Sicherung des Strandes gegen die gierigen Wellen der See angelegt werden, zu teilen pflegten. Man merkte es dem kräftigen Burschen nicht an, dass er nach der Tagesarbeit und dem langen Marsche irgend welche Ermüdung spürte. Heiß wallte es in Anne-Mie auf!
Ved den store port, der førte til Wolters' gård, smed Heine forsigtigt sit kostume ned på jorden. Forsigtigt gled han gennem porten ind på gårdspladsen. Hvad vil han, tænkte Anne-Mie, mens hun fulgte ham med øjnene.
Auf dem grünen Hofplatze waren Milchkälber angebunden. Eines hatte sich den Strick zwischen die Hufe getreten und humpelte elend herum. Heine Peters machte das Tier frei, strich es mitleidig über den Rücken und wollte davongehen. Da schoss Anne-Mie herbei und sagte ärgerlich: "Du, wir können noch selbst auf unseren Kram aufpassen, ich wollte das Kalb gerade losmachen. Du hättest dich nicht darum zu kümmern brauchen." Der junge Mann stotterte überrascht: "Ich, - ich bin -" "Ja, du bist ein Buschmann, das weiß ich," sagte das Mädchen wegwerfend. Heine wurde ganz blass und sagte: "Gott bewahre jeden Menschen vor so einem Hochmut," hockte sein Holz auf und ging.
Sein Mütterchen stand vor ihrem Häuschen auf dem Weg und wartete auf ihn. Da kam er um die Ecke des Wolterschen Besitzes. Er schien jetzt wirklich ermüdet zu sein, so langsam schleppte er sich daher.
"Bist du müde, mein Heine? Das kannst du wohl auch. Was hast du dir für eine schwere Last Holz aufgeladen! Das hättest du doch zweimal hertragen können." Heine richtete sich auf. "Müde, Mutter? Nicht ein Stück." Er bückte sich, nahm seine liebe Mutter auf den freien Arm und trug sie bis zur Haustür. "Siehst du, Mutter, ich bin gar nicht müde," und dabei liefen ihm die hellen Tränen über die Backen.
Er warf sein Holzbündel zur Erde, setzte die alte Mutter sorgsam nieder, streichelte ihre Wangen und sagte: "Nun habe ich nur noch dich, meine herzliebe Mutter, nur noch dich."
Na, die Alte wusste gar nicht, was sie aus dem großen Jungen machen sollte. Sie kannte ihn nicht wieder. Früher war er stets heiter und guter Dinge gewesen und jetzt, seit er von Wolters weg war, war er wie umgewandelt. Gewiss, gegen sie, die Mutter, war er der Alte geblieben, immer rücksichtsvoll und zärtlich. Was er ihr an den Augen ablesen konnte, das tat er. Er war aber still und in sich gekehrt.
"Wenn nur nicht die Anne-Mie dahinter steckt," murmelte die Alte, "ihn wurmt etwas, aber es ist ja nichts aus ihm herauszukriegen. Er würgt es alles in sich hinein, das ist ja ganz verkehrt. Wollte er sich nur einmal aussprechen! Die Anne-Mie schielt mich auch so merkwürdig an und geht mir aus dem Weg. Da ist etwas nicht in Ordnung mit den beiden."
Laut sagte die Alte: "Fehlt dir etwas, mein Heine? Sprech dich doch aus zu deiner alten Mutter." "Och, Mutter, mach dir doch keine unnötigen Sorgen um mich. Du siehst ja, mir fehlt nichts. Sag mal, hast du etwas zu essen? Ich habe ordentlichen Hunger. Was gibt es denn heute abend? Aha, junge Erbsen und Krabben. Das lässt man sich gefallen, die sollen mir schmecken! Erst die großen Stiefel aus und dann wollen wir uns etwas waschen."
Das Essen wollte gar nicht schmecken, aber der gute Sohn tat sich Gewalt an, um die Mutter nicht zu beunruhigen. Doch ein Mutterherz sieht scharf. Die alte Frau merkte wohl, dass er die Speisen ohne jeden Appetit herunter würgte. Sie sagte aber nichts.
Einige Wochen später traf Anne-Mie mit einer Freundin aus dem Dorf zusammen. Diese sagte: "Du, hast du schon gehört, dass Heine Peters auswandert?" "Auswandert? Ja, wohin denn?" "Nach Amerika glaube ich. Es heißt auch, dass er sich bei der Schutztruppe in Süd-West-Afrika melden will. Er ist ja als Unteroffizier abgegangen." "Na, dann nur zu. Ob er hier als Buschmann herumläuft oder sich in Afrika mit den wirklichen Buschmänner herumschlägt – mir kann es gleich sein. Daa tut mir nur leid um seine alte Mutter." Dass es Anne-Mie aber nicht gleichgültig war, konnte man leicht erkennen. Bald blass, bald rot wurde das Mädchen bei der Nachricht. Auch die Freundin merkte wohl, dass die Botschaft Anna Wolters mehr aufregte, als sie eingestehen wollte. Nach einigen gleichgültigen Redensarten trennten sich die Mädchen.
Anne-Mie ging zum väterlichen Hofe. Sie sah, wie die alte Mutter Peters sich in ihrem Gärtchen zu schaffen machte. Anne-Mie trat an den Gartenzaun und rief, einer augenblicklichen Eingebung folgend, hinüber: "Guten Tag, Mutter Peters. Na, so fleißich?" "Ja ich muss wohl. Das olle Unkraut, Stolzer Heinrich, Brennesseln und das andere Zeug wächst immer, ob es nun trocken oder nass ist." "Was stehen die Erbsen schön, Mutter, und wie sind die nett angebunden!" "Ja, nicht? Da hat Heine seinen Spaß dran. Was der alte Junge macht, das hat Schick!"
"Sagen Sie mal, Frau Peters, will Heine – ich habe es nur so gehört – will Heine auswandern?" "Na, hast du das auch schon gehört? Was die Leute alles zusammenschludern, da gibt es kein Ende. Er hat ja wohl einmal ein Wort darüber fallen gelassen, dass er Lust habe, nach Südafrika zu gehen, und nun sagen die Leute das geht los. Mir haben sie auch schon davon erzählt. Gestern habe ich Heine gefragt. Da sagte er: Glaubst du, Mutter, ich würde dich hier allein sitzen lassen? Solange du lebst – und das hoffentlich noch recht lange – bleibe ich hier. Nun sprechen wir nicht mehr davon."
"Mutter Peters, darf ich mal auf einen Augenblick zu Ihnen hereinkommen?" "Ja, mein Dern, gern, das weißt du doch. Ich habe mich schon gewundert, dass du dich gar nicht mehr bei mir sehen lässt. Komm nur herein!"
Als das Mädchen nun drinnen war, wusste sie nicht, wa sie sagen sollte. Ja, was wollte sie bei der Mutter des Buschmannes? Die Sache war doch eigentlich zuende! Nach einigen Bemerkungen über die hübschen Blumen vor dem Fenster sagte sie plötzlich: "Mutter Peters, wissen Sie auch, warum Heine von uns weggegangen ist" "Ne," sagte die Alte ganz verblüfft, "ich weiß von nichts. Aus dem Jungen ist ja nichts herauszubekommen." "Mutter Peters, wollen Sie heute abend Heine fragen, ob er wieder zu uns kommen will, wenn ich ihn darum bitte? Sie können ruhig sagen, er kann kommen, wenn er vom Busch frei wird. Ich ziehe dann weg zu Onkel Peter nach Almstedt. Vater wird sich freuen! Bei uns geht es bunt um die Ecke. Mit den Leuten ist nicht auszukommen. Und Vater ist so verdrießlich, dass er den schönen Hof verkaufen will. Das wäre doch schade. Sagen Sie ruhig zu Heine, ich werde heute abend selbst kommen und ihn herzlich bitten, Vater zu helfen. Na, adjüs, Mutter Peters, ich muss laufen, dass ich nach Hause komme, Vater weiß gar nicht, wo ich abbleibe." Rasch huschte sie aus dem Zimmer, ohne eine Antwort der alten Frau abzuwarten.
Abends standen die beiden auf ihrem Lauscherposten, die eine vor der Gartenpforte, die andere hinter dem hohen Zaun, und warteten auf den Buschmann. Anne-Mie war fest entschlossen, wieder gut zu machen, was sie an dem braven Burschen gesündigt hatte. Da kam er, keinen Blick in das Gehöft des Nachbarn! Ja, die liebe alte Mutter! Kaum hatte er sie begrüßt, da erzählte sie ihm schon auf dem Weg zur Haustür von ihrem Gespräch mit Anna Wolters. Heine sagte nur kurz: "Na, dann lass sie nur kommen." Die Sache nahm ihn aber doch mehr in Anspruch, als er sich anmerken lassen wollte. Er vergaß ganz, sich seiner schmutzigen Kleidung zu entledigen. Eine Viertelstunde nach seiner Heimkehr kam Anna Wolters.
"Guten Abend, Heine." "'n Abend," brummte er kaum hörbar. "Mutter Peters, ich will Heine gern einen Augenblick sprechen." "Mutter, du kannst gern hier bleiben. Was Anna Wolters mit mit zu sprechen hat, kannst du gern hören." Doch die alte Mutter ging hinaus, schloss die Tür hinter sich zu und ließ die jungen Leute allein. "Soll mich doch wundern, was dabei herauskommt."
"Heine, deine Mutter wird dir schon gesagt haben," sagte Anne-Mie ganz verlegen, "dass ich dich bitten will, du möchtest doch wieder zu Vater kommen, ihm die Wirtschaft zu führen." "Ne, ich will nicht. Ich will kein Notknecht sein." "Ach, Heine, so ist es ja nicht gemeint. Ich…" "Ne, so wie ich von dir behandelt worden bin – keine vier Pferde ziehen mich zu euch. Wenn ich auch nur ein Knecht oder Buschmann bin, ich habe doch meine Ehre im Leib so gut wie jeder, der etwas auf sich hält." "Heine, ich habe dir großes Unrecht getan. Das tut mir furchtbar leid. Kannst du mir das vergeben?" Sie hielt ihm treuherzig die Hand hin. Heine Peters sprang erregt auf: "Dern, meinst du das wirklich so oder hälst du mich zum Narren?" "Ich meine es so, wie ich es gesagt habe." "Ja, wenn ich aber zu deinem Vater ziehe, verlange ich großen Lohn!" "Du kannst verlangen, was du willst." "Wenn ich aber seine Tochter von ihm fordere, was dann?" "Das tu man dreist, Heine," lachte Anne-Mie glücklich. "Anne-Mie, Anne-Mie, meine kleine süße Dern!" rief Heine Peters und schloss das Mädchen in seine Arme. Selig umschlungen standen sie da, als das Mütterchen die Stubentür öffnete. "Herrgott noch einmal, was nun? Heine doch, nun sieh mal, was hast du gemacht? Anna ihr schmuckes Kleid ist ganz verdorben, so in deinem dreckigen Zeug. Junge doch!" "Ach, Mutter Peters, was macht das?" sagte Anne-Mie, indem sie die Alte umarmte, "wenn es nur rein in uns und zwischen uns ist, und das siehst du ja nun!"
"Ja, was wird nun dein Vater sagen. Ich habe ja rein gar nichts!" "Was, du hast gar nichts? Heine doch, du bist viel reicher als mein armer Vater ist. Du hast ja so gesunde Knochen, was willst du mehr?" "Ja, das ist schon wahr, aber ich weiß nicht recht." "O, da kennst du meinen Vater schlecht, geh du nur zu ihm." "Ja, wenn du meinst, Anne-Mie, dann mache ich morgen früher Schluss und werde mit deinem Vater sprechen."
Nun, das geschah. Der alte Wohlers war vernünftig genug, den jungen Leuten nichts in den Weg zu legen. Als er sich später im Glück seiner Kinder sonnte, sagte er eines Tages zu der alten Frau Peters: "Das ist doch ein seltene Sache für alte Leute, wie wir beide sind, wenn die Kinder das 4. Gebot nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen tragen."

25. Eine Rutschpartie

So eben außerhalb von Knickstedt wohnten Hof an Hof Timm Martens und Dirk Thiessen. Die beiden Bauern, die ganz und gar auf sich angewiesen waren, waren die dicksten Freunde, die man sich denken kann. Wo der eine war, da fand man gewöhnlich auch den anderen. Sah man Timm betrunken, war Dirk nicht nüchtern. Ging Dirk zum Markt, blieb Timm nicht zu Hause. So waren sie täglich zusammen und immer die besten Freunde.
Einmal kam Nachbar Timm zu Dirk herüber. "Es ist kalt heute." "Ja, das ist es." "Es wird über Nacht wieder tüchtig frieren!" "Ja, das wird es, es ist ja ganz hell und klar!" "Wenn wir solch ein Wetter behalten, dann wird die Rutschbahn gut." "Hm, das ist alles schön, aber du hast deinen Schlitten ja verkauft." "Siehst du, Dirk, darum komme ich eben zu dir, wir können morgen nett zusammenspannen. Ich nehme meinen Dunkelbraunen, den ich auf dem Heider Pferdemarkt gekauft habe, den spannen wir vor deinen Schlitten, und dann rutschen wir morgen nach Knappersdorf." "Was ist da denn los?" "Du, wie schreiben morgen den 1. Februar, das Zaumzeug wird weitergegeben!" "So?!"
"Ja, meinem Vetter Reimer Vogt wird das Zaumzeug morgen gebracht. Er hat mich eingeladen, und wenn du Lust hast, dann soll ich dich man mitbringen." "Ja, dann müssen wir wohl hin, da können wir ja nicht gut absagen," meinte Dirk.
"Na, sollt ihr eure Frauen nicht mitbringen?" fragte seine Frau spitz. "Ne, davon hat er nichts geschrieben," sagte Tim Martens ganz trocken. "Nein, dann können wir sie ja auch nicht gut mitnehmen, Timm, wenn er dir nichts davon geschrieben hat. Und dann wird es ja auch eine Nachtpartie, Mutter, dafür bist du ja nicht." "Ja, mein alter Dunkelbrauner ist auch gar nicht so sicher. Meine Frau sagte schon, wenn du deinen alten Dunkelbraunen vorspannst, rutscht sie nicht mit!" "Timm, du hast ja fünf Pferde mehr im Stall und Dirk hat auch sechs. Das ist nur so eine Ausrede. Sag doch geradeaus: Wir wollen euch nicht im Schlepptau haben." "So ist es nicht," log Timm, "ich will den alten Dunkelbraunen bei der Gelegenheit gern verkaufen, ich bin müde vom ihm." "Na, das kann mir einerlei sein, ich habe gar kein Verlangen, mit euch zu rutschen, aber man kann doch sehen, dass ihr nur an euer Vergnügen denkt, und dass wir Frauen für euch eine Null in der Schöpfung sind." Damit ging sie zur Tür hinaus.
Na, die beiden Nachbarn schien es nicht weiter zu stören. Sie schienen es gewohnt zu sein, dass Dirks Frau ihnen ab und zu einige passende Worte sagte, aber als verständige Leute hörten sie es sich an und machten – was sie wollten.
Timm stand auf und sagte: "Na, Nachbar, dann halte dich morgen man so um drei Uhr bereit, dann komme ich mit meinem Dunkelbraunen rüber." "Ja, ich werde dann alles in Ordnung haben." sagte Dirk.
Viele Leser kennen Knappersdorf nicht, wissen also nicht was dort am 1. Februar für eine Festlichkeit ist. Es hängt so zusammen: Die Bauern in Knappersdorf hielten sich vor Jahren gemeinschaftlich einen Hengst. Der ging bei allen in Kost. Jeder, da alle Bauernstellen so ziemlich gleich groß waren, musste den Hengst ein Jahr füttern. Am 1. Februar wurde er weitergegeben, und der Bauer, bei dem er in Kost kam, musste seine Nachbarn nach Vereinbarung mit Essen und Trinken bewirten. Das Trinken war meistens die Hauptsache, so dass das Fest öfters einen ziemlich wilden Verlauf nahm.
Der Hengst konnte nun nicht mehr von einem zum andern gebracht werden, denn der war längst verkauft, weil im Nachbardorf Regierungshengste aufgestellt worden waren. Sie hatten aber von ihrem alten Hengst soviel gehalten, dass sie zum Andenken an ihn sein Zaumzeug aufbewahrt hatten. Kam nun der 1. Februar ins Land, dann setzte sich das Zaumzeug in Bewegung. So hatte dann jeder Bauer in Knappersdorf das Vergnügen, ein Jahr lang das liebe Andenken an den Vereinshengst zu hüten und seine Nachbarn beim Empfang satt zu machen. So, nun wissen meine Leser wohl so ziemlich, was es bedeutet, wenn Tim Martens seinem Nachbarn Dirk sagte: "Du, das Zaumzeug, geht herum."
Unsere beiden Freunde rutschten dann seelenvergnügt – die Vorfreude ist ja immer das beste beim Fest – nach Knappersdorf.
Um nicht langweilig zu werden, will ich die Festlichkeit bei Reimer Vogt nur ganz kurz beschreiben. Erst gab es beim Kaffee einen gutes Gespräch, wobei dann Zentrifugen, Meiereien, Vierkühe, Chilesalpeter, Kleeheu, Bohnenschrot als Schweinefutter ein Hauptrolle spielten. Dann wurde Reimers Vieh besehen. Timm musste seinen Dunkelbraunen, den er ja verkaufen wollte, einmal mustern lassen, aber kein Mensch wollte ihm das Vieh abkaufen. Nachher wurde dann gegessen und dann – dann kam der Muck auf den Tisch. Das hieß: Eine Gusskanne mit Wasser, Zucker und einer Portion Rum, was aber schön durchgerührt und gemischt ist, und Punsch genannt wird. Na, da wurde dann manches Glas auf alte Zeiten getrunken, als in dem Zaumzeug, das sie Reimer Vogt gebracht hatten, noch ein Hengst steckte. So um Mitternacht, als der Punsch nicht mehr recht schmecken wollte, ließ Timm anspannen, und die beiden alten Freunde rutschten nach Knickstedt. Ein Dutzend "Kommt gut nach Hause!" bekamen sie noch mit auf den Weg. Das tat auch nötig!
Timm war ärgerlich, dass die Kerle nicht einmal ein Angebot auf seinen Dunkelbraunen abgegeben hatten. "Na, Dirk, nun sag du, so schlecht ist der alte Dunkelbraune doch nicht, dass sie darauf nicht bieten konnten."
"Das will ich auch nicht gerade sagen, Timm, aber wenn ich kein Pferd gebrauchen kann, kaufe ich mir doch keins."
"Das ist ja dummes Gerede. Wie sollten die kein Pferd gebrauchen können. Sie könnten ja weiter verkaufen."
"Dummes Gerede, sagst du? Ja, wenn ich mit Pferden handeln will, dann kaufe ich doch nicht so einen alten Bock wie deinen Dunkelbraunen."
"Ih, nun ist gut. Du hast mir doch selbst geraten, dass ich das Pferd kaufen soll."
"Ja, das habe ich allerdings getan, aber, dass es so einen schlechten Gang hätte, das habe ich nicht gedacht."
"So, das hast du nicht gedacht. Du bist mir ein Schöner."
"Ja, als der Rosshändler ihn auf ebenem Weg laufen ließ, da ging es. Aber heute nachmittag stolperte er doch schändlich, das sagtest du selbst."
"So, tat ich das?"
"Siehst du, da glitscht er wieder, nimm dich in acht, Timm, dass wir nicht erst Malheur haben! Sollst mich man fahren lassen." "So, meinst du, dass ich nicht fahren kann? Ich habe vor dir das Fahren gelernt."
Und damit zog er dem Dunkelbraunen eins mit der Peitsche über, dass das Tier in die Höhe sprang, und der Dunkelbraune hatte doch gar nichts zu ihren Streitigkeiten gesagt.
Dirk meinte: "Ich wollte, ich hätte meinen Fuchs vorgespannt, der läuft so ruhig."
Der Braune stolperte. Timm rieß ihn in die Höhe, und die Peitsche tat ihre Schuldigkeit.
"Mit deinem alten Fuchs, der ist ja so senkrückig, den tausche nicht einmal gegen meinen Dunkelbraunen."
"Was, hinter deinem alten Bock fahre ich nicht weiter. Da muss man ja bange sein, dass er stürzt und sich das Genick bricht!"
"Br," sagte Timm.
"Was willst du nun?"
Timm stieg aus, hakte die Stränge ab, knotete sie zusammen, kletterte auf seinen Dunkelbraunen und sagte: "Gute Nacht, Dirk, du sollst durch meinen Dunkelbraunen nicht in Ungelegenheiten kommen." Damit ritt er ab.
"Timm, du bist ja wohl närrisch, willst mich hier doch nicht sitzen lassen?"
Timm antwortete nicht und war bald außer Sicht.
Dirk Thiessen rieb sich seinen duhnen Kopf, was nun? Wahrhaftig, er saß da ganz allein auf der Landstraße in seinem Schlitten. Hier kann ich nicht bleiben. Und wenn ich zu Fuß gehe, was sollen die Leute denken, dass mein Schlitten auf halbem Weg von Knappersdorf nach Knickstedt steht? Also, er spannte sich selbst davor. Ne, das Pferdspielen taugte doch nicht. Hätte ich jetzt nur Timms alten Schinder. Dirk stolperte noch doller als Timms Dunkelbrauner. Er gab das Pferdspielen bald auf, zog den Schlitten an die Seite und lief zum nächsten Bauernhof. Hier trommelte er den Bauern heraus, erzählte ihm kurz sein Unglück und ließ sich von einem Knecht nach Hause ziehen.
So kamen die beiden alten Freunde, wenn auch getrennt, doch glücklich nach Hause zu ihren lieben Frauen.
Acht Tage später ging ich auf dem Eiderdeich spazieren. Wer kam da unterm Deich entlangerutscht? Timm Martens und Dirk Thiessen. Sie hatten Dirks Schlitten mit Timms Dunkelbraunen davor.
Hm, dachte ich, da werden nun unverständige Leute sagen: Pack schlägt sich, und Pack verträgt sich! Ich aber sage: Das ist dummes Zeug, wenn man einem guten, alten treuen Freund den Laufpass gibt, nur weil er einmal unartig zu uns gewesen ist. Ne, Timm und Dirk dachten ebenso. Sie haben die Rutschpartie stillschweigend begraben.

26. Wenn man zu schlau ist

War ich da bei meinem Onkel zu Besuch während der Herbstferien. Selbstverständlich hatte ich die Weisung erhalten, mich ordentlich aufzuführen, was der Mahnung eigentlich nicht bedurfte.
Eines Tages war eine Bestellung beim Schmied zu machen. "Du, Onkel, das kann ich bestellen." "Tu das, mein Sohn, aber nimm dich vor dem Schmied in acht, das ist ein Filou. Er mag sehr gern Leute an der Nase herumführen."
"O, das hat nichts zu sagen, Onkel, wir Holsteiner sind zweimal durch die Nase gebohrt. So ein Dorfschmied kann mir nichts anhaben." Damit ging ich.
"Na, mein Sohn,", sagte der Schmied und sah mich aus seinem geschwärzten Gesicht ganz treuherzig an, "was sollst du?" "Ob er für meinen Onkel die beiden Pflugmesser scharf machen will, ich soll sie gleich wieder mitbringen."
"Ja," sagte der Schmied, "dann warte man ein bisschen. Du hast gewiss Lust, dir ein paar Äpfel zu pflücken, mir scheint du schautest eben danach. Geh dann nur, indessen mache ich die Pflugmesser scharf."
"Ja, darf ich das denn?" "Hör mal, mein Sohn, da wird gewiss eine alte Frau rauskommen und tüchtig schimpfen. Das ist meine alte Schwiegermutter. Darum brauchst du dich nicht zu kümmern, pflück du nur ruhig weiter. Alte Leute haben wunderliche Launen!"
Nun, ich ließ mich nicht lange nötigen. Geschmeidig schwang ich mich über die Hecke und war in kurzer Zeit in dem Apfelbaum. Während ich einen Augenblick auf einem Ast ausruhte und nach Beute umherspähte, trat aus dem gegenüber liegenden Häuschen ein rüstige Alte mit einem wuchtigen Stock in der Hand. Aha! Die Schwiegermutter.
"Was willst du Schelm da oben?" "O, Mutter, ich will mir nur ein paar Äpfel pflücken. Regen Sie sich man nicht auf, Sie behalten ja noch einen ganzen Teil nach."
"So, Äpfel stehlen willst du hier. Das konnte ich mir denken, dass du da nicht wegen der schönen Aussicht herumkletterst. Für jeden Apfel, den du abpflückst, kriegst du einen mit diesem Eichenstecken, verstehst du mich?" "Na, meine liebe Mutter, dann kommen Sie man herauf." "Na, du großer Schlingel, ich will dich noch treffen, wenn du herunter kommst."
"Das ist recht, Nachbarin," sagte der Schmied, der vor die Schmiede getreten war, "damit muss er so nicht durchkommen. Solche Stadtjungens, die meinen, sie können hier machen, was sie wollen."
Aha, dachte ich, schaust da heraus. Da hat der verdammte Schmied dich doch hereingeritten. Ich musste kapitulieren. Die Alte war gar nicht des Schmieds Schwiegermutter. Ohne Schläge, allerdings auch ohne Apfel zog ich ab.
Der Schmied tat ganz entrüstet: "Schäm dich was! Wie konntest du auch in ihren Garten gehen, ich hatte dich doch zu meinem geschickt."

27. Von der Luft

Mit der Luft ist es doch eigentlich sonderbar: Von der Luft kann man nicht leben, und ohne Luft geht es auch nicht. Hier spendet die Luft frisches, fröhliches Leben, dort bringt sie Tod und Verderben. Wer das Unglück hat, mit der Luft Miasmen, Bazillen und anderes unnennbares Zeug einzuatmen, der wird an seiner Gesundheit argen Schaden leiden. Für andere armselige Menschenkinder heißt es: Nur gute Luft kann das schwache Flämmchen am Leben erhalten und vielleicht zur hellen Flamme entfachen.
Frische Luft ist besonders geschätzt, immer zu haben und steigt nicht im Preise wie andere gesuchte Gebrauchsartikel. Auch die Steuerschraube fasst sie nicht. Trotzdem sperren sich manche Menschen von der frischen Luft ab, weil sie eben nicht wissen, was sie an der frischen Luft für eine schöne Gottesgabe haben.
Mein Nachbar Engschädel, fällt mir eben ein, kam auf sonderbarem Wege zu der Einsicht, dass der Aufenthalt in der frischen Luft in mehrfacher Beziehung heilsam ist.
Gehe ich da eines Abends durch die Seilergasse, als hastig eine Tür aufgerissen und mir ein armseliges Menschenkind vor die Füße geschleudert wird. Wie ein Klumpen Unglück liegt es da und tut einen tiefen Atemzug nach dem andern.
Wer ist's? Mein Nachbar, der Handschuhmacher Engschädel. "Nun," frage ich, "wo fehlt's? Einige Rippen entzwei, Fuß verstaucht usw., nicht wahr?" "Sind Sie das, Nachbar? Nein, mir fehlt nichts nicht. O, was ist es schön!" "Schön?" "Ja, das ist es." "Nun, ich kann nichts Schönes daran finden, hinausgeworfen zu werden und dann auf dem Straßenpflaster neben der Gosse zu liegen. Das nennen Sie schön?"
"O, Nachbar, Sie sind nicht drinnen gewesen, sonst würden Sie es draußen in der frischen Luft auch so schön finden wie ich. O, was bin ich doch für ein alter dummer Esel! Sitz ich da im dicken Dunst von Tabakqualm, Sprit und Gott weiß, was sonst noch alles zum Dreikartenspielen und lasse mich dann noch rauswerfen. Ne, was ist das schön in der frischen Luft!" Damit tat er noch einige tiefe Atemzüge und erhob sich vom Pflaster.
"Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich eine so schlechte Atmosphäre meiden, in der nicht nur ihr Lunge angegriffen wird, sondern auch ihre Knochen in Gefahr kommen." "Will ich auch, Nachbar, will ich auch, man weiß ja gar nicht, was man an der frische Luft hat."
Im Töpfergang fand ich am nächsten Tag eine Familie mit ihren Habseligkeiten auf der Straße stehen. Auch an die frische Luft befördert, dachte ich. Ja, so war es. Aber der freie Raum mit dem blauen, sonnigen Himmel darüber und die klare, schöne Luft fanden keine Beachtung. Die Bedauernswerten warfen sehnsüchtige Blicke zurück nach der engen, dumpfen Wohnung, für die die geringe Miete nicht aufgebracht werden konnte. Es ist hart, auf die frische Luft einzig und allein angewiesen zu sein!
Die Hofluft, die manchem begehrenswert erscheint, muss der Gesundheit wenig zuträglich sein, anders würde man nicht so oft von hüben und drüben lesen, dass dieser oder jener Minister aus Gesundheitsgründen aus dem Amt scheiden musste. Durchweg bringt dann die Gebirgs-, Wald- oder Seeluft die Herren rasch wieder auf die Beine.
Auch die Kirchenluft halten viele für schädlich. War ich da kürzlich in einer großen Kirche unserer lieben Heimat, die mindestens 2000 Personen fasst, und hörte dort eine ganz ausgezeichnete Predigt. Nicht ganz 100 Personen (Prediger, Organist, Küster und Kantor eingerechnet) hatten es gewagt, sich der Kirchenluft auszusetzen.
Von der Schulluft in ihrer undefinierbaren Zusammensetzung will ich wegen zu gründlicher Kenntnis schweigen, ist sie doch sogar bei der in dieser Beziehung genügsamen Jugend wenig beliebt.
Am unangenehmsten berührt uns die Zugluft. Keiner setzt sich ihr ohne zwingende Gründe aus. Jeder, der ein öffentliches Amt bekleidet und sich der Beurteilung seiner lieben Nächsten preisgeben muss, - und wer müsste das nicht -, setzt sich einer unangenehmen Zugluft aus. Ja, und diese Zugluft hat schon manchem Biedermann bitteres Leid gebracht. - Indessen ist ein frischer Luftzug in allen Lebenslagen der Menschen ganz gesund.
Manche Menschen speichern so allerlei Luft bei sich auf und finden es nachher für ihre Gesundheit zuträglich, sich Luft zu machen, obgleich die nächste Umgebung von solchen Explosionen wenig erbaut ist.
Ewig wahr aber bleibt Onkel Bräutigams Urteil über die Luft:
"Du meinst, Korl, Luft ist Luft? Fällt ihm gar nicht ein."

28. Eekenesch

Der Bauer Jörn Klüwer rief seinen Sohn Johannes in die Stube. "Hör einmal aufmerksam zu. Hannes, ich will dir etwas erklären. Du und dein Bruder sind beide nestreif und müssen bald auf eigenen Füßen stehen. Ich dachte, zu November auf das Altenteil zu ziehen und Asmus die Stelle zu übergeben, er will ja heiraten. Als Knecht wirst du nicht bei deinem Bruder bleiben wollen."
"Nein, Vater nicht gern. Wir vertragen uns doch nicht."
"Hab ich mir ganz so gedacht. Nun habe ich es mir durch den Kopf gehen lassen, du kannst einen Verwalterposten bei Inge Ehlers übernehmen und dich da vielleicht nach Jahr und Tag einheiraten. Da bekommst du eine schöne Stelle unter die Füße, die beste Stelle in der ganzen Gegend."
"Ja, das wohl, aber Inge Ehlers ist viel zu hochnäsig, die wird mich nicht nehmen, sie weiß kaum, ob se 'Guten Tag' sagen soll, und dann – ich habe Tille Bruhn halbwegs versprochen, sie zu heiraten, wenn ich eine passende Landstelle finde."
"So, mit der willst du dich zusammenspannen. Ich halte meinen Vorschlag aber für besser."
"Sie macht das nicht, sollst sehen, Vater, sie nimmt mich nicht als Verwalter. Inge Ehlers tut das nicht."
"Sie tut das, denn sie muss, dafür hat dein Vater gesorgt. Ich habe 40.000 Mark als letztes Geld in der Stelle stehen, und wenn ich die kündige, geht sie koppheister. Ihr Vater, er ist ja nun tot, lass ihn ruhen, war ein schlechter Bauer. Er saß bis über die Ohren in Schulden. Der Hof ist so gut wie meiner. Wenn Inge Ehlers sich nicht fügen will, muss sie davon. Das will ich ihr wohl auseinander pulen. Nach guten 8 bis 14 Tagen will ich einmal zu ihr gehen und die Sache mit ihr besprechen. Bist du einverstanden?"
"Ja, Vater, und wenn sie nun nicht will, und du übernimmst die Stelle, dann kann ich Tille Bruhn ja immer noch bekommen." "Meinetwegen."
Das Gespräch zwischen Jörn Klüwer und seinem Sohn Hannes drehte sich um den Hof Eekenesch. Dieser wunderschöne Besitz lag mitten im Dorf Westerholm und doch wieder ein wenig allein für sich. Woher der Name kam, wusste kein Mensch bestimmt anzugeben. Man meinte, der Hof war früher von Eichen und Eschen dicht umschlossen gewesen. Eekenesch war nachweisbar beinahe 200 Jahr in Händen der Familie Ehlers gewesen. Der letzte Besitzer Franz Ehlers hatte notgedrungen Eekenesch übernehmen müssen. Als sein älteren Brüder vor seinem Vater starben, musste Franz sein Studium aufgeben und die Stell übernehmen, damit der Hof nicht in fremde Hände kam. Der Vater, der mit Leib und Seele an dem Besitz hing, wünschte es so. Franz in seiner großen Gutmütigkeit tat es, obwohl er keine Lust zur Landwirtschaft hatte.
Als seine Eltern gestorben waren und er auf sich allein angewiesen war, ging es rückwärts, rückwärts. Er hielt sich feine Pferde und Wagen, fuhr viel aus und hatte Gesellschaft, ging viel auf die Jagd, kurz gesatgt, war wenig unter seinen Leuten. Dat konnte nicht angehen!
Von außen betrachtet konnte Eekenesch für ein Rittergut gelten, aber: Von außen blank, von innen krank. Den letzten Stoß gab ihm ein guter, treuer Freund. Franz Ehlers hatte sich für ihn verbürgt und – musste bezahlen. Durch allerlei Unglück ging der Freund koppheister.
Mit der Zeit war Franz Ehlers alt geworden. Sein Frau war gestorben und seine Tochter Inge führte ihm die Wirtschaft. Sie war umsichtig, fleißig und tüchdig, aber was half das alles, sie konnte den Verfall nicht abwenden. Ehlers selbst zog sich von allem zurück, war auch schon längere Zeit kränklich. Einmal in der Woche kam der junge Schulmeister in Westerholm zu ihm. Das war immer eine Freude für Ehlers. Er besprach mit ihm die Tagesgeschichte, auch die Landwirtschaft, denn Schullehrer Hargens war Landmannssohn, und dann spielten die beiden ihre Partie Schach.
Ein Jahr war wohl so vergangen, da legte Franz Ehlers sich zu Bett, das war sein Totenbett. Schulmeister Hargens kam, um nach seinem Befinden zu fragen. Er traf Inge im Garten, wo sie ihre Blumen begoss. Er sagte zu ihr: "Es freut mich, dass ich Sie hier allein treffe, Fräulein Ehlers. Ich habe Sie schon immer etwas fragen wollen, bin aber nicht dazu gekommen. Mir hat es schon lange auf dem Herzen gelegen, Sie zu fragen, ob Sie nicht meine Frau werden wollen. Nein, antworten Sie nicht, es geht für das ganze Leben. Die Antwort hole ich mir in 8 Tagen. Das mag nun ganz bei Ihnen stehen, ob Sie zu mir ins Schulhaus ziehen wollen oder ob ich umsatteln und Landmann werden soll. Das mag Sie etwas verwunderlich vorkommen, wenn ich mich so geradezu ausspreche, aber Süßholz raspeln kann ich nicht. Doch soviel kann ich Ihnen sagen, ich meine es treu und ehrlich. Nun sagen Sie mir, wie geht es ihrem Vater?" "Nicht besonders, Herr Hargens, aber wollen Sie nicht reinkommen? Vater wird sich freuen, wenn er Sie sieht." "Nein, Fräulein Ehlers, heute nicht. Grüßen Sie ihren Vater von mir, ich lasse ihm gute Besserung wünschen. Er gab Inge die Hand, sah sie aus seinen klaren Augen warm an und sagte: "Nach 8 Tagen darf ich wohl wieder kommen!" Damit ging er.
Inge ging ins Haus, ganz benommen davon, was sie gehört hatte, aber freuen tat sie sich doch sehr. Sie bestellte ihrem Vater die Grüße von Hargens. Da sagte ihr Vater: "Inge, wenn ich nicht wieder hochkommen sollte und du auf dich allein gestellt und um guten Rat verlegen bist, wende dich an diesen Mann, der hat gesunde Ansichten und ist treu und echt wie Gold." "Ach, Vater, gib dich doch nicht so traurigen Gedanken hin, der Doktor sagte doch noch gestern, wir kriegen ihren Vater noch wieder hoch." Am Tag darauf war Franz Ehlers tot.
Das war ein harter Schlag für das arme Mädchen. Ja, ja, der Tod ist immer, wie es in der Bibel steht: Ein harter Bote! Als Inge nach der Beerdigung einen Einblick in die Papiere nahm, bekam sie einen großen Schreck. Dass es so schlecht um ihr schönes Eekenesch stand, hatte sie doch nicht gedacht. Eigentlich gehörte ihr nichts mehr davon. Es wäre doch traurig, wenn sie ihre schöne Heimat so verlassen müsste, so ganz arm davonzulaufen! Was nun? Sie dachte an Hargens. Hatte Vater nicht gesagt: Wende dich an ihn, wenn du in Verlegenheit bist. Ja, das wollte sie machen. Sie fand unter den Papieren auch einen Brief von Hargens an ihren Vater. Sie las:
Mein lieber Herr Ehlers!
Als ich in die Sommerferien reiste, wünschten Sie mir angenehme, ruhige Stunden der Erholung.
Köstliche Tage verlebe ich hier auf dem Hof meines Bruders, aber ganz anders als Sie denken.
Mein Bruder war in Verlegenheit, da ein Knecht erkrankte.
Da bin ich denn flott eingesprungen, hab Kragen, Manschetten etc. abgelegt und bin in die Arbeitskluft gestiegen.
Von morgens früh bis abends spät helfe ich bei der Ernte, mache alles und jedes und tue es gern.
Wie schmeckt das Essen, wie herrlich bekommt der Schlaf! Es ist doch etwas Schönes um das Arbeiten in Gottes freier Natur.
Mit Unbehagen denke ich daran, dass ich wieder in die stickige Schulluft hinein muss.
Schade, dass ich meinem väterlichen Erbteil nicht eine Null anhängen kann. Ich würde schleunigst umsatteln und Landmann werden.
- Ich will den Beruf des Lehrers gewiss nicht gering achten.
Ich schätze ihn sehr hoch ein, aber man muss den inneren Drang, eine Pestalozzi-Natur, mit in den Beruf bringen, sonst fühlt man sich unglücklich.
Das im Vertrauen zu Ihnen gesagt.
In besonderer Wertschätzung grüsst Sie freundlichst
Ihr Hargens
NB: Einen Extragruß für Frl. Tochter!
Inge las den Brief immer noch einmal. Die Grüße hatte ihr Vater bestellt, aber den Brief hatte sie nicht zu lesen bekommen. Hargens hatte ja im Vertrauen sein Herz einmal ausgeschüttet und nun hatte ihr Vater das nicht weiter tragen wollen. - Ja, wenn einer ihr helfen konnte, Eekenesch zu behalten, so wäre Hargens der Mann.
Inge packte all die Papiere aus Vaters Schreibtisch, die über Eekenesch Aufklärung gaben, in eine Mappe und schickte sie Hargens zu. Sie schrieb ihm, er möchte so freundlich sein, den traurigen Nachlass zu prüfen und ihr zu saggen, was sie tun solle. Sie übergebe ihm alles und jedes, er könne man in ihrem Namen handeln, denn sie wüsste nicht, wie sie aus der Klemme herauskommen soll.
Hargens studierte die Papiere gründlich und fand dann, dass es ganz schlecht für Inge aussah. Käme Eekenesch zum Zwangsverkauf, blieb da nichts über, rein gar nichts. Das war nicht das Schlimmste. Vielmehr musste es Inge bedrücken, dass ihr die Heimat, das schöne Eekenesch, verloren ging. Der Schulmeister lief in seiner Stube auf und ab, und es dauerte lange, bis er mit seinem Grübeln fertig war. Endlich packte er alle Papiere sorgfältig zusammen und schloss sie in seinen Schreibtisch.
Für den nächsten Tag nahm er Urlaub und reiste nach Schleswig. Hier ließ er sich für ein Jahr ohne Gehalt beurlauben und die Regierung versprach ihm, sofort einen jungen Schulmeister zu schicken, der ihn vertreten sollte.
So, nun hatte er die Hände frei, nun wollte er einmal sehen, was sich machen ließ. An Inge schrieb er, dass er den Vertrauensposten als Sachverwalter annehmen und alles tun wolle, um ihr aus der Bedrängnis herauszuhelfen. Von seinen Absichten und Hoffnungen auf eine spätere Heirat schrieb er nichts. Das musste erst einmal warten.
Unter den Papieren hatte er auch eine Adresse gefunden von dem guten Freund, für den Ehlers 40.000 Mark hatte bezahlen müssen. Er reiste hin, stellte sich vor und schilderte Inges bedrängte Lage. Der Mann sprang auf, ihm liefen die blanken Tränen über die Backen. "O Gott, o Gott! Dass er nun gerade sterben musste, mein alter guter Franz. Gerade nun, wo ich die besten Aussichten habe, das wieder gut zu machen, was er für mich getan hat. Ich habe in den letzten Jahren viel Glück gehabt und tüchtig Geld verdient. Nun hatte ich mir das so schön ausgedacht: Du wartest solange bis die 40.000 voll sind und dann bezahlst du ihm die ganzen Schulden und dann die Zinsen dazu auf einmal. Das sollte eine große Freude werden für Franz und mich, und nun muss es so kommen. Er ist in großer Bedrängnis heimgegangen. O Gott doch, wie tut mir das leid." Na, Hargens tröstete den alten Mann, so gut er konnte. Er hatte es ja gut gemeint, aber nicht mit dem Tod gerechnet. Ehlers hatte schon früher einmal zu ihm gesagt, wenn er kann, bezahlt er, das ist so sicher wie sonstwas. Na, das richtete den alten Freund ein wenig auf. Er sagte: "Dreiviertel von der Schuld liegt auf der Bank, das will ich sofort überweisen lassen, das andere folgt nach, sobald ich es zusammen habe, das dauert nicht lange. Ich bitte Sie, Inge zu grüßen, ich will heute noch selbst an sie schreiben."
So, die größte Gefahr, Eekenesch zu verlieren, war für Inge vorbei. Nun wollte er zu seinem Bruder fahren, der sollte mit ihm nach Westerholm reisen und sich das einmal ansehen und ihm raten, was zu tun war.
Auf Eekenesch spielte sich unterdessen ein anderes Stück von unserer Geschichte ab. Jörn Klüwer kam recht lauernd und traurig zu Inge Ehlers, sprach noch einmal sein Beileid aus und fragte, ob er ihr irgendwie in ihrer bedrängten Lage helfen könne. Inge meinte: "Recht vielen Dank, Nachbar Klüwer, ich hoffe allein zurecht zu kommen." "Ja, mein Mädchen, du kannst doch unmöglich die Stelle allein bewirtschaften. Du musst doch einen Mann zur Seite haben als Verwalter, der die Bauernwirtschaft gründlich kennt. Was meinst Du, wenn mein Hannes bei dir als Verwalter eintreten würde. Er weiß mit dem ganzen Kram genau Bescheid und ist umsichtig und tüchtig."
"Nein, Nachbar Klüwer, lass nur, ich muss erst einmal versuchen, allein zurecht zu kommen." "Das kannst du einfach nicht." "Ich will es versuchen." "Du weißt doch gewiss, das ich das letzte Geld, 40.000 Mark in Eekenesch stehen habe. Da sind auch noch die Zinsen vom letzten Jahr rückständig. Wenn ich das Geld kündige, bist du fertig. Eekenesch ist bis zum Schornstein hinauf mit Hypotheken belegt. Nun kann mir das nicht einerlei sein, ob die Stelle noch weiter herunter gewirtschaftet wird oder nicht. Ich meine es wirklich gut mit dir. Ich dachte so: Wenn du und Johannes mal ein Jahr zusammen wirtschaften und sich dann vielleicht einig werden können, ich will das einmal annehmen – dann würde ich die Schuld streichen und noch ein übriges tun. Dann kommst du gerade vor und bleibst auf deinem Besitz. Einen andern Ausweg gibt es nicht für dich. Was meinst, willst es nicht mal ein Jahr mit Hannes versuchen?"
"Nein, ich will nicht," sagte Inge bestimmt. "Ist das dein letztes Wort?" "Ja, Nachbar, das ist es."
"Dann weiß ich, was ich zu zun habe, wenn dir nicht mehr an Eekenesch gelegen ist. Das habe ich nicht gedacht. Was denkst du denn? Was willst du eigentlich anfangen? Soviel musst du doch rechnen können, wenn es zum Zwangsverkauf kommt, bleibt dir nichts übrig, gar nichts."
"Das muss dann seinen Willen haben, mir ist für meine Zukunft nicht bange. Ich habe zwei gesunde Arme, ich werde mich leicht durchschlagen."
"Ja, wenn du so zumute bist, dann meinetwegen. Adjüs auch."
Als er weg war, der alte verschlagene Bauer, setze Inge sich hin und weinte ein Stück. Ihr liebes Eekenesch! Das musste sie aufgeben und könnte es sich nachher von außen besehen, wenn Hannes Klüwer hier hauste. Da war wohl nichts mehr zu retten. Ihre einzige Hoffnung war der Lehrer Hargens, aber etwas Unmögliches konnte er bei all seinem guten Willen auch nicht machen. Ob er sie in die Schulkate rüber holen würde, wenn sie nun ganz arm war? Pfui, sagte sie zu sich selbst, das war ja Unrecht von mir, daran zu zweifeln. Der gute, liebe Mann! Das muss ich ihm im Stillen abbitten. Sowas darf ich nicht denken! O Gott, da kommt er selbst und hat noch einen Mann mitgebracht. Was die wohl wollen?"
"Guten Tag, Fräulein Ehlers, darf ich vorstellen? Das ist mein großer Bruder. Ist es Ihnen recht, wenn ich meinem Bruder die ganze Wirtschaft auf Eekenesch einmal zeigen? Ich habe ein Jahr Urlaub genommen, bleibe in der Schule und verwalte Eekenesch von dort. Ist das so recht?"
"Ja, Hargens, wie ich Ihnen geschrieben habe, ich überlasse Ihnen alles und jedes."
"Schön, dann kann ich ihnen die Mitteilung machen, dass der Freund, für den ihr Vater sich verbürgt hatte, reichlich 30.000 Mark an Sie überwiesen hat, und dass er den Rest von der Schuld und die Zinsen so nach und nach bezahlen wird und auch kann."
"O Gott doch, wenn Vater das erlebt hätte," sagte Inge und die Tränen liefen ihr über die Backen. "Eben noch war Jörn Klüwer hier und hat mir gesagt, dass er sein Geld kündigen will, und dann ginge ich koppheister und mir bliebe von meinem Eekenesch gar nichts. Aber einen Ausweg wusste der Mann als guter Nachbar: Ich sollte seinen Hannes als Verwalter nehmen und – ich mag es gar nicht sagen – und ich könnte mit seinem Hannes einig werden, dann wolle er die Schuld streichen und noch ein Übriges tun. Das wäre die einzige Möglichkeit Eekenesch zu behalten."
"Sieh, das ist ja niedlich von den alten Schleicher," sagte Hargens, "mich wollte er auch schon einmal auf plumpe Weise mit seiner Tochter verheiraten. Ich habe ihn schön auflaufen lassen. Er kommt mir nicht wieder. Nun tun Sie mir den Gefallen, und gehen Sie so bald wie möglich zu dem Mann und sagen ihm, in vierzehn Tagen kann er sein Geld bekommen. Was da fehlen sollte an der Schuld, Fräulein Ehlers, das kann ich dazulegen. Na, wenn der Mann bei der Botschaft, die sie ihm bringen, nur nicht auf den Rücken fällt," lachte der Schulmeister Hargens.
"Ja," sagte Inge, "morgen am Tag gehe ich hin zu ihm! Das wird für mich ein leichter Gang!"
Hargens und sein Bruder gingen zur Schule und studierten noch einmal gründlich den traurigen Nachlass. Dann gingen sie über die Felder und zum großen, schönen Gehölz. Der Bruder meinte: "Dies Gehölz kann Eekenesch ganz allein auf die Beine helfen." Ehlers hatte nur für seinen Hausgebrauch Holz fällen lassen. Das Gehölz müsste notwendig durchforstet werden. Ehlers hatte es wohl auch eingesehen, hatte sich aber nicht dazu entsschließen können. Jeder Baum, der umgehauen wurde, tat ihm leid, aber wirtschaftlich war das nicht.
"Du musst dir den Oberförster kommen lassen, und der muss dir sagen und wird dir sagen, was herunter muss. Daraus lässt sich viel Geld machen, das Holz ist teuer. Stellst ein Holzauktion an, und dann ist Fräulein Ehlers aus allen Sorgen heraus.
Ich will dir einen Pferdehändler schicken, einen reellen Menschen. Die Luxuspferde müssen weg und gute Arbeitspferde müssen dafür eingestellt werden. Die eleganten Wagen, überhaupt alles, was da überflüssig ist und für eine Bauernwirtschaft nicht passt, - du weißt es selbst herauszufinden -, muss zu Geld gemacht werden.
Und dann fix herein ins Land mit künstlichem Dünger. Das scheint hier prachtvoller Boden zu sein. Die große Wisch an der Aue ist für so einen Besitz zuviel wert. Fix unter Kraft setzen, Bruder, sollst einmal sehen, du wirst deine helle Freude am Besitz haben. Jungedi, du kannst wohl lachen, hast in den Glückstopf gegriffen! Wenn es irgendwo nicht reicht, kann ich aushelfen. Das der Hof zum Zwangsverkauf kommt, ist vollständig ausgeschlossen. Na, ich kann beruhigt abreisen, du bist selbst Mann genug, dich hier durchzuschlagen."
"Aha! Da kommt Inge Ehlers, die ist rasch zahm geworden," grinste Jörn Klüwer, als er Inge zum Hof heraufkommen sah. "Geht man alle heraus aus der Stube, ich will sie allein sprechen."
"Guten Tag auch, Nachbar Klüwer." "Guten Tag auch, mein Mädchen, nimm Platz im Sofa."
"Ach, ich will nicht erst lange sitzen, ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie ihr Geld mit den Zinsen – na, sagen wir in 14 Tagen – bekommen können."
"Was?" sagte Klüwer und stand da mit offenem Mund und ließ beide Arme am Leib heruntersacken. "Was sagst du?"
"Wollen Sie mir nicht sagen, wohin ich das Geld überweisen lassen kann?"
Klüwer setzte sich hin. Er schnappte nach Luft. "Sag mir doch einmal, woher hast du denn Geld?"
"Ach, das ist ja einerlei, Nachbar, die Hauptsache ist, das Geld ist da, und ich kann bezahlen."
"Ja, kann ich mein Geld denn nicht stehen lassen?" "Nein, zu fünfeinhalb Prozent ist es mir zu teuer, und im Schuldschein steht, dass das Geld ohne Kündigung jederzeit voll und ganz zurück gezahlt werden kann. So ist es doch!"
"Ja," sagte Klüwer sanftmütig, "kannst du mir denn nicht sagen, wer der gute Freund ist, der mich da herausdrängt?" "Nein, es tut mir leid, das kann ich nicht."
"Na, dann überweise das Geld man an die Schleswig-Holsteiner Bank in Schleswig, da habe ich ein Konto."
"Schön, adjüs auch, Nachbar Klüwer."
Eine Antwort bekam sie nicht. "Verdorri, verkehrt spekuliert," jammerte Klüwer. "was das Mädchen für ein hochnäsiges Gesicht macht. Möchte doch wissen, wer ihr geholfen hat. Da ist nichts mehr zu machen. Das ist vorbei. Schade, jammerschade! Die schöne Stelle. Verflucht noch'n mal! Ich war so sicher. Nun kommt sie und schiebt mir den Karren vor die Tür!" Und damit gab er seinem Hund, der vergnügt bei ihm hochsprang, eins mit dem Fuß, dass er in die Ecke flog. Und der Köter hatte sich doch gar nicht in seine Geschäfte eingemischt.
Hargens fasste die Wirtschaft energisch an, arbeitete tüchtig mit, war morgens der erste und abends der letzte auf dem Platz. Was er anfasste, das hatte Schick.
Nach einigen Wochen sagte der Tagelöhner Jan Martens, als er abends mit den anderen Tagelöhnern nach Hause ging, und die müden Knochen streckte: "Jungedi, nun hört die Gemütlichkeit hier auf Eekenesch aber auf, nun fängt etwas anderes an."
"Ja, Jan," sagte der alte Tagelöhner Jens Wichert, "da hast du recht, die gemütlichen Tage sind vorbei, aber das müssen wir doch selbst sagen, es ist besser so. Und der Schulmeister arbeitet ja selbst wie ein Pferd, sucht sich nicht den leichtesten Posten aus. Allerhand Achtung vor dem Kerl! Gestern schob ich einen Karren voll Rüben zum Kuhstall, hatte wohl ein bisschen viel aufgeladen und konnte nicht so recht durch den Dreck kommen. Hargens kam angelaufen und sagte: 'Lassen Sie mich, ich bin jung, Sie haben zuviel aufgeladen.' Damit schob er mit der Karre los, als wenn da nichts drauf wäre. Nun frage ich euch, wer macht das wohl als Verwalter? Und dann ist er immer freundlich und vergnügt. Ich meine, das Dorf hat einen tüchtigen Schulmeister an ihm verloren, aber ihr sollt sehen, aus dem Mann wird ein tüchtiger Bauer. Er soll Eekenesch wohl in Schwung bringen!"
Und der alte Jens behielt recht. Nach einem Jahr gaben Hargens und Inge Hochzeit, und nach einigen Jahren war Eekenesch in der ganzen Gegend als Musterwirtschaft bekannt. Landleute brachten ihre Söhne gern zu Hargens, um die Landwirtschaft und was damit zusammen hängt, zu lernen.
Eekenesch wurde mit der Zeit freies Eigentum.

29. Zufall oder Fügung

Der Herr Oberförster erzählt: "Ja, meine Herren, Sie sprachen soeben vom Zufall. Doch was viele Menschen als blindes Glück oder Zufall bezeichnen, halte ich für göttliche Fügung, und ich kann es nicht begreifen, dass sie ihr Geschick lieber vom blinden Zufall abhängig machen, als dass sie sich in Gottes Hand wissen. Da ich jetzt an der Reihe bin zu erzählen, gestatten Sie mir dazu ein Erlebnis aus der Jugendzeit:
Vor etwa 40 Jahren stand ich als Forstgehilfe im Regierungsbezirk Gumbinnen in der Nähe der polnischen Grenze. Die Gegend war im ganzen Kreis verrufen, denn die Wilderer hausten schändlich in den ausgedehnten Forsten. Die nahe Grenze begünstigte ihr ungesetzliches Treiben. Die Jäger befanden sich immerfort auf dem Kriegspfad. Auf beiden Seiten war bereits Blut geflossen, was die gegenseitige Verbitterung noch erhöhte.
Eines Tages beauftragte mich der Förster, einen entlegenen Teil unseres Bezirkes zu inspizieren und einen Forstarbeiter mitzunehmen, weil diese Waldgegend zu den gefährlichsten Schlupfwinkeln der Wilddiebe gehörte. Der Förster selbst war durch den aufregenden Dienst herunter und litt an absoluter Schlaflosigkeit. Auch mein Kamerad, der Forstgehilfe Schmettow, musste das Zimmer hüten, da er sich den Fuß verstaucht hatte. Es war aber notwendig geworden, uns in dem Revier zu zeigen, da die Wilderer gerade dort ihr Handwerk ungenierter denn je betrieben. Der Förster mahnte zur Vorsicht und Achtsamkeit. Ich machte mich auf den Weg und nahm unterwegs einen stämmigen Burschen als Wegweiser und zur Verstärkung mit.
Zu meinem Verdruss fand ich mehr als eine Spur von ausgeweidetem Wild, aber von den Wilddieben war nichts zu sehen. Sie waren wohl bereits mit ihrer Beute über die Grenze gegangen. Was war da zu tun? Ich machte mich auf den Heimweg. Als ich eben kehrt gemacht hatte, kam ein Apothekerbote herbeigeeilt und bat mich, ihm den weiten Weg zur Försterei zu ersparen, und die Schlafpulver, die er dem Förster mitgebracht habe, mitzunehmen. Ich nahm die Pulver, und der Bote entfernte sich. Bald darnach entließ ich den Forstarbeiter, der auf einem Richtweg sein Haus schneller erreichen konnte. Den Weg zum Forsthaus kannte ich, an eine Gefahr dachte ich nicht.
Wie ich nun so in meinen Gedanken durch ein dichtes Unterholz ging, legten sich plötzlich zwei Arme fest um meinen Hals, und ich wurde zu Boden gerissen. Im Nu war ich entwaffnet. Zwei wilde Gesellen lagen schwer auf mir. Als ich Miene machte, um Hilfe zu schreien, erhielt ich einen Faustschlag ins Gesicht und einer der Räuber sagte: "Schreist du, Grünschnabel von Jäger, stoße ich dir dein eigenes Waidmesser durch den Leib." Ich wusste, die Drohung war ernst gemeint, deshalb schwieg ich. Man hieß mich aufstehen und stieß mich mit dem Gewehrkolben vor sich her. Die Försterei lag so ziemlich in entgegengesetzter Richtung unseres Weges.
"Schade, dass wir das Tauwerk drüben liegen haben, sonst müssten wir dem Jüngelchen die Hände binden, die Herren pflegen uns auch zu knebeln. Weißt du noch, Radlev, wie der Förster unsern Jazinsky behandelt hat, der Lump, mit den Füßen hat er ihn getreten – so, Bürschchen!" und damit versetzte er mir einen solchen Fußtritt ins Kreuz, dass ich in einen Brombeerstrauch flog, aus dem ich arg zerkratzt zum Vorschein kam. Das schien den Strolchen großen Spaß zu machen. Nachdem sie mich durch weiter Püffe auf den Weg zu ihrem Versteck gestoßen, begannen sie polnisch zu sprechen. Doch konnte ich soviel verstehen, dass sie mir als warnendes Beispiel ein grausames Ende bereiten wollten. Wenn doch der Förster zur Stelle wäre. Wie würde er die Elenden zusammengepfeffert haben.
Unwillkürlich drückte ich bei diesem Gedanken gegen die Jagdflasche, die sich in der Brusttasche meiner Joppe befand. Sie war mit Rotwein gefüllt. Plötzlich legte sich meine Aufregung. Ich wurde ganz ruhig. Ich wusste, ich trug den Retter bei mir. Die Sorglosigkeit der Wilderer, die mich ganz in ihrer Gewalt wähnten, kam mir zu Hilfe. Ich gab mir den Anschein, als ob ich mich angelegentlich mit meiner zerhauenen Nase und meinem zerkratzen Gesicht beschäftigte, und so gelang es mir nach und nach, alle Schlafpulver in die Flasche zu praktizieren.
Unterdessen waren wir bei dem Lagerplatz der Halunken angekommen. Ich zog die Flasche hervor, schüttelte sie eilig und wischte das verräterische weiße Pulver von dem Rande ab. Dann tat ich, als wollte ich einen Zug aus der Flasche tun, aber einer der Wilderer kam mir zuvor und riss mir die Flasche aus der Hand. "Ei, sieh da, das Müttersöhnchen trinkt Wein, will sich wohl stärken für sein letztes Stündchen, ha, ha, ha!" Er legte den Daumen mittwegs an die Flasche und sagte: "Über den Daumen für mich, Kamerad, das andere für Dich, dem Bürschchen hier wird der Durst sowieso bald ganz vergehen." Sie leerten die Flasche bis zur Nagelprobe. Der Radlev meinte: "Das scheint mir aber eine Sorte zu sein! Brr! Da ziehe ich doch einen ehrlichen Kümmel vor!"
Mit großer Befriedigung sah ich meinen Rotwein in den Abgrund ihrer Kehlen verschwinden. Wenn ich heute sehe, wie Arbeiter sich um Daumenbreite, damit keiner zu kurz kommt, aus einer Flasche zutrinken, muss ich mich an diese Scene erinnern. Nachdem die beiden Gesellen die Flasche geleert hatten, warfen mich zu Boden und banden mir die Hände auf den Rücken, natürlich unter Faustschlägen, Fußtritten und üblen Schimpfreden. Endlich ließen sie mich liegen, sagten aber: "Rührst du dich, du Hund, sind wir bei dir!"
Um sie nicht unnötig zu reizen und mir Quälereien zu ersparen, lag ich still. Meine ganze Hoffnung waren die Schlafpulver. Die Wilderer sammelten ihre Jagdbeute zusammen, zwei schöne Rehböcke und einige Hasen, banden den Tieren die Läufe zusammen und machten sie fertig zum Forttragen.
"So, du Jägersknecht, nun kommst du an die Reihe," sagte der Hauptpeiniger, "doch erst wollen wir noch einen Augenblick ruhen, so eilig mit dem Baumeln wirst du es nicht haben. Vor Anbruch der Dunkelheit dürfen wir doch nicht über die Grenze." Der andere Wilderer streckte sich ebenfalls ins Moos. Meinte aber, ob es nicht richtiger wäre, mich erst abzutun, bevor Hilfe aus dem Forsthaus käme. In abgerissenen Worten kam die Antwort: "Kann sein Testament machen – kann uns nicht entkommen – Förster krank – nachher baumeln." Vom andern kam schon keine Antwort mehr. Die Pulver taten ihre Wirkung.
Jetzt galt es, einem qualvollen Ende zu entrinnen. Ich erhob mich, so schnell meine geschnürten Hände es erlaubten und rannte davon. Dabei stolperte ich über einen abgebrochenen Baumstamm. Ich fiel hin, doch als ich mich erhob, - ein neuer Fingerzeig der Vorsehung! Der Baumstamm war in Brusthöhe abgeknickt und zeigte einen sehr scharfen Bruch. Ich schob die gebundenen Hände gegen die scharfe Kante und rieb trotz der heftigen Schmerzen solange, bis der Strick endlich riss. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit welchem Behagen ich meine frei gewordenen, arg geschundenen Hände besah. Was sollte ich nun tun? Sollte ich zurück zu den schlafenden Strolchen oder Hilfe vom Forsthaus holen? Hast dich überrumpeln lassen, sagte ich mir. Ich schämte mich, unbewaffnet vor dem Förster zu erscheinen. Also zurück zu den Wilderern. Sie schliefen fest. Zunächst nahm ich mein Waidmesser und meine Flinte an mich und machte ihre Büchsen unbrauchbar. Dann überlegte ich, was weiter zu tun sei. Ich löste die Stricke von dem Wild und band den beiden Wilderern Hände und Füße zusammen. Sie waren so tief im Schlaf, dass sie nichts merkten. Aber nun musste ich einen Augenblick ausruhen. Die Aufregung und der schneidende Schmerz in den Handgelenken zwangen mich dazu. Ich setzte mich den Burschen gegenüber an einen Baum und überlegte, wie es nun weitergehen sollte.
Da fiel in ziemlicher Entfernung ein Schuss. Wie? Sollten das andere Wilderer sein? Wieder ein Schuss, nach gleicher Pause noch mehrere. Das konnten nur die Leute aus dem Forsthaus sein, die ich suchten. Ich hätte schon längst zurück sein müssen. Ich schoss einen Lauf meiner Büchse ab und beobachtete spannend meine Gefangenen. Sie rissen die Augen auf, versuchten den Kopf zu heben, sanken aber kraftlos zurück. Von dieser Seite drohte mir also keine Gefahr, falls ich mit anderen Wilderern zusammenstoßen sollte. Ich lief dem Schall des Büchsenschusses nach und entdeckte bald die hohe Gestalt des Försters. Voller Freude schoss ich abermals in die Luft und eilte ihm entgegen.
"Verirrt, nicht wahr? Weshalb ließen Sie den Arbeiter auch gehen? Es ist wirklich kein Vergnügen, Sie nachts im Walde aufzusuchen." Ich hielt ihm meine blutigen Hände entgegen und winkte ihm, mir zu folgen.
"Dachte ichs doch!“ rief der Förster, als er die Gesellen sah. "Meine Ahnung hat mich also nicht betrogen. Sind beide tot?"
"Tot, nein. Sie schlafen." und nun erzählte ich in aller Hast mein Abenteuer. Der Förster reichte mir bewegt die Hand. "Da können Sie unserem Herrgott nicht genug danken, junger Mann, dass Sie einem schmählichen Tod glücklich entgangen sind. Ich wurde seit ihrem Fortgang von großer Unruhe gequält, da mir einfiel, dass ihnen dieser Bezirk bei Ihrem kurzen Hiersein noch zu unbekannt sei. Gottlob, dass es noch so gut abgelaufen ist."
Der Förster schoss nacheinander rasch zwei Schüsse ab und rief dadurch der Verabredung gemäß drei Forstarbeiter herbei, die auch sämtlich bewaffnet waren. "So, nun gehen Sie mit einem der Leute zur Försterei. Beruhigen Sie meine Familie und lassen Sie sich verbinden." Ich bat, er möge mich da lassen und so schickte er zwei Leute fort. Nun rüttelten wir die Kerle wach und leuchteten ihnen mit der Laterne ins Gesicht. Die Wirkung des Schlafpulvers schien nachzulassen. Ich konnte mir nicht versagen, die verblüfften Gesellen zu fragen, ob sie mich wohl kannten, aber keine Antwort, nur scheue Blicke! Stillschweigend ergaben sie sich in ihr Schicksal und ließen sich willig abführen.
Sehen Sie, meine Herren, seit dieser wunderbaren Errettung aus Mörderhänden kann ich Ausdrücke wie 'es war Glück dabei', 'reiner Zufall' nicht ausstehen.

30. Voß' Antje

Der Binnendeich, der die Ortschaften Lehe und Wollersum in Norderdithmarschen miteinander verbindet, war für uns Kinder ein Ort des Grauens, zumal, wenn die Sonne untergegangen war. Wir atmeten erleichtert auf, wenn wir die geheimnisvolle Schleuse dort im Rücken hatten.
Kein Wunder, denn hier trieb Voß' Antje ihre Wesen. Mancher hatte sie in ihrer altmodischen Tracht beim Mondenschein auf dem Deiche unweit der Schleuse sitzen sehen, eifrigst mit ihrem Spinnrad beschäftigt, und manchem hatte sie allerlei Schabernack zugefügt, obgleich nichts bestimmtes festzustellen war. Wer war denn Voß' Antje? Man höre!
Als Dithmarschen eine freie Bauernrepublik war, lebte in Lehe ein Mann mit Namen Voß. Dieser hatte eine Frau mit Namen Antje, die vom Geizteufel besessen war. Die Habsucht beherrschte die Frau dermaßen, dass sie jeden Bedürftigen ohne Ausnahme von der Tür wies. Viel lieber ließ sie ihre überflüssigen Vorräte verderben, als dass sie von ihrem Überfluss den Armen gab.
Als einst eine arme Frau um ein wenig Milch für ihr krankes Kind bat, schlug Frau Antje ihr nicht nur die Bitte ab, sondern verhöhnte die Ärmste noch dadurch, dass sie vor ihren Augen einen großen Topf Milch in den Rinnstein goss. Auch ihr Mann hatte unter ihrem Eigennutz viel zu leiden.
Einst starben ihr die Zuchtkälber eines nach dem andern. Da tat die Frau die schlimme Äußerung: "Die Kinder bleiben am Leben, aber meine schönen Kälber gehen dahin." Danach kränkelten ihre sonst gesunden Kinder, und eines nach dem andern sank ins Grab. Das beugte aber nicht den harten Sinn der Frau, ihre Habgier ward je länger je ärger. Endlich kam der Tod auch zu ihr. So sehr sich Frau Antje gegen die Trennung von ihren Schätzen wehrte, sie musste fort.
Voß atmete erleichtert auf, als seine Antje unter dem grünen Rasen des Kirchhofs in Lunden gebettet war. Es zeigte sich aber bald, dass die schwarze Seele im Grab keine Ruhe finden konnte. Bald sahen die Dienstboten Frau Antje, wie sie argwöhnisch zusah, ob die Mädchen beim Melken ihre Pflicht taten, bald konnte man sie sehen, wie sie die gedroschenen Ähren untersuchte, ob noch Körner darin zurück geblieben seien. Die Folge davon war, dass Knechte und Mägde den Dienst bei Voß verließen und kein Gesinde bei ihm aushalten wollte.
War Antje dem Bauern im Leben ein echtes Hauskreuz gewesen, so wurde sie ihm jetzt zum Plagegeist. Voß dachte schon ernsthaft daran, sein Gewese zu verkaufen, aber wo sollte er für den in Verruf geratenen Hof einen Käufer finden?
Endlich riet ihm ein Nachbar, mit Pater Anselmo in Lunden Rücksprache zu nehmen. Pater Anselmo stand im Geruch der Heiligkeit und vermochte gar manches zu vollbringen, was gewöhnlichen Sterblichen unmöglich war.
Voß ging zu Sr. Heiligkeit, dem Pater Anselmo und klagte ihm seine Not. Dieser versprach, gegen Abtretung eines Krug Landes an das Kloster in Lunden Abhilfe zu schaffen. Durch heiße Gebete bannte er die verruchte Seele und trieb sie vor sich her längs dem Binnendeich auf Wollersum zu. Er hatte Voß versprochen, die ruhelose Seele dort in die Eider zu treiben. Allein, Pater Anselmo hatte seine Kräfte überschätzt.
Er brachte Voß' Antje nur bis zur Schleuse des Mitteldeiches. Sie weiter fortzutreiben von ihren irdischen Schätzen war ihm nicht möglich.
Alljährlich nun, wenn die Kirchenglocken das neue Jahr einläuten, nähert sich Voß' Antje ihrem früheren Anwesen um den Schritt eines Hahnes, bis sie endlich wieder von ihrem Grund und Boden Besitz ergreift.

31. Gesucht und gefunden

"Frau Wagner ist gestern mit ihren Töchtern nach Glücksburg gereist," sagte die Hausfrau, während sie ihre Serviette zusammenlegte und mit einem ungewissen Blick ihren Mann streifte. Auch die beiden Töchter, Olga und Therese, warfen fragende Blicke auf den Vater. Dieser, der Kaufmann Lüthgens aus Lübeck, kaute bedächtig die letzten Bissen seine Mittagsmahls und überhörte, scheinbar vertieft in seine Tätigkeit, die Mitteilung seiner Ehehälfte.
"Glücksburg gehört doch noch immer zu den guten und billigen Badeorten, nicht wahr, lieber Adolf?"
"O, ich verstehe, Hannchen, warte einen Augenblick." Damit erhob sich Lüthgens hastig und eilte in sein Kontor. Er kehrte mit dem aufgeschlagenen Hauptbuch zurück.
"Damit ihr nun nicht meint, dass ich euch in eigensinniger Weise die Freude an einem Landaufenthalt verkümmern will, so urteilt selbst, indem ihr Plus und Minus miteinander vergleicht, dass unsere Verhältnisse uns derartige Extravaganzen nicht erlauben."
"Und denkst Du denn gar nicht an unsere Töchter? Sie stehen hoch in den Zwanzigern. Wenn ihnen nicht Gelegenheit geboten wird, Bekanntschaften anzuknüpfen, könne sie als alte Jungfern sterben. Dies eine Mal noch, Adolf. Mir ahnt, unsere Kinder werden ihr Glück finden."
"Das sagst Du immer, wenn die Sonne hoch kommt und Deine lieben Freundinnen unsere Stadt verlassen," brummte Lüthgens. "Ich will euch einen Vorschlag machen. Reist zu Vetter Fritz. Er wohnt eine gute halbe Stunde von Borby, verkehrt viel da und könnte euch täglich hinfahren und abends abholen lassen. Er ist meinem Vater zu großem Dank verpflichtet und wird, so wie ich ihn kenne, sich ein Vergnügen daraus machen, euch gefällig zu sein."
"Dann kämen wir nicht nach Glücksburg," meinte Olga niedergeschlagen. "Und in einem Bauernhof sollen wir Unterschlupf suchen," sagte Therese schnippisch.
"Ich will euch keineswegs zwingen. Wollt Ihr Onkel Fritz's Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen, so müsst Ihr eben zuhause bleiben. Punktum!"
"Nein, Vater, schreibe nur!"
"Nun gut, ich werde Euch für drei Wochen Aufenthalt ein Unterkommen bei Onkel Fritz erbitten. Da die Ernte erst nach vier Wochen beginnt, wird es ihm wahrscheinlich nicht schwer fallen, Euch ein Fuhrwerk zur Verfügung zu stellen."
In Lübeck, in einer Wohnung in der Friedrichstraße im 2. Stock, lag der Buchhalter Georg Alvens auf seinem Sofa und starrte unverwandt zur Decke. Auf dem Rücken liegend, weil man in solcher Lage am besten denken kann, machte er Pläne für die Zukunft. Er musste zu einem besonders günstigen Ergebnis gekommen sein, denn als sein Freund und Stubengenosse, der Ingenieur Anton Behrens, ins Zimmer trat, sprang er erregt auf, tanzte um den Tisch und rief: "So wirds gehen, so wirds gehen."
"Sag mal, Georg, bist Du schon so früh am Tag bei Mutter Tiedje gewesen? Was hast Du?"
"Nichts von Stammkneipe, aber ich habe Zukunftspläne geschmiedet, und die müssen verwirklicht werden."
"Da bin ich gespannt."
"Vernimm, Anton! Du wirst nächstens 34, ich bin bereits 36. Unser Verhältnis ist ja ungetrübt, aber zwei Leute wie wir, in fester Stellung bei gutem Gehalt, können doch ganz gut einen eigenen Haushalt gründen. Zeit wär's schon. Was meinst Du?"
"Schaut's da hinaus! Leider unmöglich! Woher sollen wir eine Frau nehmen? Mich nimmt schon keine: Rotes Haar, das Gesicht voller Sommersprossen! Und Du bist auch kein Adonis. Allein Dein überdimensionales Riechorgan wird jedes Mädchen abschrecken."
"Nun mal langsam! Schönheiten sind wir ja nicht gerade. Trotzdem werde ich heiraten, d. h. wenn Du auch willst, denn ich kann Dich ja hier nicht allein zurücklassen. Entweder wir heiraten beide oder bleiben nach wie vor beisammen. Willst Du?"
"Von Nichtwollen kann keine Rede sein, aber -"
"Anton, Du rühmst meine Nase. Gut, vertrauen wir uns ihr an. Ich bekomme Ende dieser Woche drei bis vier Wochen Urlaub für eine Erholungsreise. Du wirst dich doch auch freimachen können. Wir unternehmen dann eine Vergnügungstour durch das östliche Holstein und besuchen danach die kleineren Badeorte an der Ostsee, besonders Glücksburg und Borby. Es müsste doch sonderbar zugehen, wenn wir dabei nicht eine Frau finden könnten, die zu uns passt. Wir müssen nur ernsthaft auf die Suche gehen."
"Nun, meinetwegen, lass uns reisen, um einmal aus der Tretmühle des Alltags herauszukommen. Allein, aus deinen Plänen, mein lieber Georg, erhoffe ich – leider nichts."
Frau Lüthgens und ihre Töchter fanden die freundlichste Aufnahme beim Vetter, dem Hofbesitzer Volkens. Regelmäßig fuhr die Staatskalesche die Damen des Morgens nach Borby und holte sie abends wieder ab. Der Aufenthalt am schönen Ostseestrand bekam den beiden 'Erholungsbedürftigen' sehr gut. Allein, der Hauptzweck der Badereise schien nicht erreicht zu werden. Die bewilligten drei Wochen verstrichen ohne besondere Ereignisse. Papa Lüthgens hatt noch eine halbe Woche zum Dableiben zugelegt, aber dann musste Frau Lüthgens mit ihren Mauerblümchen, wie sie sie seufzend nannte, heimkehren. Also wieder einmal vergebliche Reise, unnütze Ausgaben!
Um diese Zeit kamen unsere beiden Freunde auf ihrer Streiftour in Borby an. Auch sie waren bereits entmutigt und dachten an die Heimreise.
"Sagt ich's nicht, Georg, wir sind kein Fressen für die Weibsleute. Überall weichen sie jedem Annäherungsversuch aus. Ich wusste das." "Nur nicht den Mut verlieren, Anton, es kann noch alles gut werden," tröstete Georg, obwohl er auch selber nicht glaubte, dass das Suchen mit einem Finden enden würde.
Am nächsten Morgen saßen die beiden Freunde auf dem Balkon ihres Gasthofes, tranken ihr Glas Bier und genossen die schöne Aussicht auf die Förde.
"Georg, in deinem Glas schwimmt ein Frosch." "Wahrhaftig!" rief dieser missgelaunt und schüttete ohne Umstände den Rest seines Bieres mit der Fliege über die Barriere des Balkons. Gleich darauf kreischten einige Damenstimmen im höchsten Diskant herauf: "Welche Flegelei!" "So, da haben wir die Bescherung!" Damit stürmte Georg die Treppen hinunter und fand hier Frau Lüthgens samt Töchtern, die sich eifrigst bemühten, die Biertropfen von ihren Kleidern zu entfernen.
"Entschuldigen Sie gütigst, meine verehrten Damen, ich war der Flegel. Sie werden es hoffentlich einem etwas ungelenken Junggesellen zugute halten, dass er unvorsichtig und unüberlegt sein schlechtes Bier auf die Straße goss! Hätte ich eine Ahnung gehabt, so früh hier schon Spaziergänger zu treffen, hätte ich mich wohl hüten sollen, solches zu tun. Bin übrigens zu jeder Entschädigung Ihrer ruinierten Garderobe gern bereit. Mein Name ist Alvens, Buchhalter im Geschäft Rissmann und Söhne in Lübeck, und dies hier, auf den herannahenden Kameraden deutend, der Ingenieur Behrens aus Lübeck."
"Aber wie konnten Sie Ihr scheußliches Bier so ohne weiteres auf den Spazierweg schütten?" unterbrach ihn Therese giftig. "Schäme Dich, Therese, Du hörst ja, der Herr bedauert seine Unvorsichtigkeit," besänftigte Olga die zumeist betroffene Schwester. "Einerlei, es ist taktlos, sich so gegen Damen zu benehmen!"
"Ich bin wirklich untröstlich, mein Fräulein, aber ich hoffe, Sie werden mir glauben, dass ich den Unfall aufrichtig bedaure."
"Nun, Herr Alvens, lassen Sie's nur gut sein," ließ sich nun Frau Lüthgens vernehmen. "So schlimm ist die Sache nicht. Übrigens ist Ihre Firma mir wohl bekannt. Mein Name ist Lüthgens aus Lübeck, und dies sind meine Töchter Olga und Therese. Und nun kommt, Kinder, in einigen Stunden fährt der Wagen zurück. Wir reisen nämlich morgen." Die Damen verabschiedeten sich von den Herren, und diese kehrten auf den Balkon zurück, während Frau Lüthgens mit ihren Töchtern ihren Spaziergang unter Borby fortsetzte.
"So, Anton, nun haben wir, was wir suchen." "Wieso?" "Menschenskind, du fragst noch? Die beiden Kaufmannstöchter werden geheiratet, von uns geheiratet. Es handelt sich vorab nur darum, wer die Olga und wer die Therese heimführen soll. Es ist eine Vernunftheirat, wie es vernünftigen Männern in unserem Alter geziemt. Da wir den ersten Jugendrausch, wo nur das Herz zu sprechen hat, ungenutzt haben vorübergehen lassen, so sind wir allgemach in das Stadium eingetreten, wo zuerst der Kopf und erst in zweiter Linie das Herz zu Worte kommt."
"Schon gut, doch wäre es für mich sehr wünschenswert, nochmals Gelegenheit zu haben, die Damen daraufhin anzusehen, ob sie für den Bund fürs Leben auch die rechten sind."
"Natürlich! Das ist notwendig. Aber lass mich nur machen! Übrigens ist der Kaufmann Lüthgens ein tüchtiger, solider Geschäftsmann, dem allerdings in letzter Zeit seine Konkurrenz schwer zu schaffen macht, so dass seine Verhältnisse wohl nicht besonders sind. Aber darauf haben wir beide ja nicht zu sehen, für uns genügt, dass der Mann höchst respektabel ist."
Von dem geschwätzigen Kellner erfuhren die beiden heiratslustigen Gesellen, dass die Damen täglich morgens mit einem Wagen gebracht und abends abgeholt würden. Heute sei der Kutscher gleich dageblieben, um die Damen wieder mitzunehmen, da sie morgen abreisen wollten.
Der Buchhalter suchte den Kutscher auf. Nach kurzem Zwiegespräch trennten sich die beiden mit freundschaftlichem Händedruck, bei welcher Gelegenheit ein Fünfmarkstück in der schwieligen Hand des Kutschers zurückblieb. Mit verständnisvollem Grinsen zog er seine Uhr und stellte sie 15 Minuten zurück.
Am nächsten Morgen waren unsere Freunde zum Zuge Richtung Lübeck rechtzeitig am Bahnhof. Zu ihrer Genugtuung kamen die Damen erst 5 Minuten nach Abgang des Zuges an. Kein Wunder! Hatte doch Therese den Kutscher auch heimlich mit einem Händedruck beehrt und dabei bemerkt, dass es kein Unglück wäre, wenn sie erst mit dem Mittagszug reisen müssten.
Die gute Seele hatte es nachträglich bitter bereut, den armen Buchhalter so giftig angefahren zu haben. Hoffentlich bot sich Gelegenheit ihm zu zeigen, dass sie eigentlich ganz sanft geartet sei. Mit heimlicher Freude bemerkte sie, dass die beiden Herren am Bahnhof waren. Sie begrüßten die Damen respektvoll und boten ihre Dienste an.
Sie bedauerten natürlich das Missgeschick über die verspätete Ankunft und luden dann die Damen zu einer Bootfahrt auf der Förde ein. Die See war glatt, das Wetter schön, und so wurde dann die Einladung zögernd aber doch freundlich angenommen. Nach Beendigung der Fahrt ließ Frau Lüthgens sich unter Borby ans Land setzen, um durch die Anlagen zum Bahnhof zurückzukehren. Die jungen Leute ruderten weiter zum Bootsteg und machten sich auf zum Bahnhof. Alvens zog vorzugsweise Therese, Behrens dagegen Olga ins Gespräch. Beide Herren wussten ihr Zeit gut auszunutzen. Eine kleine Vorentscheidung war somit schon gefallen, und als der Zug die Damen entführte, erklang ein leises "Auf Wiedersehen in Lübeck!" hinüber und herüber.
Und sie sahen sich wieder. Als der Sommer zur Rüste ging, fanden wir die beiden Herren im Kontor des Herrn Lüthgens, wo dann in vertrautem Gespräch mit dem Hausherrn bei einem Glase Wein der Erfolg der Badereise besprochen und bestätigt wurde, so dass nach kurzem Brautstand zu Weihnachten die Doppelhochzeit gefeiert werden konnte.
Als Alvens am Weihnachtsabend mit seiner Therese unterm Tannenbaum stand, sagte er scherzend: "Du, Resi, ich muss Dir noch eine Untat beichten." "Doch nichts Schlimmes, Georg?" "Höre, dass Behrens und ich eigens reisten, um eine Frau zu suchen, weisst du ja. Aber weshalb der Kutscher damals zu spät zur Bahn kam, wirst Du nicht wissen können. Ich hatte den Biedermann nämlich bestochen." "Wie, Du auch? Da hätte ich drei Mark sparen können. Ich habe seine Bestechlichkeit nämlich auch erprobt."

32. Apotheker Salbei

Gestern kam mein Nachbar Fritz Wittbohn zu mir und sagte: "Siehst du, Nachbar, da habe ich meinem Jungen ein Steckenpferd aus der Stadt mitgebracht. Das ist ein Pferd, das geht nicht durch und frisst keinen Hafer, kostet also kein Geld." "Hm, Fritz, da bist Du doch sehr im Irrtum. Ich meine, es ist vieler Leute Unglück, dass ihr Steckenpferd mit ihnen durchgeht und sie zuviel Geld und Zeit kostet." "Ja, ja," meinte Fritz, "da hast Du wieder recht, das ist wohl so!" und damit zog er weiter.
Unser Apotheker Salbei hatte auch ein Steckenpferd, das geradewegs mit ihm durchging. Geld kostete es ihn wohl nicht, aber Zeit, viel Zeit! Unsere Zeit ist doch auch Geld, so gut wie bares Geld und unter Umständen noch mehr wert.
Er lief Tag für Tag hinter Pflanzen her. Und wenn er nur so halbwegs hörte, die oder die seltene Blume wäre da und da zu finden – musste er hin! Die übrige Zeit, die ihm sein Geschäft ließ, saß er hinter seinen Pflanzenpräparaten.
Nur einen Tag in der Woche, am Sonnabendabend, ließ er Herbarium und Geschichten bei Seite, natürlich erst dann, wenn seineKun en dag om ugen, lørdag aften, lagde han herbarium og historier til side, naturligvis først efter at hans husholderske, Fräulein Mertens, havde sagt det et par gange: Haushälterin, Fräulein Mertens, einige mal gesagt hatte: "Herr Salbei, heute ist Sonnabend." Sonnabends ging der Apotheker zum Weißen Schwan in den Skatklub. Seine drei Kollegen, der Amtsvorsteher Karstens, der Tierarzt Dr. Vierbein und der Rentmeister Sachau mussten sich gefallen lassen, dass Salbei erst eine Geschichte von seinen Blumen und Pflanzen erzählte. Sie ließen ihn erst ausreden, sonst war er beim Spiel nachher nicht zu gebrauchen.
Bei seinem Blumensammeln hatte Salbei aber die schönsten Blumen, die unser Herrgott für junge Leute wachsen lassen hat, nicht beachtet, ich meine so junge Menschenblumen. Er war fünfunddreißig Jahre alt und noch immer allein. Sein Skatbrüder hielten es für sehr notwendig, ihn auf die nicht gerade so seltene Pflanze, die er bisher übersehen hatte, aufmerksam zu machen. Na, Salbei war auch ganz dankbar dafür und war mit seinen Freunden einverstanden, dass er keine bessere Frau kriegen konnte als seine Haushälterin, Christine Mertens. Sie war tüchtig, ansehnlich, aus gutem Haus, ungefähr dreißig Jahre alt, passte gut zu dem Apotheker und hatte sich besser konserviert, meinte Dr. Vierbein, als Salbei und seine Pflanzen im Herbarium. Fünfmal hatte Salbei nun versprochen, dass er um Fräulein Mertens anhalten wolle, und fünfmal hatte er eine Flasche Wein spendieren müssen, weil er es nicht getan hatte. Saß er erst bei seinen Pflanzen, so ging sein Steckenpferd mit ihm durch, ja, er vergaß beinahe Essen und Trinken.
Eines Tages kam das Zimmermädchen vom Weißen Schwan zu Mamsell Mertens, ihrer intimen Freundin, und sagte: "Hör mal, Tine, ich habe dir etwas Lustiges zu erzählen. Vorigen Sonnabend ging es etwas laut und lustig zu im Skatklub. Ich hatte da im Zimmer nebenan zu tun und hörte da so allerlei, was dich betrifft. Sieh mal, der Apotheker ist vernarrt in dich. Er hat dich schon immer fragen wollen, ob du seine Frau werden willst, aber der arme Wurm hat ja wohl keinen rechten Mut gehabt. Nächsten Sonnabend feiert er seinen Geburtstag, dann will er dich fragen, ob du ihn heiraten willst. Er wird dich fragen, wenn er um zehn aus dem Klub kommt. Wenn er das nicht tut, soll er die ganze Zeche bezahlen. Ja, Mädchen, was sagst du dazu?" unterbrach sich die Freundin, als Christine nichts sagte und entlang der Nase nach unten sah.
"Ich, o, ich halte das Ganze für einen dummen Spaß vom Kartenklub. Glaub doch nicht, dass Herr Salbei sich etwas aus mit macht. Er hat auch gar keine Zeit dazu."
"Keine Zeit? Und wenn er dich nun am Sonnabend fragt, was dann?"
"Dann werde ich nein sagen."
"Mädchen, du bist ja unklug!"
"Ne, ganz vernünftig. Siehst du, ich hätte wohl Lust, seine Frau zu werden, er ist ein herzensguter Mensch, aber, er hat keine Zeit, keine Zeit! Und dann, wenn er mich abends, wenn er sich im Klub Mut angetrunken hat, fragen würde, so hat er das am nächsten Morgen vergessen. Er denkt nur an seine Pflanzen. Soll ich ihm dann sagen: 'Gestern bin ich also Braut geworden, dein Braut, Korl Salbei!'? Ne, vielen Dank! Aber ich bin ganz ruhig, soweit kommt es nicht. Er wagt es nicht. Er sagt Sonnabend wie gewöhnlich: 'Guten Abend, Fräulein Mertens, alles in Ordnung?' und dann geht er ruhig in sein Zimmer, das kenne ich schon."
"Na, und die anderen, sollen die immer auf seine Kosten leben?"
"Das kann ich nicht ändern."
"Nun, adjüs denn, Tine, ich muss laufen, dass ich weiter komme. Ich wollte dir das nur erzählen, wie es steht. Ich glaube, wenn wir uns wieder sehen, bist du Braut."
"Vielleicht auch nicht," sagte Tine.
Der Skatklub hatte Sonnabend eine fidele Sitzung. Das Kartenspeln wurde bald aufgegeben. Man wollte die Zeit, die nach ihren Satzungen nicht über zehn UHr ausgedehnt werden durfte, gehörig ausnutzen. Es gab ein nettes Abendbrot und genügend Flüssigkeiten zum Herunterspülen. Die Zeche sollte das Geburtstagskind, Salbei, bezahlen, wenn er nicht Wort hielt, andernfalls die Skatkasse. Um zehn Uhr wurde aufgebrochen.
Tu ich's oder tu ich's nicht, dachte Salbei. Ja, ich tu's. Und ganz unternehmend sah er sich um und gab seinem Hut einen Schubs, dass er im Nacken zu sitzen kam. Aber! Hm! - Der Hut wanderte zurück in die Stirn! Tja, wird sie nicht sagen: 'Herr Salbei, Sie sind betrunken. Kommen Sie doch nicht mit solchem Gerede, wenn Sie nicht ganz nüchtern sind.' Damit hatte sie dann ganz recht. Das geht eigentlich nicht. Wenn ich das nun bis morgen aufschiebe, wenn sie mir den Kaffee bringt, wäre das nicht besser? So lange hat es Zeit. Und dann ist sie mein, mein für immer! Ein Vierteljahr geht sie zu ihrer Schwester, und dann halten wir Hochzeit! "Hurra, hurra!" Salbei sah sich hastig um, nein, ihn hatte keiner gehört. Das Hurra kam fest ein wenig laut heraus. Aber, wenn ich nur wüsste, wie Christine darüber denkt, könnte ich das gut gleich sagen. Na, lass nur warten! Damit ging er zu seinem Haus.
Christine Mertens saß in der Wohnstube zu nähen. Salbei kam herein. "Guten Abend, Fräulein Mertens. Hm! - Was ich sagen wollte – wollte – alles in Ordnung?" "Gewiss, Herr Salbei, so wie ich meine, ist alles in Ordnung." "Na, dann gute Nacht, Fräulein Mertens, schlafen Sie man gut und lassen Sie sich etwas Gutes träumen," sagte Salbei, sah sie recht freundlich und gutherzig an, sagte aber weiter nichts, was er eigentlich auf dem Herzen hatte.
Christine sagte leise zu sich: "Warte, mein Junge, dich kauf ich mir. Die Geschichte muss zu Ende, so oder so. Willst du keinen Anfang machen, will ich es tun. Sie sollen im Skatklub nicht mehr auf deine Kosten lachen und es sich gut gehen lassen. Da wollen wie einen Pflock davor stecken.
Salbei wachte morgens auf mit einem schweren Kopf und schweren Gedanken. Hatte er nun sein Herz ausgeschüttet oder nicht? Na, das wird sich nun herausstellen, wenn Christine ihm seinen Kaffee bringt. Was wollte er ihr dann sagen? Heute morgen konnte er ja gar keine klare Gedanken fassen.
Der Kaffee kam. Aber nicht Christine, das Mädchen brachte das Frühstück und sagte: "Ich soll grüßen von Fräulein Mertens, sie ist zu ihrer Schwester gezogen."
Was nun? Hatte er ihr nun einen Heiratsantrag gemacht oder hatte sie sonst von der Sache Wind bekommen? Eingebrockt war nun also die Suppe, nun hieß es nur, es mit Schick auszulöffeln.
Kurz zu erzählen: Korl Salbei warf sich in Schale und reiste danach zu Fräulein Mertens Schwester. Hier ging er mit Christine in ihr Zimmer - sie beide ganz allein. Da blieben sie eine halbe Stunde. Was sie da besprochen haben, weiß ich leider nicht zu erzählen, und wenn ich es wüsste, sagte ich es nicht. Man muss nicht alles erzählen, was man weiß. Soviel ist gewiss: Sie kamen ganz vergnügt Arm in Arm zum Vorschein und hielten richtig nach einem Vierteljahr Hochzeit.

33. Kurzer Prozess

Hans Wilkens saß bei seiner Mutter auf det Abnahme in der Stube und klotzte seine Holzschuhe. Als er das fein zurecht hatte, packt er sein Geschirr in den Werkzeugkasten und sagte: "So, Mutter, nun steht dein Junge wieder fest in den Schuhen. Der Bauer, der heutigentages nicht fest in den Schuhen steht, der geht koppheister."
"Na," sagte seine Mutter, "ich weiß schon, was du meinst. Du hast eine schöne Bauernstelle schuldenfrei unter den Füßen, und wenn du nur etwas aufpasst, kann dir nichts passieren. Dir fehlt nur eins -"
"Schweige nur, Mutter, ich weiß schon, was du meinst. Du willst gern von der Wirtschaft frei sein. Kann ich dir auch nicht verdenken. Es wird dir über."
"Na ja, dann geh nur los und such dir eine Frau, bist bald dreißig Jahr, und es wird langsam Zeit."
"Tscha, das ist nicht so einfach. Wo soll ich in diesen kurzen Tagen vor Weihnachten eine Frau finden? Die soll schmuck und tüchtig, auch vielleicht noch einen Haufen Geld haben – nein – die ist nicht so leicht zu finden."
"Ach Junge, dir ist das Suchen gar nicht ernst. Ich bin bange, du fällst noch einmal gründlich herein."
"Na, mach dir man keine Sorgen, Mutter, das läuft sich schon zurecht." Damit ging er über den Hofplatz zum Kuhstall. Unterwegs traf er mit dem ersten Dienstmädchen, Stine Mertens, zusammen. Die kam mit einem Krug Milch und wollte die Kälber tränken. Das Mädchen sagte: "Bauer, ich glaube, der Weißkopf wird über Nacht kalben, die Anstalten sind danach."
"Dank dir auch, Stine, es ist nett von dir, dass du mich aufmerksam machst." "Na, dafür werde ich ja bezahlt, und gut bezahlt," sagte Stine. "Du bist also zufrieden" "Ja, das bin ich."
"Was meinst Du, Stine, können wir den Vertrag nicht für längere Zeit abschließen?" "Wie meinen Sie das?" sagte das Mädchen und setze ihre Milch ab. "Ich meine das so, wenn Du mir nicht wieder ins Gesicht hauen willst, kannst Du gut meine Frau werden." "Ha, nun wollen Sie mich wohl wieder zum Narren halten wie dsmals, das lasse ich mit aber nicht bieten. Ich möchte wohl wissen, was Ihre Mutter sagen würde, wenn Sie mit einem armen Dienstmädchen ankämen!"
"Anna" rief der Bauer übern Platz nach dem zweiten Mädchen, "bring die Milch zu den Kälbern und gib ihnen zu trinken, gib gut acht, dass jedes seinen Teil bekommt und dass die Tiere sich nicht verschlucken." Das Mädchen ging mit ihrem Krug Milch los.
"So, Stine, wir wollen zu meiner Mutter gehen und einmal hören, was sie sagt." Das große stattliche Mädchen stand ganz verdattert da. "Ich will Ihnen etwas sagen, Bauer, ich habe Sie schon lange Zeit gern gehabt und weiß kein größeres Glück, wie Ihre Frau zu werden, aber das sag ich Ihnen, wenn Sie mich zum Narren halten, dann -" "Ach, komm man!"
Sie gingen zur Abnahme und kamen im Schummern in die Hausdiele. Da sagte der Bauer: "Stina, ich frage Dich nochmals ganz ernsthaft, willst Du Maitag meine Frau werden?" "Ja, ich will," sagte Stine, und lief ganz hochrot an. Da nahm der Bauer sie ganz sanft in den Arm, und diesmal schlug sie nicht um sich, wie sie es bei früherer Gelegenheit einmal getan hatte.
"Bleibe hier einen Augenblick stehen, Stine mein Mädchen, du kannst erst einmal hören, was meine Mutter sagt."
Hans Bauer kam herein und sagte: "So, Mutter, nun habe ich eine Braut." "Junge doch, was hast du mich verjagt. Ich glaube, ich war ein wenig eingeschlafne. Was hast du?" "Ich habe eine Braut, am Maitag haben wir Hochzeit." "Ach, du bist immer noch ein Hanswurst und bleibst auch einer. Eben sagtest du zu mir, du könntest an diesen kurzen Tagen keine finden, und nun soll ich glauben, es wäre so weit."
"Komm herein, mein Mädchen, so, nun schalte einmal das Licht an. Mutter, meine Braut kann sich sehen lassen."
"Stine, Mädchen, ist es wahr, was der Junge sagt?"
"Ja, Mutter Wilkens, ich kann da nichts dabei machen. Er will das ja gern und da habe ich ja gesagt. Ich habe ja aber rein gar nichts."
"Ach, mein Mädchen, das macht nichts, Hans hat so viel mehr. Ich hatte auch nichts, als ich seinen Vater geheiratet habe. Na, Kinder, es freut mich sehr, dass der Junge kurzen Prozess gemacht hat. Nun kann ich die Wirtschaft bald niederlegen. Ich bin auch so leid darauf wie die Katze auf Senf."
"Mutter," sagte Hans, "nun koche uns man schnell eine gute Tasse Kaffee und lege Kuchen dazu, dann wollen wir einen Augenblick Verlobung feiern, lange Zeit haben wir beide nicht."
Ob er nun so verlegen nach Kaffee und Kuchen war oder ob er nur seine Mutter für einen Augenblick los sein wollte, um mit seiner Stine allein zu sein, ich weiß es nicht. Auffällig war es nachher, dass er gar keinen Kuchen aß.
Am nächsten Morgen rief der Bauer einen alten Tagelöhner, der auf Kühe und Schweine zu achten hatte, und sagte zu ihm: "Theo, spanne einmal die kleinen Braunen vor die Gigg, lege das beste Geschirr auf, das hängt hier auf der Hausdiele."
Als Theo das besorgt hatte, sagte der Bauer zu ihm: "Theo, du kannst ja gut schweigen, wenigstens so lange bis du zu Leuten kommst. Ich will mit der Braut zur Stadt, wir wollen uns Ringe kaufen. Hier hast Du zwei Mark, putze mit die Braunen noch ein bisschen blank."
Theo sagte nur: "Was?!", sperrte seinen Mund auf und vergaß beinahe, ihn wieder zuzumachen. Er wunderte sich nicht wenig, als Stine zum Bauern in die Gigg stieg.
Nachher fragten die Leute Theo: "Wo will der Bauer drauf los, er und Stine, beide so nobel?" "Die wollen – eigentlich darf ich es nicht sagen – aber lass, es ist ja nichts Böses, was sie vorhaben – die wollen sich in der Stadt beschlagen lassen.

34. Suggestion

Johann Konrad Rickers oder Jan Konrad, wie man gewöhnlich sagte, stand eines Sonntagmorgens vor dem Spiegel, strich sein graues Haar glatt, zog Kragen und Schlips zurecht und besah ganz aufmerksam seinen äußeren Menschen. Hm, wie man sich doch so nach und nach verändern kann. Noch bin ich ja gesund, aber – das kann sich auch schnell ändern, viellicht ein langes Krankenlager und dann das Ende.
Da kam seine Frau herein und störte ihn bei seinen schweren Gedanken. "Das ist recht, mein Jan. Mach dich nur fein, steck dir eine schöne Zigarre an und geh ein wenig auf Nachbarschaft oder geh spazieren. Wir können es ja so haben, wir sind ja eigenständige Leute, trinken reinen Kaffee, kein Zichorienwasser wie -" "Frau, halt deine Klappe," unterbrach Jan die Alte, "Du weißt doch, ich mag es nicht haben, wenn Du so davon prahlst, was wir haben, und wie leicht kann es anders werden mit Krankheit und Tod."
"Gott, mein Jan, geh man spazieren, es ist ja wunderschöne Luft draußen, dann kommst Du auf andere Gedanken. Bring ruhig guten Appetit mit, es gibt Hühnersuppe. Und was für Suppe! Ich sage Dir, der Hahn war fett, muss das eine Suppe geben! Na, unsere Hühner sind ja auch alle gut im Stand, müssen sie ja auch bei dem guten Futter, was sie bekommen." "Ach, Frau, ist gut, ist gut, ich gehe nun," sagte Jan.
Jan Konrad ging seinen gewöhnlichen Gang ums Noor herum, das war ein Weg von einer guten Stunde.
In der 'Börse' saßen fünf Bauern zusammen, schnackten klug und schimpften auf die Steuern. Ihren Ärger spülten sie mit Bier und Grog herunter, je nach Geschmack, wehrten sich aber nicht dagegen, dass sie nun den Ärger intus hatten, und der blieb.
"Sieh!" sagte der Bauer Jepsen, "da geht Jan Konrad. Der hat das raus. Der alte Bengel hat das Seine im Trockenen, steckt sich seine dicke Zigarre an und geht spazieren. Er hat seinen Hof ja gut verkauft und Not und Sorgen der Bauern bedrücken ihn nicht mehr."
"Ja," sagte Krischan Thies, "Jan sieht eigentlich gesund und frisch aus, für seine siebzig Jahre ist er noch ordentlich krall."
"Und ich wette eine Runde Bier," sagte der Bauer Meinert, "Jan legt sich noch heute zu Bett und lässt den Doktor holen." "Nanu, wie kommst Du darauf?" "Tja, Jan ist sehr ängstlich um sein Leben. Wenn ihr es so machen wollt, wie ich vorschlage, dann stehe ich dafür ein, Jan legt sich krank zu Bett und isst heute Mittag keine Hühnersuppe. Seine Alte hat schon lange davon geredet, dass Jan heute ein schöne Hühnersuppe bekommen soll. Ihr wisst ja, was Frau Rickers für ein Schnackfass ist. Nun können wir Jan die Hühnersuppe verderben."
Da sagte der alte Bauer Kanzmeier: "Leute, lasst solchen Narrenkram sein, ihr wisst ja nicht, was daraus entstehen kann. Ich mache wenigstens nicht mit." "Ach was," sagten die anderen Bauern, "was ist da wohl dabei? Jan geht einen Tag zu Bett, steht morgens wieder auf und isst dann seine Hühnersuppe." "Schön," sagte der Anstifter, "dann hört einmal zu, wie das zu machen ist." Und nun fing er an, es ihnen auseinanderzusetzen, wie Jan leicht krank zu machen wäre. Na, das ging los!
Der Bauer Meinert lief Jan Konrad über den Weg. "Guten Tag, Jan, Dir fehlt doch nichts? Mir scheint, Du siehst etwas fieberig aus." "Ach was, ich bin gut zu wege, mir fehlt nichts." "Na, das ist ja schön, dann habe ich mich geirrt. Mir schien zuerst, Jan sieht etwas blass aus. Na, dann halte dich nur gesund, das alte Krankspielen taugt auch nichts."
Es dauerte gar nicht lang, da traf er den Bauern Jepsen. "Mensch, Jan, fehlt Dir etwas?" "Nein, wie meinst Du das? Mir fehlt gottlob gar nichts." "So, na, dann lass Dir man dein Mittag gut schmecken! Hast doch Appetit? Konntest du heute morgen gut essen?" "Jawohl, ebenso wie sonst." "Hm, dann ist es ja gut, adjüs auch, Jan," und dabei sah er ihn ganz mitleidig an.
Das ist ja putzig, dachte Jan. Ich muss mich im Aussehen doch sehr verändert haben. Da wird doch keine Krankheit im Anmarsch sein? Da kommt Krischan Thies, will mal sehen, was der sagt.
"Tag, Jan, na, ein bisschen spazieren gehen? Das ist recht, die frische Luft ist die beste Medizin für alte schwache Menschen. Übrigens, Du siehst mir etwas flau aus, sollst Dich man untersuchen lassen, ob Dir etwas in den Knochen steckt. Zu rechter Zeit aufpassen, Jan, das ist die Hauptsache, nachher hilft kein Doktor mehr. Wiedersehen, Jan." So, dachte Jan. Das war die dritte Warnung.
Kurz vor dem Dorf traf er Peter Klasen. Der nickte ihm zu, blieb stehen, sah ihn nachdenklich an, sagte aber nichts. "Na, was schaust Du, alter Freund? Ist da was Besonderes an mir zu sehen?" "Hm, ja, ich weiß nicht, hast Du Dich heute morgen vielleicht übernommen? Du siehst etwas flau aus. Leg Dich lieber hin, wenn Du nach Hause kommst."
Ja, ja, das wird wohl das beste sein, dachte Jan. Er ging nach Hus, etwas langsamer und schwerfälliger als vorher. Zu Hause nahm er sich den Wahrsager, den Spiegel her und besah sich genau. Wahrhaftig, die Leute hatten recht, er sah nicht gut aus und fühlte sich auch nicht gut. Nun als er richtig darüber nachgedacht hatte, musste er doch eigentlich eingestehen, er war krank.
"Frau, ich lege mich zu Bett, ich bin gar nicht so recht auf den Beinen." "Was, Jan doch! Willst Du nicht zuerst deine Hühnersuppe essen? Sollst nur erst einmal probieren, dann wird Dir anders zumute. Bist nur ausgehungert. So schöne Klöße, da sind fünf Eier daran. Komm, ich fülle Dir schnell einen Teller voll auf." "Nein, nein, lass doch! Ich mag nichts sehen. Geh lieber zu Dr. Dreesen, er möchte einmal herkommen." Na, das geschah.
Der Bauer Kanzmeier passte den Doktor ab, als er von Jan Konrad heraus kam und fragte ihn: "Na, Herr Doktor, wie geht es Nachbar Rickert?" "Der!" sagte der Doktor, "den habe ich aus dem Bett geschmissen, ihm fehlt gar nichts. Er sitzt nun ganz vergnügt hinter seiner Hühnersuppe und pflegt sich. Das beste, was er tun kann. Seine Krankheit hat er sich einfach suggerieren lassen, das bekam ich bald aus ihm herausgefragt. Die Herren, die den dummen Witz gemacht haben, kaufe ich mir einmal bei Gelegenheit. Jedenfalls sollen sie den Krankenbesuch bezahlen, das ist das wenigste." "Ja, ja," sagte Kanzmeier, "Was für was!"

35. Krank spielen und krank sein

"Na, Fritz, wie geht es Dir? Wird es nicht bald etwas besser mit Dir? Du sitzt hier ja böse fest. Will der Doktor Dich nicht wieder gesund schreiben, dass Du wieder an die Arbeit kommst? Ich glaube, ein wenig Bewegung und Arbeit – nicht übertrieben, ja nicht – das wäre Dir ganz dienlich."
So sagte ich zu meinem Nachbarn, dem Böttcher Fritz Möller, der vor seiner Haustür im hellen Sonnenschein saß. Unsere Meinung war, er wäre es knapp wert, dass ihn die Sonn beschien, denn er war gottbegnadet faul. Sein Doktor hatte auch gesagt zu Leuten, die sich nach ihm erkundigt hatten: "Der Mann ist kerngesund, aber – faul wie die Sünde, und gegen Faulheit, zumal wenn sie chronisch auftritt, haben wir kein Mittel."
Also, ich fragte nach seinem Befinden. Fritz machte ein wehleidiges Gesicht und sagte: "Ach, Du, das ist man Schiet mit mir. Essen und Trinken schmeckt ja gut, aber ich bin immer so müde, immer so müde. Die olle Grippe ist eine aasige Krankheit, kann ich Dir sagen, die lässt einen so rasch nicht wieder los. Was gibt es doch für Krankheiten in unserer Zeit, da gibt es kein Ende. Aber das muss ja so kommen. Die Menschheit wird zu klug, viel zu klug, da müssen ja allerhand Seuchen und Krankheiten entstehen. Da kommt es ja ganz von selbst, dass man nicht wieder gesund werden kann."
"Die Menschheit wird zu klug und davon sollen allerlei Seuchen kommen? Fritz, Du redest Unsinn, Menschenskind."
"So, ist es denn nicht bekannt, was kluge Menschen alles aus der Luft holen: Elektrizität, Salpeter, Stickstoff, Sauerstoff, Kohlensäure – und Gott weiß, was noch. Da muss die Luft ja schlecht werden, da müssen allerlei Seuchen entstehen, die wir früher doch nicht gekannt haben. Die Krankheiten kommen doch meistens aus der Luft. Der Doktoren Singsang ist doch immer: Frische Luft, frische Luft! Tja, wo hast Du frische Luft und ihre natürliche Zusammensetzung, wenn die Menschen auf künstlichem Wege die Luft ruinieren? Das lasse ich mir gar nicht abstreiten, dass die Menschen selbst Schuld haben, wenn die Krankheiten sich so weit ausbreiten."
Ich sagte kurz zu dem Unsinn: "Bewahr Dir den Glauben, Fritz, werde bald wieder gesund. Für Dich ist Arbeit die beste Medizin. Adjüs auch."
Wenige Häuser weiter besuchte ich einen anderen kranken Mann, der war wirklich schwer krank gewesen, so dass der Doktor ihn beinahe aufgegeben hatte. Er war in seinem Garten und band seine Rosen hoch. "Sieh da, das ist ja nett, Krischan Timm, dass Du schon wieder draußen umher gehen kannst. Das freut mich. Mach nur so weiter."
"Ja, das war ein dolle Tour, habe einmal um die Ecke geschaut, aber nun bin ich übern Berg. Ich kann heraus in die frische Luft, in die Sonne, das ist etwas anderes als in der dumpfen Stube liegen. Ich warte nun nur darauf, dass die Kräfte wiederkommen – und das wird ja wohl – dass ich wieder ordentlich arbeiten kann. Ohne Arbeit ist das Leben doch nichts. Kannst Du arbeiten, dann schmeckt das Essen, dann kannst Du schlafen – ist das ein Genuss!"
"Ja, Krischan, das ist ganz recht, wenn die Arbeit nicht übertrieben wird, dann ist es ein Segen für uns Menschen. Ein hochdeutsches Sprichwort sagt: Arbeit bläst das Feuer im Herzen aus! Und das is ganz gewiss wahr. Das freut mich, dass Du wieder Freude an det Arbeit hast. Mach so weiter. Adjüs ok."

36. So ging mir das

Jan Meester bekam einen Brief von einem Kriegskameraden aus Hamburg. Er freute sich ordentlich, mal wieder von ihm zu hören. Der Freund hatte schon öfter geschrieben, aber Jan hatte nicht geantwortet. Für's Schreiben war er nicht. Einmal hatte er eine Postkarte an seinen Freund geschickt und ihm gesagt, er freue sich, dass er ihm so fleißig schreibe, aber wenn man jeden Tag mit Schaufel und Spaten hantiert, werden die Finger steif. Er solle ihm das man nicht übel nehmen, wenn er nicht antworte, vergessen habe er ihn auch nicht, aber das Schreiben wäre nicht seine Sache.
Nun schrieb sein Freund, der Kaufmann Hermann Jepsen, Jan solle ihn man für ein paar Tage besuchen, dann könnten sie sich mal ordentlich aussprechen, dass wäre auch besser als Briefe schreiben. Er könne aus seinem Geschäft nicht weg, sonst hätte er ihn schon besucht. Jan solle man erstmal rüber kommen und sobald eine flaue Zeit in seinem Geschäft einträte, mache er einen Gegenbesuch.
Jan gab seiner Frau den Brief zu lesen. Die sagte: "Ja, Jan, dann schmier man deine Stiefel und fahr mal nach Hamburg. Jepsen ist ja dein bester Freund gewesen. Du hast ja immer so nett von ihm gesprochen."
"Wie kann ich denn hier von meiner Arbeit laufen, bist ja wohl nicht klug. Ne, so hastig geht das nicht."
"Wohl geht das. In der Kriegszeit habe ich unsere Landstelle auch allein betreiben müssen. Das Heu ist nun drinnen, und zwischen Heu und Korn ist sowieso eine flaue Zeit. Mach du dich man auf die Socken. Ich freu mich ordentlich, dass du mal mit deinem guten Freund zusammen sein kannst. Da hast du lange gut von."
Jan schrieb: "Mit dem und em Zug komme ich nach Hamburg. Unter drei Tagen wirst du mich nicht wieder los."
Jan wurde warm aufgenommen und durchlebte noch einmal mit seinem Kameraden die schwere Zeit von vierzehn bis achtzehn. Dann waren sie im Westen, dann im Osten, er und Jepsen immer zusammen. Sie hatten sich immer treu ausgeholfen und durchgeholfen. Als zu gleicher Zeit angeschossen wurden, Jepsen kriegte ienen Schuss ins Bein, Jan in den Arm, da trug sein Freund ihn noch ein Stück zurück und bewahrte ihn vor der Gefangenschaft. Das wurde nun alles noch mal besprochen und durchlebt.
Nach drei Tagen fuhr Jan wieder zurück nachhause. Für seine liebe Frau kaufte er eine kleine, feine Handtasche. Darin packte er für sie einige Tafeln Schokolade, ein Ende Mettwurst, einige Rundstücke und und eine kleine Flasche mit Nordhäuser, denn erhatte eine lange Fahrt vor sich.
Auf dem Bahnhof tranken er und sein Freund noch rasch einige Gläser Bier. Das war gar nicht Jans Getränk, aber er mochte Jepsen nicht zuwider sein. Endlich stieg er ein. Jan war ganz allein in seinem Abteil. Er legte seine Handtasche in 'ner Ecke auf die Bank, grüßte noch mal aus dem Fenster, und los ging das.
Der Zug war eben in Gang, da sprang noch ein Kerl ganz außer Atem in den Wagen herein und schmiss sich in die Ecke, wo Jans Handtasche lag. Jan achtete nciht darauf, schaute aus dem Fenster und besah sich, als sie aus der Stadt heraus waren, den Landbetrieb. Das Korn ist hier weiter als bei uns, die Grasweiden sehen aber viel magerer aus als bei uns zuhause. Sie müssen hier wohl weniger Regen bekommen haben.
Nach einer guten Weile dachte Jan: Mir ist so plümperig zu Mute nach all dem Dünnen, was ich gekriegt habe, das ist wohl besser, wenn ich ein bischen Festes zu mir nehmen tu. Er guckte sich nach seiner Handtasche um. Ganz höflich sagte er zu dem Mann, der zu ihm eingestiegen war: "Erlauben Sie mal, ich glaube, der Teufel hols, Sie sitzen meine Handtasche breit." Der Mann sprang auf und schrie: "Was fällt Ihnen ein? Das ist doch meine Handtasche!" "Nun wirds reißen! Her mit der Handtasche!" Der kleine aufgeregte Mann hielt aber die Handtasche mit beiden Händen fest und schrie: "Räuber, Spitzbube, zu Hilfe!"
"Warte, kleiner Jung, dir wollen wir bald was anderes zeigen!" und damit langte Jan nach seinem deftigen Handstock. Der Mann kam in große Aufregung und mit viel Geschrei zog er die Notbremse. Der Zug stnd. Mitten auf dem Feld hielt er still.
Die Bahnleute kamen angelaufen und fragten, was da los wärer. Der Mann prustete los: "Ich werde hier überfallen. Der Mann mit dem Knüppel dort will meine Handtasche stehlen." Jan sagte: "Der Mensch muss verrückt geworden sein. Das tut mir leid für ihn. Die Handtasche ist meine, nicht seine, ich habe sie in Hamburg gekauft."
Der Zugführer nahm die Tasche an sich und sagte: "Das wird sich zeigen, wenn wir nach Elmshorn kommen, wer Eigentümer ist, kommen Sie mal auf einen Augenblick mit. Sie steckten Jan in eine Packwagen. Das war kein leichtes Stück Arbeit, denn Jan war ein forscher Kerl, aber als sieihn gut zuredeten, dass es nur bis Elmshorn dauere, da stieg er gutwillig ein.
In Elmshorn wurde das Verhör angestellt. Der Mann sagte: "In der Tasche steckt mein halbes Vermögen an Wertpapieren und Kassenscheinen über 50.000 Mark." "Was du für'n Schfskopf bist," sagte Jan. "Nun will ich ma sagen, was in der Tasche ist: Drei Tafeln Schokolade, fünf Rundstücke, ein halbes Pfund Mettwurst und eine Planke Nordhäuser. Und wenn Sie meinen, dass Ihnen die Tasche gehört, denn schließen Sie mal auf." "Ja, das kann ich, dann werden Sie sehen, was Ihnen entgangen ist, Sie Spitzbube!"
Er kriegte den Schlüssel raus, wupp! Hatte er die Tasche aufgeschlossen. Aber was machte der Kerl für ein verblüfftes Gesicht, er schrie: "Das ist ja gar nicht meine Tasche!" "Ja, das weiß ich," sagte Jan ganz trocken, "aber Sie wollten ja nicht auf mich hören." "Hatte ich denn keine Tasche, als ich zu Ihnen in den Wagen kam?" "Das kann ick nicht sagen, denn darauf habe ich nicht achtgegeben." "Dann muss ich sie im Kontor liegen gelassen haben, denn ich hatte es sehr eilig, den Zug zu erreichen. Meine Tasche ist genau die selbe." "Dat kann angehen," sagte Jan, "aber," wandte er sich an die Bahnleute, "kann ick meine Tasche nun wiederkriegen?" "Ja, gewiss." "Na, in'n Packwagen brauche ich für die übrige Reise ja wohl nicht wieder herein?" "I bewahre, die Sache ist ja aufgeklärt." Sein Reiskollege entschuldigte sich mit viel Gequassel und jammerte über sein Geld. "Lass man sein," sagte Jan, "wir können uns alle mal irren."
Jan kam glücklich zu Hause an. Sein kleine Frau fragte: "Na, wie ging dir das?" "Ja, wie ging mir das? Eingesperrt haben si mich unterwegs." "Was sagst du?" "Komm rein, lass dir erzählen!" Und un erzählte er erst von Hamburg und dann von seiner Bahnfahrt, recht lang und breit. "Wie ich gehört habe, muss der alte Bruder auch nach Strafe bezahlen, weil er unnötig die Notbremse gezogen hat. Ja, ja, man kann allerlei erleben. Siehst du, kleine Frau, nun weißt du Bescheid. So ging mir das!"

37. Kriegskameraden

Bei dem Gemeindevorsteher Hansen in Klingendörp fuhr ein Auto vor die Tür. Ein großern, stattlicher Kerl stieg heraus, der mit dem linken Bein ein bischen langsam zog, als wenn das nicht so recht mit wolle. Er stellte sich als Major a. D. vor, und wollte Nachricht einholen über einen Landmann Hans Jürgen Thedens, der in der Umgebung zu Hause wäre. Er hatte ihm mahrfach geschrieben, aber keine Antwort bekommen.
Nun möchte er gern von dem Ortsvorsteher wissen, ob der Mann noch leben täte oder ob er vielleicht weggezogen wäre. Er wäre dem Mann zu großem Dank verpflichtet, denn der habe ihm das Leben gerettet. Als er verwundet worden war, und seine Kompanie zurück gemusst hatte, da hatte Thedens ihn auf den Nacken genommen und ihn zurück getragen. Dabei habe Thedens einen Streifschuss abbekommen und doch habe er seinen Hauptmann nicht fallen gelassen, ne, er habe ihn in Sicherheit gebracht.
"Tja," sagte der Gemeindevorsteher, "über den Mann kann ich Ihnen genau Bescheid geben. Er lebt hier als Tagelöhner, schlecht und recht. Er gehört zu den vielen Leute, die der Krieg arm gemacht hat. Als er da draußen im Feld war, verkauften seine Eltern ihre Landstelle für viel Geld, bauten scih ein kleines nettes Haus und setzen ihr Geld auf die Sparkasse. Sie starben beide rasch weg, als sie eben in ihr neues Haus eingezogen waren. Das ist ja oft so im Leben, wenn der Mensch alles so recht schick hat und meint, nun kann ihm das nicht fehlen, dann steckt er die Nase in'n Sand und das ist alles. Nun sitzt Hans Jörn mit seiner jungen Frau im neuen Haus, aber – das Geld ist natürlich flöten, höchstens 10 % wird er wohl noch retten können. Das ist hart, aber der Mann hat frischen Mut, ist ehrlich und treu, alle Leute mögen ihn gern leiden. Arbeit findet er genug, denn er kann was und mag auch was tun, aber als Tagelöhner kommt er so leicht nicht auf'n grünen Zweig."
"Warum hat er mir denn nicht geantwortet? Ich bin in der glücklichen Lage, ihm helfen zu können, und das tue ich so gerne."
"Das will ich Ihnen sagen. Er ist ein Mann, der sich allein durchschlagen will und er ist bange gewesen, dass er seine Heimat verlassen müsste, wenn ihm irgend ein Posten von Ihnen angeboten würde. Er ist Landmann durch und durch, hängt an Grund und Boden und betreibt seine Tagelöhner-Arbeit so, als wenn Land und Vieh sein eigen wäre. Der Mann hat tüchtig was gelernt, hat die landwirtschaftliche Schule mit Auszeichung besucht. Bei verwickelten Sachen hilft er mir oft und ich habe das druchgesetzt, das er in die Gemeindevertretung gewählt worden ist. Da hat er gute Ansichten, das sein Wort was gilt. Aber – wenn Sie ihm helfen wollen, - ich gönne ihm das, denn er ist das wert – dann müssen Sie gnaz fein anfangen, sonst schnappt er ab und sagt: Ne, ich will nicht."
Als sich das beim Gemeindevorsteher abspielen tat, kam Hans Jörn Thedens nach Hause, der Regen hatte ihn nach Hause gejgt. "Na, mein Hans Jörn, armer Kerl, bist ja wohl durchnass, das regnet ja heute einmal," sagte sein kleine Frau zu ihm. "Ja, mein Dern, ich bin bloß trocken unter den Armen. Krieg man schnell trockens Zeut, dass ich mich umziehen kann. Das ist nicht so schlimm, das gehört da nun einmal mit dazu. Das tut mir bloß leid um das schöne Korn. Wir hätten morgen einfahren wollen. Da kommt nichts nach. Na, kleine Dern, nach Regen scheint die Sonne auch wieder."
Hans Jörn hatte sich man eben umgezogen, da hielt ein Auto vor seiner Tür. Heraus stiegen der Gemeindevorsteher und noch ein Herr. "Gotts Donner, das ist ja mein Hauptmann!" Der Ortsvörsteher ging nach seinem Haus zurück, der Major a. D. kam herein. "Guten Tag, mein Lebensretter, alter Kriegskamerad. Na, wie geht Ihnen das?" "O, ganz gut, und Ihnen?" "Soweit auch ganz gut, aber Thedens, ich bin in großer Verlegenheit. Sehn Sie mal, ich habe das Gut hier an dem See gekauft. Das liegt da ja wunderschön, scheint auch guten Boden zu haben, liegt auch fein arrondiert, aber – da gehört zu dem Gut eine Bauernstelle, die liegt mir ein bischen aus der Kehre, zu weit ab, aber ich muss sie mitnehmen."
"Die Stelle kenn ich," sagte Hans Jörn, "die ist gut, aber in den Kriegsjahren ganz herunter gewirtschaftet. Das wird Geld kosten und Arbeit ehe die wieder gerade vor ist." "Tja, Thedens, hätten Sie wohl Lust, die Stelle zu pachten?"
"Wovon soll ich das pachten? Ich habe nichts als meine gesunden Arme, das genügt aber nicht, eine Stelle zu pachten, dazu gehört Geld."
"Ja, mein lieber Mann, das weiß ich. Gott sei Dank, ich habe das Geld und richte Sie ein. Sie fangen an zu wirtschaften und nach einigen Jahren können wir mal über die Pacht sprechen. Sie haben dann eine Übersicht, was Sie ausgeben können. Vielleicht kann die Stelle mal Ihr Eigentum werden."
"Ich weiß nicht recht, mir scheint, da kann für Sie nicht viel dabei heraus kommen. Ein Pächter, der gar nichts hinter der Hand hat, ne, das ist für Sie ein schlechtes Geschäft."
"Na, nun stellen Sie sich nicht bockig. Sie besonnen sich auch nicht lange, als Sie mich auf dem Nacken aus dem Gefacht trugen. Das war erst recht ein schlechtes Geschäft, denn das konnte das Leben kosten. Nun besprechen Sie das mit Ihrer kleinen Frau und geben Sie mir bald Bescheid."
"Tja, Herr Hauptmann oder Herr Major muss ick wohl sagen -" "Och, das ist egal, Sie können auch Kriegskamerad sagen." "Herr Major, ich will mal sagen, Sie kommen soch besser weg, wenn Sie einen Pächter mit Geld nehmen, denn Sie -" "Das will ich aber nicht, ich will gerade Sie, also lassen Sie mich nicht sitzen. Nun adjüs denn, ich freu mich riesig, Sie hier gesund und frisch zu sehen, und ich freu mich noch mehr, wenn wir zusammen wirtschaften können." Damit ging er.
"Was sagst du nun, Hans Jörn? Du sagtest vorhin, nach dem Regen scheint die Sonne wieder. Ich glaube wahrhaftig, nun geht die Sonne für uns auf." "Ich weiß nicht recht, wenn das man nicht bloß so 'ne augenblickliche Aufwallung bei dem Major ist. Solche Herren haben zuweilen seltsame Einfälle."
"Hans Jörn, denk doch an unsere beiden kleinen Jungs. Ich möchte nicht gern, dass sie einmal bloß Tagelöhner spielen sollen. Ich bin ja nicht unzufrieden, versteh mich recht, wir sind gesund und haben uns noch immer satt essen können, awbr Eigenes zu kriegen, dazu sind die Aussichten doch schlecht. Sprich doch mal mit dem Gemeindevorsteher, was er von der Sache meint."
Na, das tat Hans Jörn. Hansen sagte: "Menschenskind, nun sei doch kein Schaf. Der Mann meint das so gut mit Dir. Du würdest eine billige Pachtung kriegen. Er will Dich ja nicht beleidigen und vor den Kopf stoßen, sonst würde er sagen, Hans Jörn Thedens, die Bauernstelle ist Dein, ich schenk sie Dir, ich kann mir das lesitenn und die Gabe ist für mein Leben, das ich dir danke, nicht zu groß."
Hans Jörn Thedens ließ sich beschnacken, nahm die Pachtstelle und sitzt nun gut in der Wehr. "Ja, ja, meine kleine Anna," sagte er eines abends, als er pottmüde nach Hause kam "das ist ein Vergnügen, hält frisch und gesund, so in seinem eigenen Grund und Boden zu buddeln. Wer das nicht kennt und zu schätzen weiß, der ist zu bedauern."
24. 10. 2023 - Es geht noch weiter

Notizen

Lackreep: Eine Art Segge, die ein starkes Strohseil zum Dachdecken lieferte
Wietjern: Wiebke
Zettlötschen: Narzissen
Hilldingen: Grippe
Kaspelvogt: Kirchspielvogt
Kük wühnen – Ackersenf jäten
Halsbräune: Diphtherie
Punterbaum: Binde-, Kadebaum
Fastelabend: Abend vor Fastnacht
Heedweekspeln: Spiel um Heißewecken (süße Milchbrötchen aus Weizenmehl)
Grus: Zerbröckelter Schotter
Quie: Jungkuh, die noch nie gekalbt hat
Ilk: Iltis
Knepmacher: Kniff-, Streichmacher, Schelm
Mastig: Behäbig, breit und selbstbewusst
Benaut: Bedrückt, benommen
Tonne: Steht hier für Zentner
Begriest: Grau geworden, eingewurzelt